Medizinische HypnoseWie ich meine Zahnarzt-Phobie loswurde
Bohren, spritzen, feilen: Viele Menschen bekommen Panik, wenn sie eine Zahnarztpraxis betreten. Einfache Techniken können dagegen helfen. Unsere Autorin hats ausprobiert.
Sanfte Musik ertönt im Hintergrund. Ich liege bequem auf dem weichen Stuhl und schliesse die Augen. «Nehmen Sie wahr, wie Ihre Beine schwer auf der Unterlage aufliegen. Spüren Sie Ihr Gesäss, den Rücken, die Arme?», leitet mich die ruhige Stimme an. Nun stelle ich mir vor, wie ich in meinem Garten auf dem Liegestuhl bin. «Es ist warm, die Sonne scheint. Sie steigen eine schöne Steintreppe hinunter, und bei jedem Atemzug sinken Sie noch etwas tiefer.»
Yoga-Lektion, Achtsamkeitsmeditation? Nein, nichts dergleichen. Die Übung findet an einem Ort statt, den man normalerweise so ganz und gar nicht mit Entspannung verbindet: Ich befinde mich in einer Zürcher Zahnarztpraxis. Um bei seinen Patientinnen und Patienten die Angst vor der Behandlung zu reduzieren, arbeitet Lukas Kanzler mit Hypnose.
«Das ist eine seriöse Sache», betont der 63-jährige Zahnarzt. «Es handelt sich nicht um Show-Hypnose, sondern um medizinische Hypnose. Das ist ein grosser Unterschied.»
Kein Hokuspokus
Beim Begriff Hypnose denkt man häufig an spektakuläre Trance-Zustände, in denen Menschen dazu gebracht werden, unbewusst Handlungen auszuführen – etwa ein Verbrechen zu begehen oder wie ein Hund zu bellen. Ob es möglich ist, Personen gegen ihren Willen zu hypnotisieren und sie danach zu manipulieren, ist umstritten.
Wissenschaftlich erwiesen ist hingegen, dass Hypnose funktioniert, wenn sich Menschen aus eigener Entscheidung darauf einlassen. Bildgebende Verfahren zeigen eine Veränderung von Hirnarealen, die für Aufmerksamkeit, bildliche Vorstellung, kritisches Denken und Schmerzwahrnehmung zuständig sind.
Vor der Erfindung von Narkose- und Schmerzmitteln im 19. Jahrhundert nahm die Hypnosetechnik eine wichtige Rolle ein bei medizinischen Behandlungen. Heute wird sie vielerorts wiederentdeckt und in therapeutischen Settings angewendet.
In der Regel handelt es sich um Zustände, in denen die hypnotisierte Person nicht komplett weggetreten und willenlos ist, sondern um eine Art entspannte Wachzustände mit fokussierter Aufmerksamkeit.
In der Psychotherapie zum Beispiel ermöglicht die Trance den Zugang zu Erinnerungen, Traumatisierungen und Gefühlen. Die temporäre Verminderung der Kontrollmechanismen soll Veränderungen erleichtern.
Bei körperlichen Beschwerden dagegen wird Hypnose mit dem Ziel eingesetzt, durch Entspannung Ängste und Schmerzmittel zu reduzieren. Unter anderem arbeitet das Kinderspital Genf mit der Technik. Routinierte Spezialisten wagen es zudem, Operationen unter Hypnose ohne Betäubung durchzuführen.
Traumatisierungen lösen
Dies sei aber in seiner Praxis nicht das Ziel, erklärt Zahnarzt Lukas Kanzler. Vielmehr will er seinen Patienten, die teilweise aufgrund früherer Erlebnisse traumatisiert sind, neue, möglichst positive Erfahrungen ermöglichen, welche die negativen Erinnerungen allmählich ablösen.
Bei Kariesbehandlungen setzt er eine Spritze und betäubt vorher sogar noch die Einstichstelle. «Es darf auf keinen Fall wehtun», betont er. So will er das Vertrauen wieder aufbauen.
Meist lädt er neue Patienten zuerst einmal zu einem Gespräch ein und gibt ihnen eine kleine Demonstration, bei der er gleich eine Zahnreinigung vornimmt.
