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Verbittert geführter Kampf
Wie weltweit über Abtreibung gestritten wird

Kampf für ein liberales Abtreibungsrecht: Aktivistinnen demonstrieren in Buenos Aires.
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Malta ist eine Welt für sich, eine entrückte Insel zwischen Europa und Afrika. Es braucht immer etwas mehr Zeit, bis sich dort alte Traditionen und Mentalitäten bewegen. «Man hat uns in die Köpfe gehämmert, dass Abtreibung immer und in jedem Fall des Teufels ist», sagt Marlene Farrugia. Und diese Denkweise bleibt dann bei vielen Menschen ein Leben lang haften.

Farrugia ist 55 Jahre alt, Zahnärztin und die einzige Frau im maltesischen Parlament, die zu keiner Partei gehört. So konnte sie mit einem alten Tabu brechen und vorschlagen, Schwangerschaftsabbrüche zu legalisieren.

Malta ist noch strenger als Polen

Wenn in Europa über Abtreibung gesprochen oder gestritten wird, steht fast immer Polen im Fokus. Dort will die rechtskonservative Regierung die ohnehin schon kaum vorhandene Möglichkeit, eine ungewollte Schwangerschaft zu beenden, nun noch weiter einschränken. Dabei sind die Regeln in Malta bisher sogar noch strenger als in Polen: Sie fussen auf dem Strafkodex des 19. Jahrhunderts und sehen für Frauen, die abtreiben, bis zu drei Jahre Gefängnis vor.

Tatsächlich verhängt wurden diese Haftstrafen in der Vergangenheit zwar nur selten. «Doch solange diese kriminalisierenden Paragrafen fortbestehen, hält das Gesetz uns Frauen gefangen», sagt Farrugia. Vor einem Jahr legte sie einen Gesetzesentwurf für die Entkriminalisierung von Abtreibungen vor – ein Donnerschlag für den kleinsten Mitgliedsstaat der EU.

Über die Abtreibung wird aber nicht nur in Polen und Malta diskutiert. Im Gegenteil: Es macht den Eindruck, als würde der Kampf zwischen liberalen und konservativen Kräften weltweit auf dem Rücken – oder eher den Bäuchen – der ungewollt Schwangeren ausgetragen.

In den USA laufen konservative US-Politiker Sturm gegen das Recht von Frauen, über eine Abtreibung selbst zu entscheiden.

In den USA laufen konservative US-Politiker seit Jahrzehnten Sturm gegen das Recht von Frauen, über eine Abtreibung selbst zu entscheiden. Jetzt könnte es am Obersten Gericht eine Mehrheit für ihr Vorhaben geben. Es könnte laut einem Pressebericht das Abtreibungsurteil von 1973 kippen. Das Magazin «Politico» schreibt, in einem von Richter Samuel Alito unterzeichneten Entwurf heisse es, das seinerzeitige Urteil im Fall Roe vs Wade sei von Anfang an falsch und müsse ebenso überstimmt werden wie ein Urteil von 1992, das die Entscheidung von 1973 bestätigte, aber den Einzelstaaten gestattete, gewisse Beschränkungen zu erlassen. Eine Gerichtssprecherin wollte sich nicht äussern.

Das Urteil im Fall Roe vs Wade vom 22. Januar 1973 war eine Grundsatzentscheidung, die Frauen das verfassungsmässige Recht zusprach, über einen Schwangerschaftsabbruch frei zu entscheiden. Für die Einzelstaaten galt die Maxime, dass sie Abtreibungen nicht verbieten können, bis der Fötus ausserhalb des Mutterleibs überlebensfähig ist. Das ist meist nach der 24. Woche der Fall.

Trumps Erbe

Alito schrieb jetzt jedoch, die Frage der Abtreibung müsse den gewählten Volksvertretern überlassen werden. Das würde bedeuten, dass die einzelnen US-Staaten ihr jeweiliges Abtreibungsrecht weitgehend selbst regeln können. Das könnte dazu führen, dass gut die Hälfte der Staaten Schwangerschaftsabbrüche schlicht verbietet. Das wiederum dürfte gewaltige Auswirkungen auf die Wahlen im November haben. (Hören Sie zum Thema den Podcast-Beitrag «Die Abtreibungsfrage spaltet die USA – schon wieder».)

