Grösste Anlage für BiomethanWie eine Kläranlage zu einer Batterie wird
Von der Abwasserreinigung zum CO₂-neutralen Biogas. Das erste industrielle Power-to-Gas-Kraftwerk in Dietikon zeigt, wie man Sommerstrom für den Winter speichern kann.
Der Zeitpunkt hätte nicht besser sein können. Die Abhängigkeit von ausländischem Gas ist seit Ausbruch des Ukraine-Krieges Tagesthema, die Zweifel an einer erfolgreichen Energiewende in der Schweiz sind ein Dauerbrenner. Die heutige Eröffnung der ersten industriellen Anlage in der Schweiz, die CO₂-neutral synthetisches Gas produziert, ist deshalb ein positiver Kontrapunkt.
Denn diese Technologie – die Fachleute sprechen von Power-to-Gas – wird künftig eine bedeutende Rolle auf dem Weg zu einer klimaneutralen Energieversorgung spielen: Sie kann elektrischen Strom für lange Zeit in Form von Gas speichern, um bei Bedarf als CO₂-neutraler Brenn- oder Treibstoff fossiles Erdgas zu ersetzen oder in einem Blockheizkraftwerk zu Winterstrom verfeuert zu werden. Langzeitspeicher sind eine Voraussetzung, damit künftig in der Schweiz die Verteilung von erneuerbarem Strom und Wärme über das ganze Jahr reibungslos und effizient funktioniert.
«Es braucht ein Konglomerat verschiedener Energieformen, damit die richtige Energie zur richtigen Zeit vorhanden ist», sagt Patrik Feusi, Geschäftsführer von Limeco. Die Firma in Dietikon im Limmattal ist Bauherrin und Betreiberin des Power-to-Gas-Kraftwerkes. Sie ist mit dem Betrieb des neuen Kraftwerkes der Vorstellung eines vielseitigen Energiezentrums im Limmattal ein Stück nähergekommen.
Das Regiowerk Limeco, das acht Limmattaler Gemeinden gehört, hat alle Vorteile, um diese Vision zu realisieren. Es reinigt die Abwässer von 130’000 Einwohnern, verbrennt jährlich 95’000 Tonnen Abfall und produziert Fernwärme. Das Unternehmen hat einen Zugang zum Strom- und zum Gasnetz. Und mithilfe der Power-to-Gas-Anlage wird nun aus Abfall und Abwasser ein Rohstoff: Die Kehrichtverbrennungsanlage (KVA) produziert den erneuerbaren elektrischen Strom, der Wasser elektrolytisch in Sauerstoff und Wasserstoff spaltet.
Zwei Elektrolyseure produzieren im neuen Holzgebäude auf dem Areal der Abwasserreinigungsanlage (ARA) 450 Kubikmeter Wasserstoff pro Stunde. Die ARA liefert im Jahr rund 1,8 Millionen Kubikmeter Klärgas, angereichert mit Kohlendioxid (CO₂), das durch die Vergärung des Klärschlammes aus der Abwasserreinigung in den Faultürmen entsteht. Das Herz der neuen Anlage – und das ist das Besondere – ist der Bioreaktor: Dort verarbeiten Mikroorganismen, Archaeen aus dem Klärschlamm, den Wasserstoff und das CO₂ zu Biomethan.
Das synthetisierte Gas, das chemisch dem Erdgas entspricht, wird anschliessend ins Gasnetz eingespeist. Einmal im Netz, kann es als CO₂-neutraler Brenn- oder Treibstoff dienen. 4000 bis 5000 Tonnen CO₂ pro Jahr werden auf diese Weise laut den Betreibern reduziert. Das entspricht etwa dem CO₂-Ausstoss fossiler Heizungen von rund 2000 Haushalten.
Die Idee zu dieser Anlage hatte vor sechs Jahren Swisspower, eine Allianz von 22 Schweizer Stadtwerken und regionalen Unternehmen der Versorgungswirtschaft, zusammen mit weiteren Stadtwerken und der Limeco. «Wir überlegten uns, wie wir die CO₂-Emissionen im Klärgas der ARA und in Zukunft auch jene aus den Abgasen der KVA sinnvoll verwenden können», sagt Thomas Peyer, Energiespezialist von Swisspower.
Derzeit die einzige Option, um den Sommerstrom saisonal zu speichern
Limeco ist mit der biologischen Methanisierung in dieser Grössenordnung ein Vorreiter. Die Anlage ist allerdings erst ein kleiner Schritt. «Wir wollen in erster Linie belegen, dass diese Technologie auch grosstechnisch funktioniert und flexibel in einem realen Umfeld einsetzbar ist», sagt Thomas Di Lorenzo, Leiter der Abwasserwirtschaft bei Limeco. Der flexible Einsatz verschiedener Energiequellen ist denn auch Bedingung für die angestrebte Energieversorgung mit erneuerbaren Energien wie der Solarkraft, die wetterbedingt und abhängig von der Jahreszeit unterschiedlich viel Strom liefert.
Je grösser der Anlagenpark an Fotovoltaik und Wind wird, desto häufiger gibt es Schwankungen im Stromnetz, die ausbalanciert werden müssen. Zudem ist die Krux: Die Stromnachfrage ist im Sommer kleiner als im Winter, die Solaranlagen produzieren jedoch in der warmen Jahreszeit deutlich mehr Strom als in den kalten Monaten. Dieses Ungleichgewicht muss deshalb ausgeglichen werden.
