Frankreichs Präsident im TVWie geht es weiter, Monsieur Macron?
Schon zum zweiten Mal in vier Wochen spricht Frankreichs Präsident im Fernsehen. Nachdem er seine umstrittene Rentenreform gegen alle Widerstände durchgesetzt hat, steht viel auf dem Spiel.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist ein seltener Gast im französischen Fernsehen. Eigentlich. Dass er sich an diesem Montag schon zum zweiten Mal innerhalb von vier Wochen vor Fernsehkameras erklärt, zeigt: Die Lage ist ernst. Auch wenn seine Rentenreform seit dem Ende der vergangenen Woche beschlossene Sache ist.
Schon wenige Stunden nachdem der Verfassungsrat die Reform am vergangenen Freitag im Kern gebilligt hatte, unterschrieb der Präsident das umstrittene Gesetz. Beruhigt hat sich die Stimmung im Land seitdem nicht. Pünktlich zum Start von Macrons Ansprache um 20 Uhr riefen die Reformgegner vor den Rathäusern mehrerer Städte zu Protesten auf. Genauer: Zum «concert de casseroles», zum gemeinsamen Topfschlagen.
Statt sich zurückzulehnen, sitzt Emmanuel Macron nun also vor den Kameras im Élysée-Palast und liest vom Teleprompter ab. Bei seinem letzten Fernsehauftritt liess er sich noch von zwei Journalisten interviewen, diesmal wählte er eine im Voraus aufgezeichnete Ansprache – lieber nicht live, lieber ohne Zwischenfragen.
«Das bedaure ich»
Nach der Entscheidung des Verfassungsrats habe er das Gesetz «logischerweise erlassen», sagt Macron gleich zu Beginn. Noch im Herbst solle es in Kraft treten. Der Präsident sagt aber auch: «Ist diese Reform akzeptiert? Offensichtlich nicht. [...] Das bedaure ich.»
Bisher hatte sich Macron in der Rentendebatte wenig selbstkritisch gezeigt, in seinem Fernsehinterview vor vier Wochen antwortete er auf die Frage, ob er etwas bereue: «Wenn überhaupt, dann dass wir es nicht geschafft haben, die Franzosen von der Notwendigkeit dieser Reform zu überzeugen.»
Wann immer in den vergangenen Wochen die Frage nach der Legitimität der Reform aufkam, verwies Macron auf seine Wiederwahl. Die Reform habe schliesslich in seinem Programm gestanden. Macron sei im vergangenen Jahr ja nur gewählt worden, um Marine Le Pen zu verhindern, sagen die Gegner des Präsidenten auf der Strasse. Noch immer ist Umfragen zufolge mehr als die Hälfte der Französinnen und Franzosen gegen die Rentenreform.
Niemand könne taub gegenüber der Wut und den Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit sein, sagt Macron am Montag. Aber die Antwort darauf dürfe weder Stillstand noch Extremismus sein. Er schlägt dann mehrere «Baustellen» vor, die er in den kommenden Monaten angehen wolle: Arbeit, Justiz, Bildung, Gesundheit. Auch wenn er «konkrete Massnahmen» verspricht, bleiben die Ankündigungen eher vage.
«Die Tür bleibt offen»
Er wolle «einen neuen Pakt» zur Arbeit starten, unter anderem, um Löhne zu erhöhen und Reichtum besser zu verteilen. Er wolle 10’000 neue Verwaltungsbeamte und 200 neue Polizeibrigaden einstellen. Er wolle die medizinische Versorgung von chronisch Kranken verbessern und den Lehrermangel bekämpfen.
Wenn es nach dem Präsidenten ginge, könnte das Kapitel Rentenreform gar nicht schnell genug zugeklappt werden. Die linke Opposition und die Gewerkschaften sehen das naturgemäss anders. «Der Kampf geht weiter», twitterte der Gründer der extrem linken La France Insoumise, Jean-Luc Mélenchon, am Montagabend. «Man muss uns nicht sagen, dass man unsere Wut hört», sagte der Chef von Frankreichs grösster Gewerkschaft CFDT, Laurent Berger. Das ändere nichts für die Menschen, die nun länger arbeiten müssten.
«Die Tür bleibt offen», sagt Macron am Montag in Richtung Gewerkschaften. Schon vor seiner Ansprache hatte er die Gewerkschaftschefs zum Gespräch eingeladen. Aber sie lehnten ab. Ihre Bedingung war es, dass Macron das Gesetz nicht erlässt. Eines Tages werde die CFDT zum Dialog kommen, sagt Berger am Montagabend. «Aber nicht, wenn man uns zu sich pfeift.» Für den 1. Mai rufen die Gewerkschaften wieder zu einem landesweiten Protesttag auf.
Macron regierte in den vergangenen Monaten nicht anders als viele seiner Vorgänger. Immer wieder drückten französische Präsidenten in der Vergangenheit unliebsame Gesetze ohne Abstimmung im Parlament durch. Die französische Verfassung räumt dem Präsidenten sehr viel Macht ein. Allerdings war Macron einst angetreten, um alles anders zu machen. Um die alten Strukturen aufzubrechen, um zuzuhören, um zwischen links und rechts zu vermitteln. Viele in Frankreich fragen sich inzwischen, ob der Macronismus gescheitert ist.
Der Blick auf den 14. Juli
In den vergangenen Wochen waren die Rufe nach einer Regierungsumbildung und dem Rücktritt von Macrons Premierministerin Élisabeth Borne lauter geworden. Darauf bezogen, sagt Macron am Montag nur: «Die Premierministerin wird ab der kommenden Woche den Fahrplan weiter ausarbeiten.» Der Nationalfeiertag am 14. Juli sei dann eine erste Möglichkeit, die Fortschritte zu bewerten. Klingt so, als bleibe die Regierung erst einmal im Amt.
Schon nach seiner Wiederwahl im vergangenen Jahr hat Emmanuel Macron immer wieder eine «neue Methode» versprochen. Viel verändert hat er an seinem Regierungsstil seitdem nicht. Auch das Sitzverhältnis im Parlament bleibt für Macron und seine Minister schwierig. Noch immer verfügen sie nur über eine relative Mehrheit und sind auf Stimmen aus der Opposition angewiesen. Und die sind noch schwieriger zu bekommen, seit die Premierministerin die Rentenreform per Verfassungsklausel durchgedrückt hat.
Bis zum Sommer will Macrons Regierung den Entwurf für ein neues Arbeitsgesetz vorlegen, das die Rentenreform ergänzen soll. Aber ob sie dafür eine Mehrheit findet, ist unklar. Ein umstrittenes Migrationsgesetz, das die Regierung eigentlich schon vor Wochen ins Parlament einbringen wollte, hat sie jetzt erst einmal auf Eis gelegt.
«Ich vertraue Ihnen. Und ich vertraue uns», sagt Macron am Montag in seiner Ansprache. Sie hat am Ende gerade mal 13 Minuten gedauert.
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