In den vergangenen Jahren und insbesondere während der Präsidentschaft Donald Trumps ist eine klare konservative Mehrheit von sechs zu drei am Obersten Gericht installiert worden. Viele konservativ regierte US-Staaten haben zudem strenge Abtreibungsgesetze erlassen, nicht zuletzt in der Hoffnung, dass das Oberste Gericht das Grundsatzurteil von 1973 kippt, wenn es sich mit diesen Gesetzen befasst.

Umfragen zeigen jedoch, dass nur wenige US-Bürger eine Aufhebung des Grundsatzurteils von 1973 befürworten. Vor der Wahl 2020 waren 69 Prozent der Befragten der Ansicht, das Oberste Gericht solle das Urteil von 1973 nicht antasten, schreibt die Nachrichtenagentur AP. Allgemein befürwortete eine Mehrheit, Schwangerschaftsabbrüche in allen oder den meisten Fällen rechtlich zuzulassen.

China will mehr Geburten

In China wiederum löste im September ein Bericht Aufregung aus, dass der Staat mit Blick auf die niedrige Geburtenrate die Zahl der «medizinisch nicht notwendigen Abtreibungen» reduzieren wolle.

In Mexiko dagegen wurde die Abtreibung gerade legalisiert, ebenso wie in Argentinien. Im westafrikanischen Benin soll die Möglichkeit zum Schwangerschaftsabbruch ebenfalls deutlich ausgeweitet werden – unter heftigem Protest der katholischen Kirche.

Und in Deutschland hat die Ampel-Regierung eine Reform angekündigt: Sie will den umstrittenen Paragrafen im Strafgesetzbuch abschaffen, der es Ärztinnen verbot, über die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs in ihrer Praxis auch nur zu informieren.

Handelt es sich um eine zufällige Häufung der Debatten, oder steckt eine gesellschaftliche Verschiebung dahinter? «Mein Eindruck ist, dass die Debatte um die Abtreibung auch früher schon immer wieder stattgefunden hat», sagt Daphne Hahn. Sie ist Professorin für Gesundheitswissenschaften und empirische Sozialforschung, ausserdem war sie früher Vorsitzende des deutschen Verbandes Pro Familia, der ungewollt schwangere Frauen berät.

Heute spielten sexuelle Rechte etwa im Kontext von LGBT und Gleichberechtigung aber eine grössere Rolle in der Debatte als früher, Frauenrechte seien Teil vieler internationaler Vereinbarungen. Die Aufmerksamkeit für diese Themen sei damit ganz allgemein gewachsen – und diese neue Offenheit führe eben auch zu Gegenbewegungen: Je nachdrücklicher auf der einen Seite für mehr Rechte gestritten werde, desto mehr Zuspruch erführen auch eher konservative Strömungen.

Hass und Beschimpfungen der Abtreibungsgegner

So hat es auch Marlene Farrugia in Malta erlebt. Das kleine Lager von «Pro-Choicern» fand ihre Initiative «historisch». Pro-Choicer sind Menschen, die der Frau das Recht auf eine freie Wahl geben wollen, ob sie ein Kind behalten will oder nicht. Die Vertreter der Gegenseite, die sogenannten «Pro-Lifer», griffen Farrugia dagegen im Netz hart an. «Ich habe das ganze Ausmass von Hass und Beschimpfungen abbekommen. Das war mutig von mir», sagt sie und lacht. Aber Mut gehöre in der Politik dazu. «Nun gibt es wenigstens eine Debatte, ohne das übliche Stigma.»

Tatsächlich? Der Erzbischof von Malta, Charles Scicluna, formulierte seine Position so: «Der Mutterleib ist ein heiliger Ort, er sollte ein Quell des Lebens und nicht des Todes sein. Die Würde der Frau erlischt, wenn unschuldige Kinder getötet werden.» In Malta sind etwa 95 Prozent der Bevölkerung katholisch.

Es sei aber zu einfach, aus der Gläubigkeit in der Bevölkerung Schlüsse auf die Einstellung zur Abtreibung zu ziehen, sagt Daphne Hahn. «Frankreich hat ebenfalls eine sehr starke katholische Kirche, aber die Regeln dort sind im europäischen Vergleich sehr liberal.»

«Letztlich geht es bei der Debatte um die Abtreibung immer um die Kontrolle von Frauen.»

