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Urteilsentwurf geleakt
Oberstes Gericht der USA bereitet Ende des Rechts auf Abtreibung vor

Das geleakte Dokument soll öffentlichen Druck aufbauen: Demonstrantinnen protestieren gegen eine mögliche Beschneidung des Rechts auf Abreibung in den USA. 
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Das gab es zuvor noch nie: Ein Urteilsentwurf des Supreme Court wurde am Montag an das Politik-Magazin «Politico» geleakt. Demnach plant die Mehrheit der höchsten US-Richter, das seit 1973 gültige Recht auf Abtreibung zu kippen. Nach einer ersten Besprechung des Falls im Dezember hätten sich vier konservative Richter dafür ausgesprochen, ein Grundsatzurteil des Gerichts von 1973 umzustossen, schreibt «Politico» dazu.

In ihrem Auftrag hat Richter Samuel Alito, ein von George W. Bush ernannter Konservativer, den Entwurf einer Mehrheitsmeinung geschrieben. Dieser hätten sich inzwischen vier weitere der insgesamt neun Richter angeschlossen.

Verriss der früheren Praxis

Der geleakte Text ist ein eigentlicher Verriss der früheren Praxis des Gerichts: Das Grundsatzurteil Roe vs. Wade sei ein Irrtum gewesen und schwach begründet. Jetzt müssten die Richter diese Fehler korrigieren. Das heisst: Den einzelnen Staaten überlassen, ob und unter welchen Bedingungen sie Abtreibungen erlauben wollen. Das war schon vor 1973 so, bevor der Supreme Court eingriff. Frauen hätten ein verfassungsmässiges Recht auf eine Abtreibung bis zur Überlebensfähigkeit des Foetus, entschied das Gericht damals. Heute bedeutet das, dass Schwangerschaftsabbrüche bis zur etwa 24. Woche legal sind.

Der Entwurf der Mehrheitsmeinung weist diese Argumentation nun rundweg zurück. Allerdings ist er noch keineswegs ein endgültiger Text. Die Richter am Supreme Court fällen ihre Entscheidung über mehrere Runden und Monate. Dabei wird nicht nur der Text überarbeitet, vielmehr können Richter sogar so weit gehen, ihre Position zu ändern. Gerade bei Urteilen von grosser Tragweite ist es schon oft geschehen, dass die Mehrheit schliesslich anders entschied als bei den ersten Beratungen.

Bis der Supreme Court seine Entscheidung bekannt gibt, dürfte es Juni oder gar Juli werden. Der Entwurf, den «Politico» öffentlich machte, stammt vom Februar. Welche Position die Richter inzwischen einnehmen, ist nicht bekannt. Die Publikation zitiert jedoch Insider, wonach sich die Mehrheitsverhältnisse bisher nicht verschoben hätten.

Eine Beschneidung des Abtreibungsrechts wäre ein wichtiger politischer Sieg für die Republikaner.

Beim Abtreibungsrecht deuten die Zeichen schon länger darauf hin, dass das Oberste Gericht einen Kurswechsel vornehmen will. Die nun veröffentlichte Mehrheitsmeinung wäre allerdings die radikalste Fassung davon. Alito will den Staaten weitgehend freie Hand lassen, Abtreibungen zu regeln. Das Gericht könnte sich auch damit begnügen, den Staaten nur einzelne Einschränkungen zuzugestehen.

Wie hart diesmal im Gericht gerungen wird, lässt sich mitunter daran ablesen, dass der Entwurf nach aussen gedrungen ist: Es dürfte ein Versuch sein, öffentlichen Druck auf die Richter aufzubauen. Das ist gelungen. Noch am Montagabend versammelten sich Demonstranten vor dem Supreme Court in der Hauptstadt Washington, um ihrem Ärger Luft zu machen. Und am Tag danach befand sich das politische Washington in heller Aufregung. Selbst Präsident Joe Biden verschickte eine schriftliche Stellungnahme – obwohl das geleakte Papier nur ein Entwurf mit unklarem Status ist. Sollte das Gericht das Recht auf Abtreibung kippen, werde er auf ein nationales Gesetz drängen, versprach er.

Sollte die nun geleakte Maximalvariante obsiegen, tritt als erste Konsequenz das Abtreibungsgesetz von Mississippi in Kraft, in dem es im konkreten Fall geht. Der konservative Südstaat will darin Schwangerschaftsabbrüche nach der 15. Woche untersagen. In seinem Schlepptau haben andere Staaten viel weitergehende Regelungen beschlossen, die dann ebenfalls in Kraft treten könnten.

In Texas und Oklahoma sind Schwangerschaftsabbrüche nach der sechsten Woche untersagt; das entspricht für die meisten Frauen einem faktischen Abtreibungsverbot. In rund der Hälfte der 50 Staaten sind solche Gesetze bereits verabschiedet oder hängig. Die extremsten verbieten ihren Einwohnern sogar, jemanden für eine Abtreibung in einem anderen Staat zu unterstützen.

Zwischensieg im Kulturkampf?

Sollte die konservative Mehrheit am Obersten Gericht das Abtreibungsrecht wirklich beschneiden, würde das einen wichtigen politischen Sieg für die Republikaner darstellen. Das Abtreibungsrecht gehört zu den Kulturkampfthemen, um die Republikaner und Demokraten die härtesten Konflikte austragen. Vor allem der evangelikale Flügel der Republikaner kämpft seit Jahren gegen Schwangerschaftsabbrüche und für Verbote auf Ebene der Gliedstaaten.

Eine deutliche Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner unterstützt zwar laut Umfragen das geltende Abtreibungsrecht. Die Demokraten versprachen umgehend, dieses in ein Gesetz auf nationaler Ebene zu giessen. Die Chancen sind jedoch gering, dass ihnen das gelingen könnte, weil ihre Mehrheit im Senat zu knapp ist. Einige Demokraten hoffen, dass das Urteil des Obersten Gerichts die Wählerschaft dermassen aufrüttelt, dass sie bei den Zwischenwahlen im November in Massen an die Urnen strömen und den Demokraten zu einem unverhofften Sieg verhelfen. Bisher deuten die Vorzeichen allerdings eher auf eine Niederlage hin.

Seit Donald Trump kurz vor Ende seiner Amtsdauer noch Richterin Amy Coney Barrett anstelle der verstorbenen Liberalen, Ruth Bader Ginsburg, nominierte, besitzen die Konservativen am Supreme Court eine erdrückende Mehrheit von sechs zu drei Stimmen. Das wirkt sich deutlich auf den Kurs der obersten Justizinstanz im Land aus. Umso banger schauen die Demokraten den nächsten Monaten entgegen, in denen das Gericht eine ganze Reihe heisser Eisen anfassen wird: Die kommenden Fälle reichen vom Abtreibungsrecht über Waffengesetze bis hin zur Minderheitenförderung an Universitäten.

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