Volksvermögen schrumpftWie gefährlich ist der Riesenverlust der Nationalbank?
Die SNB hat im ersten Quartal 2022 einen Verlust von knapp 33 Milliarden Franken eingefahren. Wir beantworten die wichtigsten Fragen zu den Folgen.
Warum macht die Nationalbank einen solch riesigen Verlust?
Die Bilanz der Nationalbank ist in den letzten Jahren ständig gewachsen. Ende 2021 hatte sie Aktiven im Wert von 1057 Milliarden Franken in ihren Büchern. Weil sie unter Leitung ihres Präsidenten Thomas Jordan zur Bekämpfung der Frankenstärke immer wieder am Devisenmarkt interveniert hat, wuchsen ihre Deviseneinlagen ständig.
Im letzten Jahr wuchsen sie von 910 auf 966 Milliarden Franken an. 66 Prozent sind in Staatsanleihen, 11 Prozent in anderen Zinspapieren und 23 Prozent in Aktien angelegt. Jede Kursbewegung an den Märkten wirkt sich direkt auf den Wert der Anlagen aus, ebenso jede Wechselkursveränderung.
Von Januar bis Ende März 2022 waren hauptsächlich die weltweit steigenden Zinsen als Folge der anziehenden Inflation verantwortlich für den riesigen Buchverlust. Denn wenn die Zinsen steigen, verlieren Anleihen an Wert. Weil die Devisenanlagen der SNB zu 77 Prozent in Anleihen investiert sind, schenkt das ein: Die Buchverluste auf Zinspapieren summierten sich im ersten Quartal auf 25 Milliarden Franken.
Verluste von knapp 11 Milliarden Franken gab es auf den Aktienanlagen, weil die Börsen im ersten Quartal nach unten korrigiert haben. Dazu kamen Gewinne auf Goldanlagen und Wechselkursverluste, die aber vergleichsweise gering waren.
In den vergangenen Jahren waren es wegen des erstarkenden Frankens oft die Wechselkursverluste, die das Ergebnis der Nationalbank in Mitleidenschaft zogen: Denn wertet der Franken auf, sind die Fremdwährungsanlagen in Franken umgerechnet automatisch weniger wert.
Ist der Verlust aussergewöhnlich?
Das Ergebnis der Nationalbank schwankt wegen der hohen Abhängigkeit von den Finanzmärkten in beide Richtungen sehr stark. So führt eine Aufwertung des Frankens gegenüber den wichtigsten Währungen um ein Prozent bei der aktuellen Höhe der Devisenanlagen zu einem Verlust von rund 10 Milliarden Franken. Steigen die Aktienkurse an den Börsen um 5 Prozent, gewinnt die Nationalbank 10 Milliarden.
Im ersten Quartal 2021 hatte der Gewinn fast 38 Milliarden Franken betragen, im vierten Quartal gab es dann einen Verlust von rund 15 Milliarden. Für das ganze Jahr 2021 resultierte ein Gewinn von rund 26 Milliarden Franken. Es kam in jüngerer Vergangenheit aber auch schon vor, dass am Jahresende ein bedeutender Verlust stand, so 2018 mit rund 15 Milliarden oder 2015 mit über 23 Milliarden Franken.
Starke Schwankungen sind also die Regel, damit kann die Nationalbank leben. Rückschlüsse auf das Jahresergebnis sind kaum möglich, da an den Finanzmärkten im Laufe des Jahres noch viel passieren kann.
Kann die SNB in Konkurs gehen?
Mit dem enormen Aufbau von Devisenanlagen steigen auch die Bilanzrisiken. Verlieren die Devisenanlagen stark an Wert, weil die Märkte einbrechen oder der Franken aufwertet, gehen die Verluste zulasten des Eigenkapitals.
Die Eigenkapitaldecke ist mit weniger als 20 Prozent der Bilanzsumme im historischen Vergleich niedrig. Mit dem jüngsten Quartalsverlust ist das Eigenkapital auf einen Schlag um 16 Prozent von 204 Milliarden auf 171 Milliarden geschrumpft. Damit deckt es noch 18 Prozent der Devisenanlagen. Würde die Nationalbank auf ihren Devisenanlagen 18 Prozent verlieren, wäre ihr ganzes Eigenkapital weg.
Zu einer Kapitalflucht der Fremdkapitalgeber kann es nicht kommen.
Das Risiko wäre dann gross, dass die Nationalbank früher oder später durch den Staat neu kapitalisiert werden müsste. Theoretisch kann eine Zentralbank auch ohne Eigenkapital funktionieren. Ihr Fremdkapital besteht nicht aus Krediten und Anleihen wie bei einer Geschäftsbank, sondern in erster Linie aus im Verkehr befindlichen Banknoten und aus Sichtguthaben, die die Geschäftsbanken bei der Zentralbank halten müssen. Zu einer Kapitalflucht der Fremdkapitalgeber kann es also nicht kommen.
Die Nationalbank besitzt das sogenannte Notenmonopol, sie kann die Notenbankgeldmenge mehr oder weniger nach Belieben ausweiten, ohne darauf Zinskosten bezahlen zu müssen. Sie kann sich also gratis finanzieren, während sie gleichzeitig auf der Aktivseite ihrer Bilanz zum Beispiel mit Devisenanlagen Gewinne erzielen kann. Das Notenmonopol verleiht der Zentralbank damit ein Geschäftsmodell, das auf lange Frist Gewinne garantiert.
Ein vorübergehend negatives Eigenkapital kann deshalb immer wieder mit einbehaltenen Gewinnen korrigiert werden. Anders als bei einem normalen Unternehmen besteht für die Nationalbank von Gesetzes wegen zudem auch keine Pflicht zu Sanierungsmassnahmen, wenn das Eigenkapital aufgezehrt ist.
Eine Nationalbank ohne Eigenkapital würde aber stark abhängig von der Politik und könnte ihre Glaubwürdigkeit an den Märkten verlieren. Denn wenn sie möglicherweise jahrelang keine Gewinne an Bund und Kantone ausschütten könnte, weil sie zuerst das Eigenkapital auffüllen müsste, dürfte der Druck aus der Politik stark zunehmen und ihre politische Unabhängigkeit infrage stellen.
Gibt es jetzt weniger Geld für die Kantone und den Bund?
Die Quartalsergebnisse sind nicht relevant für die Gewinnausschüttung. Erst der Jahresabschluss zählt – und bis dahin kann noch viel passieren. Bund und Kantone erhalten eine Ausschüttung von maximal 6 Milliarden Franken, wenn der Bilanzgewinn über 40 Milliarden Franken beträgt. Angesichts der aktuellen Aufschüttungsreserven von über 100 Milliarden besteht nach wie vor eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine Gewinnausschüttung an Bund und Kantone. Eine Garantie gibt es allerdings nicht.
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