Wegen ihrer negativen Erlebnisse lässt sich auch Riikka Horvat seit etwa fünf Jahren bei Lukas Kanzler behandeln. «Früher konnte ich in der Nacht davor meist nicht schlafen», erzählt die 45-Jährige. Einmal habe sie bei einer Röntgenaufnahme einen Würgereiz bekommen, worauf sie der damalige Zahnarzt angeschrien habe. Darauf ging sie einige Jahre gar nicht mehr hin.
Nun habe sie bei Hypnose-Zahnarzt Kanzler wieder Vertrauen fassen können, erzählt die Frau aus dem Kanton Zug. Auf der Liege reist sie jeweils in Gedanken nach Finnland, wo ihre Eltern ein Ferienhaus mit Sauna besitzen und sie sich sehr wohl fühlt. Damit Kanzler sie besser dorthin führen kann, hat sie ihm einige Fotos mitgebracht.
Häufiges Phänomen
Dank dieser Methode hat sie es sogar bereits geschafft, sich einen Zahn ziehen zu lassen. «Mittlerweile freue ich mich schon fast auf die Behandlungen», sagt Horvat. «Ich hoffe, dass ich bald wieder zu einem ‹normalen› Zahnarzt gehen kann.»
Während seines Zahnmedizinstudiums sei Angst noch kaum ein Thema gewesen, erzählt Lukas Kanzler. Dies, obwohl das Phänomen sehr verbreitet sei. Tatsächlich: Gemäss Umfragen in Deutschland vermeiden rund 5 Prozent der Menschen deswegen den Zahnarztbesuch.
Um diese Situation zu verbessern, absolvierte Kanzler eine mehrtägige Ausbildung bei der Schweizerischen Ärztegesellschaft für Hypnose (SMSH) und frischt seine Kenntnisse regelmässig auf. «Es braucht etwas Übung, die Patienten in der Entspannung anzuleiten und gleichzeitig zu arbeiten», sagt er. Zudem brauche er mehr Zeit, weshalb die Behandlung auch etwas teurer sei. Schade findet er, dass ausgerechnet Menschen, die zum Beispiel wegen psychischer Erkrankungen besonders ängstlich sind, sich die Hypnose oft nicht leisten können.
Zum ersten Mal nicht verkrampft
Inzwischen liege ich physisch in der Zahnarztpraxis, aber in meiner Vorstellung in meinem Garten. Ich höre die Vögel zwitschern, die Himbeeren sind reif. «Heben Sie nun ab und schweben über dem Liegestuhl», fährt Zahnarzt Lukas Kanzler weiter. «Fliegen Sie an einen anderen Ort in der Natur, der Ihnen gefällt.» Und schon sitze ich am Ufer der Aare, spüre die Sonne auf der Haut und plansche mit den Füssen im Wasser.
«Öffnen Sie nun langsam den Mund», höre ich die Stimme von weit entfernt und folge der Anweisung.
Wie vereinbart, wird der Zahnarzt bei mir eine kleine Zahnreinigung ausführen. Bei der Dentalhygienikerin empfinde ich das Schaben an den Zähnen und Stochern in den Zwischenräumen jeweils als ziemlich unangenehm. Ich nehme mir stets vor, mich zu entspannen, doch kurz darauf liege ich wieder mit verkrampften Händen da, runzle die Stirn, starre das grelle Licht an der Decke an und hoffe, dass die Prozedur bald vorbei ist.
«Es hat funktioniert»
Nicht so nun bei meiner kleinen Hypnose-Selbsterfahrung. Klar, auch diesmal ist es nicht gerade ein Wellnesserlebnis. Ich spüre ein leichtes Stechen. Doch ich bleibe dabei entspannt, und meine Hände liegen locker auf meinen Beinen.
Allmählich heisst mich die Stimme, wieder zurückzukommen. Ich nehme eine Hand auf meiner Schulter wahr und öffne langsam die Augen. «Sie haben ruhig und tief geatmet», meldet mir Lukas Kanzler zurück. «Die Hypnose hat bei Ihnen gut funktioniert.»
Legende, Bilder 1/2: Foto: Dominique Meienberg. Legende Bild 3: Arbeitet mit Hypnose: Der Zürcher Zahnarzt Lukas Kanzler. Foto: Dominique Meienberg
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