Daphne Hahn, Gesundheitswissenschaftlerin

Die Nationalversammlung in Paris stimmte zu, die Frist für einen Schwangerschaftsabbruch von 12 auf 14 Wochen zu verlängern: aus Sorge, Frauen könnten wegen teils langer Wartelisten nicht rechtzeitig einen Termin finden. In Frankreich ist es sogar strafbar, Schwangerschaftsabbrüche zu behindern, etwa durch bewusste Fehlinformationen. Entscheidend sei darum nicht die Frömmigkeit im Land, sondern wie stark die Kirche Einfluss auf die Politik nehme, sagt Hahn.

Es sei ein Trugschluss, zu denken, dass strengere Abtreibungsgesetze automatisch zu weniger Abtreibungen führten. Oft sei das Gegenteil richtig: «In Ländern mit liberaleren Gesetzen zum Schwangerschaftsabbruch gibt es in aller Regel auch leichteren Zugang zu Verhütungsmitteln und bessere Bildungsangebote in der Schule», sagt Hahn – was es für Frauen auch erleichtere, mit einem Sexualpartner überhaupt offen über Verhütung zu sprechen und ungewollte Schwangerschaften von vornherein zu verhindern.

Zahlen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stützen diese Beobachtung: Demnach ist die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in Ländern mit liberaleren Gesetzen ähnlich hoch wie in Ländern, in denen solche Eingriffe verboten sind: Auch dort finden Frauen also Wege, ungewollte Schwangerschaften zu beenden, wenn auch oft unsicherere: Der WHO zufolge werden jedes Jahr sieben Millionen Frauen in Spitälern wegen der Folgen unsicherer Schwangerschaftsabbrüche behandelt.

Abtreibungen in Sizilien oder Grossbritannien

Viele Malteserinnen fahren für eine Abtreibung nach Sizilien oder Grossbritannien, oder sie bestellen Pillen im Netz. «Der Fundamentalismus in dieser Frage hat noch kein Leben gerettet», sagt Marlene Farrugia. Trotzdem bleibt der Widerstand gegen ihre Initiative gross.

Maltas Präsident George Vella, Arzt von Beruf, warnte schon mal: Sollte ein Gesetz für die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs auf seinem Schreibtisch landen, dann habe er «keine andere Wahl, als zurückzutreten». Unterschreiben würde er es nie. «Der Präsident», sagt Farrugia, «ist das wandelnde Stereotyp des maltesischen Mannes, so denken sie alle.» Daphne Hahn formuliert es noch drastischer: «Letztlich geht es bei der Debatte um die Abtreibung immer um die Kontrolle von Frauen.»

«Politiker setzen sich öffentlich nicht für eine Entkriminalisierung ein – denn bald sind Wahlen»: Marlene Farrugia, Parlamentarierin in Malta.

Fatal für Farrugias Vorstoss war letztlich aber nicht die Meinung des Präsidenten oder der katholischen Kirche, sondern die Haltung der beiden grossen Parteien: Sie liessen nicht zu, dass der Entwurf im Parlament diskutiert wurde – angeblich, um die Debatte im Volk nicht vorwegzunehmen.

Sie kenne zwar Parlamentarier, die privat für eine Entkriminalisierung wären. «Doch niemand setzt sich öffentlich dafür ein – denn bald sind Wahlen, und alle bangen um ihren Sitz.» Auch die Medien hielten die Debatte klein. Als San Marino sein Abtreibungsverbot neulich durch einen Volksentscheid aufgehoben habe, habe sie das ermuntert, sagt Farrugia. «Doch in den maltesischen Zeitungen war die Nachricht aus San Marino nur eine kleine Kurzmeldung unter vielen.»

Trend geht in Richtung mehr Liberalisierung

In Malta fehle es weiterhin an allem, vor allem an guter Sexualkunde, ärztlichem Beistand, finanzieller Unterstützung von ärmeren Familien durch den Staat. Die Debatte gehe zwar noch weiter – aber bis auf weiteres nur in den Foren für Frauenrechte.

Trotz der Beispiele aus Malta, Texas und Polen, so sagt es Daphne Hahn, und so sagen es auch statistische Erhebungen, geht der weltweite Trend hin zu mehr Liberalisierung beim Schwangerschaftsabbruch. Malta aber hat das Fenster erst einmal wieder geschlossen, bevor es richtig offen war.