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Innovation gegen Wassermangel
Wie ETH-Forscher Trinkwasser aus der Atmosphäre gewinnen wollen

Soll einmal in wasserarmen Regionen Wasser aus der Atmosphäre gewinnen: Prototyp auf dem Dach eines ETH-Gebäudes in Zürich.   

Wenn Schweizer nach neuen Wasserquellen suchen, dann ist das bemerkenswert. Über 1,4 Milliarden Menschen weltweit können nur von einem Wasserschloss wie der Schweiz träumen. Sie leben in Regionen, wo das Wasser das ganze Jahr über knapp ist, wie ein Unicef-Bericht kürzlich dokumentierte. In Küstenregionen, namentlich in Nordafrika und im Mittleren Osten, produzieren energieintensive Salzwasseranlagen Trinkwasser – und hinterlassen laut einem Beitrag im Fachmagazin «Science of the Total Environment» über 140 Millionen Tonnen Salzlauge, die ins Meer oder in Flüsse geleitet werden. Die Konsequenz: Die Salze führen möglicherweise giftige Substanzen mit und entziehen den Gewässern Sauerstoff.

Der grösste Teil des Wassers in der Atmosphäre in feuchten und trockenen Regionen könnte zusätzlich etwa dreimal den jährlichen globalen Wasserkonsum bereitstellen.

Aus dem Fachmagazin «Science Advances»

Nun haben Forscher der ETH Zürich eine Pilotanlage entwickelt, die zeigt, dass es eine Alternative gibt, die sauber und ohne Betriebsenergie Wasser gewinnen kann. Ihre Quelle: die Atmosphäre. Der grösste Teil des Wassers in der Atmosphäre in feuchten und trockenen Regionen könnte zusätzlich etwa dreimal den jährlichen globalen Wasserkonsum bereitstellen, heisst es im Fachmagazin «Science Advances», in dem die ETH-Forscher das Verfahren präsentieren.

Das ist das Potenzial. Doch die Gewinnung ist aus energetischen Gründen alles andere als einfach. Wie es trotzdem möglich ist, allein mit natürlicher Energie Wasser aus der Luft zu sammeln, wird derzeit auf dem Dach des ETH-Gebäudes demonstriert.

ETH-Forscher Iwan Hächler hat für seine Doktorarbeit den Wasserkondensator entwickelt.

Der «Wassersammler» mutet futuristisch an, auf einer silbern glänzenden Kammer steht ein ebenso schimmernder, kegelförmiger Trichter. An der Schnittstelle dieser beiden Objekte – von aussen nicht sichtbar – ist das Herzstück der Anlage. Eine mehrfach beschichtete Glasscheibe, nicht mehr als 10 Zentimeter im Durchmesser, an der feuchte Luft kondensiert.

Das Herzstück der ETH-Anlage: An der beschichteten Glasscheibe perlt das kondensierte Wasser ab. 

Um das Prinzip einfach zu erklären, muss man etwas ausholen, sind doch komplizierte thermodynamische Prozesse beteiligt: Beginnen wir mit der Kammer, die mit Umgebungsluft gefüllt ist und in den ETH-Versuchen eine relative Luftfeuchtigkeit zwischen 65 und 95 Prozent aufweist. «Je höher die Luftfeuchtigkeit, desto effizienter ist der Kondensationsprozess an der beschichteten Glasplatte», sagt Iwan Hächler, Hauptautor und Doktorand in der Gruppe von Dimos Poulikakos, Professor für Thermodynamik an der ETH Zürich. Die Kammer ist mit aluminisierter Kunststofffolie beschichtet, um die Sonnenstrahlen zu reflektieren. Damit bleibt die Temperatur der Kammerluft und der Umgebungsluft immer etwa gleich.

Effekt wie an der Windschutzscheibe

Ziel ist es, die beschichtete Glasscheibe möglichst stark abzukühlen. Der Effekt ist dann derselbe, wie man ihn im Winter im Auto erlebt, wenn sich die warme Innenluft an der kalten Windschutzscheibe zu einem Wasserfilm kondensiert. Nur: Dort, wo das System der ETH-Forscher zum Einsatz kommen soll, ist es nicht kalt, sondern heiss. Die Kühlung wird hier zur grossen Herausforderung. Die verschiedenen Schichten der Glasscheibe haben unterschiedliche Abstrahlungseigenschaften: Die oberste Kunststoffschicht, ein spezielles Polymer, und die Glasscheibe emittieren langwellige Wärmestrahlen in einem speziellen Wellenbereich ins Weltall, und die Silberschicht reflektiert das sichtbare Sonnenlicht. «Man kann anstelle einer Silberbeschichtung das Glas auch weiss anstreichen», sagt ETH-Forscher Hächler.

