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Rentenalter 64 in Frankreich
Macron gewinnt im Rentenstreit – die Wut der Franzosen lässt nicht nach

Seit Monaten treibt die Rentenreform die Franzosen um: Demonstrierende in Strassburg.
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Lange hat sich nicht mehr so viel Aufmerksamkeit auf den französischen Verfassungsrat gerichtet. Schon am Donnerstag häuften sich vor dem Pariser Gerichtsgebäude in der Nähe des Louvre Mülleimer – Gegner der Rentenreform hatten den Eingang damit blockiert. Wenige Stunden später sprach der französische Innenminister ein Versammlungsverbot für die Umgebung des Gebäudes aus. Am Tag der Entscheidung schützten meterhohe Sicherheitszäune das Gericht.

Das ganze Land schaute, so wirkte es in den französischen Zeitungen und auf den Nachrichtensendern, auf jenes Gericht, das diesen Freitag über die umstrittene Rentenreform entschieden hat. Ist das der Anfang vom Ende der Debatte, die das Land seit drei Monaten beschäftigt?

Einzelne Gesetzesartikel sind nicht verfassungskonform

Die neun Richterinnen und Richter des Verfassungsrats haben die umstrittene Reform nun in weiten Teilen gebilligt. Damit kann das Gesetz wie geplant noch in diesem Jahr in Kraft treten. Die Anhebung des gesetzlichen Rentenalters von 62 auf künftig 64 Jahre ist dem Urteil zufolge verfassungsgemäss. Allerdings haben die Richterinnen und Richter auch einzelne Artikel des Gesetzes für nicht verfassungskonform erklärt, darunter einen Seniorenindex, der Unternehmen verpflichten sollte, den Anteil älterer Beschäftigter offenzulegen.

Seit Januar streitet Frankreich um die Reform, die Präsident Emmanuel Macron und seine Regierung planen. Sie sieht unter anderem vor, das gesetzliche Renteneintrittsalter schrittweise bis 2030 von 62 auf 64 Jahre anzuheben. Mitte März hatte die Regierung die Reform per Verfassungsklausel ohne Abstimmung im Parlament durchgedrückt, damit ist sie offiziell verabschiedet. Mit der Reform soll ein drohendes Loch in der Rentenkasse verhindert werden. Die Einzahldauer für eine volle Rente soll schneller steigen.

Macron und seine Premierministerin sprachen in den vergangenen Wochen immer wieder davon, dass die Reform mit der Entscheidung des Verfassungsrates «das Ende des demokratischen Weges» erreiche. Kritik an ihrer Entscheidung, das Gesetz ohne Votum im Parlament durchzusetzen, wiesen sie ab, das Vorgehen entspreche der französischen Verfassung und sei damit legitim. Gemäss Umfragen lehnen mehr als zwei Drittel der Franzosen die Rentenreform ab. Für Macron ist die Reform ein zentrales Thema seiner zweiten Amtszeit.

Die Regierung hofft, dass die Proteste abflauen: Emmanuel Macron, Präsident.

Er schlage den Sozialpartnern vor, sich nach der Entscheidung des Verfassungsrates noch einmal auszutauschen, sagte Emmanuel Macron in dieser Woche. Das Angebot kam nicht bei allen gut an. Die neue Chefin der Gewerkschaft CGT, Sophie Binet zeigte sich belustigt. Ihre Gewerkschaft nehme erst an einem Treffen teil, wenn es dabei um das Ende der Reform gehe, stellte sie klar. «Wir werden die Proteste und Streiks weiter unterstützen», sagte die Fraktionsvorsitzende der linken La France Insoumise, Mathilde Panot, am Freitagabend.

Die Regierung hofft indessen darauf, dass die Proteste abflauen. Am Donnerstag hatten die Gewerkschaften zum zwölften Streiktag aufgerufen. Bei den Demos im ganzen Land waren zuletzt immer weniger Menschen auf die Strasse gegangen. Anfang März waren es noch mehr als eine Million gewesen, in dieser Woche noch knapp 400’000. Wobei die Entscheidung des Gerichts die Proteste auch noch mal befeuern könnte. «Das ist nicht der letzte Tag, an dem wir uns mobilisieren», sagte CGT-Chefin Binet diese Woche. Und am Freitagabend erklärte sie weiter: «Wir fordern die Regierung auf, dieses Gesetz nicht zu erlassen.»

Der Verfassungsrat kippte auch den Antrag auf ein Referendum zur Rentenreform, den die Opposition eingebracht hatte.

Bisher waren die vielen verschiedenen französischen Gewerkschaften überraschend geschlossen aufgetreten. Nun stellt sich die Frage, ob die Einheit auch nach der Entscheidung des Verfassungsrats bestehen bleibt. Im Regierungslager hofft man auf ein Einlenken des Chefs der grössten und moderaten Gewerkschaft CFDT, Laurent Berger. Er hatte erklärt, man müsse die Entscheidung des Gerichts respektieren. Am Rande des Protestmarschs in dieser Woche sagte er aber auch: «Wir werden nicht einfach zu etwas anderem übergehen.»

Premierministerin: «Weder Sieger noch Besiegte»

Der Verfassungsrat kippte auch den Antrag auf ein Referendum zur Rentenreform, den die Opposition eingebracht hatte. Die Entscheidung über einen weiteren Antrag soll in den kommenden Wochen erfolgen. Auch wenn das Gericht den Antrag bewilligen sollte, ist es allerdings unwahrscheinlich, dass es wirklich zu einem Volksentscheid kommt. Dafür bräuchte es die Unterstützung von knapp fünf Millionen Französinnen und Franzosen. Ausserdem könnte die Regierung ein Referendum verhindern, indem sie den Vorschlag im Parlament diskutieren lässt.

Als glänzender Sieger steht Macron trotz des Erfolgs aber nicht da. Der Präsident und seine Mitte-Regierung sind gebeutelt von dem zähen Kampf um die Reform. Premierministerin Élisabeth Borne schrieb zurückhaltend: «Heute Abend gibt es weder Sieger noch Besiegte.»

Aufruf zum landesweiten Streik am Tag der Arbeit

Der Präsident erklärte beinahe aufopfernd, dass es ihm bei der Reform um das Interesse des Landes gehe und er Unbeliebtheit in Kauf nehme. Dennoch hofft er nun, das lästige Rententhema zügig hinter sich zu lassen. Erwartet wird, dass er sich kommende Woche an die Bevölkerung richtet und dann mit einer Reihe von Reisen im Land das tun will, was er im Kampf um die Reform vermieden hat: Präsenz zeigen. Macron hat sich im Rentenstreit im Hintergrund gehalten. Gewerkschaften und grosse Teile der Opposition lehnen die Reform ab.

Zum Tag der Arbeit am 1. Mai rufen die Gewerkschaften erneut zum landesweiten Streik auf. Und keine anderthalb Stunden nach dem Urteil des Verfassungsrates brannte in Paris schon ein Stand mit Leihvelos.