Erstaunlich starke Abkühlung

Wenn die feuchte Luft an der Scheibe kondensiert, wird ebenfalls Wärme frei, die abgeführt werden muss. Dafür haben die Forscher den mit Aluminium beschichteten Kegel entwickelt. Experimente zum Wärmefluss haben gezeigt, dass diese Form geeignet ist, um die Wärme vertikal gegen den Himmelszenit wegzuführen. Auf diesem Weg gelangt die Wärmestrahlung am effektivsten durch die Atmosphäre ins Weltall. Zudem schützt der Kegel vor atmosphärischer Wärmestrahlung und Sonnenlicht, besonders auch bei tiefem Sonnenstand. Das System kann auf diese Weise die Kondensationsscheibe um bis zu 15 Grad unter die Umgebungstemperatur kühlen.

Anderen Verfahren überlegen

Kondensationsverfahren, um Wasser zu sammeln, gibt es seit langem. Zum Beispiel wird Wasserdampf in Trocknungsmitteln wie Silicatgel, Zeolith oder Salzen in offenen Kammern gesammelt. Sind die Substanzen gesättigt, wird die Kammer geschlossen, und das absorbierte Wasser wird durch die Umgebungswärme verdampft und kondensiert an den kühleren Kammerwänden. Diese Methode funktioniert jedoch nur am Tag bei Sonneneinstrahlung.

Dann gibt es Systeme mit Kühlungsfolien ähnlich wie bei der ETH-Methode, an denen die Luftfeuchtigkeit taut. Dieses Verfahren ist jedoch optimiert, um nachts Wasser zu sammeln, weil am Tag die Folie im Gegensatz zur ETH-Version aufgeheizt wird. Peruaner greifen überdies zu einer alten, einfachen Methode. In höheren Regionen Perus entsteht am Morgen und nachts Nebel, den man mit grossen Netzen einzufangen versucht. Das Wasser tropft dann von den feuchten Netzen in offene Halbrohre und später in Behälter. Von Dezember bis März gibt es dort allerdings praktisch keinen Nebel.

Schwäche: Kleine Ausbeute

Die ETH-Anlage funktioniert über das ganze Jahr, allerdings nur bei einer Luftfeuchtigkeit von mehr als 65 Prozent. Die Physik setzt hier ihre Grenzen, die Demonstration der ETH-Anlage nähert sich jedoch diesem physikalischen Limit ohne Energiezufuhr. Das Design besticht aber noch durch eine andere Besonderheit: Der Wasserdampf kondensiert auf einer extrem wasserabstossenden Schicht auf der Glasscheibe, sodass die Tropfen von selbst von der Oberfläche abperlen und in einem Gefäss aufgefangen werden können. Bei den bisherigen Systemen müsse man das Kondensat regelmässig von der Oberfläche der Kondensatorscheibe abstreifen, so Hächler.

Das Kondenswasser wird in der ETH-Pilotanlage in einer Schale aufgefangen.

Das Design der ETH-Forscher besticht durch seine Einfachheit, eine Lowtech-Methode, wie sie in ärmeren, unter Wassernot leidenden Staaten gefragt ist. Die Schwäche des Verfahrens ist allerdings die Ausbeute. Die Pilotanlage produziert unter realen Bedingungen gerade mal 4,6 Milliliter Wasser pro Tag. Würde man eine Anlage von 100 mal 100 Meter bauen mit Elementen dieses Prototyps, so rechnet Hächler mit 52’441 einzelnen «Wasser-Sammlern», die rund 297 bis 519 Liter Trinkwasser pro Tag produzierten.

«Es ging in erster Linie darum, aufzuzeigen, dass das Verfahren ohne Energiezufuhr funktioniert.»

Iwan Hächler, ETH-Forscher

Das Verfahren braucht also sehr viel Platz, um grosse Mengen an Wasser aus der Atmosphäre zu gewinnen. Und wie steht es mit den Kosten? Die Herstellung der beschichteten Kondensationsscheiben sei einfach und kostengünstig, sagt Hächler. Als Nächstes soll das Verfahren auch für grössere Anlagen geprüft werden. «Hier ging es in erster Linie darum, aufzuzeigen, dass das Verfahren ohne Energiezufuhr funktioniert», sagt Iwan Hächler.

Die Innovation sieht er allerdings nicht als Option, künftig die Wasserbedürfnisse eines Landes zu decken. Aber er kann sich vorstellen, das System dort aufzubauen, wo energieintensive Methoden wie Entsalzungsanlagen oder der Bau von Brunnen nicht infrage kommen, oder in Dörfern, dezentral und ohne Energieaufwand, wo trinkbares Wasser wegen des Klimawandels und der Energieknappheit in Zukunft noch rarer wird.