Das heisst: Baut die Schweiz die Fotovoltaik in den nächsten Jahren massiv aus, wird in den Sommermonaten viel ungenutzter Strom anfallen, der das Stromnetz überlastet. Entsprechend braucht es Energiequellen und Speicher, die flexibel einsetzbar sind. Thomas Peyer von Swisspower erklärt es so: «Wenn es zu einem massiven Stromüberschuss kommt, ist Strom aus der KVA nicht mehr gefragt und hat keinen Wert mehr. Dafür haben wir die Option, Gas herzustellen und zu speichern, das im Winter zur Produktion von Wärme und Strom verwendet werden kann.»
«Die Technologie wie in Dietikon ist derzeit die einzige Option, um den ungenutzten Strom, der im Sommer entstehen wird, saisonal zu speichern», sagt Christian Bauer. Der Energieforscher beim Paul-Scherrer-Institut (PSI) ist Mitautor einer Studie über die Perspektiven der Langzeitspeicherung in der Schweiz. Ohne saisonale Speicherung werde es nicht gehen, um die Stromversorgung im Winter zu sichern. Ausser die Schweiz importiere viel Strom, an dem es aber ohne Stromabkommen mit der EU schon in den nächsten Jahren mangeln könnte. «Um die Winterstromlücke zu schliessen, brauchen wir alle verfügbaren Technologien», sagt Thomas Peyer von Swisspower. Power-to-Gas sei nur eine davon – neben anderen wie Wasserspeicherkraftwerken, Biogasanlagen und alpinen Fotovoltaikanlagen.
«Längerfristig, ab 2035, ist das Potenzial gross.»
Noch wird Power-to-Gas für die Energieversorgung keine grosse Rolle spielen, weil die Überschüsse aus dem Solarstrom heute noch nicht vorhanden sind. Längerfristig jedoch, ab 2035, sei das Potenzial gross, vorausgesetzt, die Schweiz baue die Fotovoltaik in den nächsten Jahren massiv aus, sagt Bauer.
Grundsätzlich bieten sich Standorte an, die über eine CO₂-Quelle verfügen. Etwa KVA, Zementwerke oder Kläranlagen. Elektrolyseure für die Produktion von Wasserstoff lassen sich überall errichten. Und für die Methanisierung gibt es auch chemische Verfahren, es braucht dazu keine Bioreaktoren. Die Kläranlagen gehören jedoch gemäss einer Studie von Swisspower zu den geeignetsten Standorten für Power-to-Gas. Voraussetzungen wie in Dietikon gibt es allerdings nicht überall. «Beispielsweise in Biel, Oftringen, Zuchwil und an weiteren Standorten sind die gleichen Bedingungen wie bei Limeco vorhanden», sagt Thomas Peyer.
«Die Kosten sind noch relativ hoch.»
Noch ist diese Technologie nicht marktreif, und die Produktion von Wasserstoff und synthetisiertem Methan ist noch teuer. Die Kosten des in Dietikon produzierten erneuerbaren Gases sind direkt vom Strompreis abhängig. «Deshalb sind die Kosten im Moment relativ hoch», sagt Thomas Peyer von Swisspower. Allerdings sei auch das Erdgas heute viel teurer als noch vor einem halben Jahr. Hinzu kommt in Dietikon der Vorteil, dass das im Klärgas der ARA vorhandene Methan – neben CO₂ – ohne zusätzliche Kosten auch genutzt werden kann. Was den Preis wiederum reduziert. So ist der Preis des in Dietikon produzierten erneuerbaren Gases laut Peyer vergleichbar mit dem Preis von Schweizer Biogas aus organischen Abfällen und Gülle. Beide Produkte sind aber CO₂-neutral. «Dieser Mehrwert macht das Gas natürlich teurer als fossiles Erdgas zum Beispiel aus Russland», sagt Thomas Peyer von Swisspower.
Limeco profitiert von acht Schweizer Energieversorgern, die als Gasabnehmer auch die Investitionen von rund 14 Millionen Franken mitfinanzierten. Und was zahlen die Partner für das Gas? «Die Partner erwerben ein Zertifikat, das sich an den Gestehungskosten des erneuerbaren Gases orientiert», sagt Peyer. Diesen Ausweis des ökologischen Nutzens des CO₂-freien Gases verkaufen sie dann ihren Endkunden. Diese müssen im Gegenzug keine CO₂-Abgabe leisten. «Momentan gibt es keine günstigeren Alternativen, was in 20 Jahren sein wird, wissen wir allerdings nicht», sagt Christian Bauer vom Paul-Scherrer-Institut. Massive Kostensenkungen erwarten die Experten vor allem bei der Herstellung der Elektrolyseure. Dennoch ergebe es Sinn, in der Schweiz in diese Technologie zu investieren. Überschüssiger Mittagsstrom in den Sommermonaten ist praktisch gratis, und der Strompreis ist letztlich der Kostentreiber von Power-to-Gas.
So gross das Potenzial von Power-to-Gas ist, ohne Gas aus dem Ausland wird es wohl auch in Zukunft nicht gehen. «Wenn wir alles dekarbonisieren wollen, also auch den Flugtreibstoff, kommen wir nicht darum herum, aus Regionen zu importieren, in denen synthetischer Treibstoff günstiger hergestellt wird», sagt Bauer.
Die Demonstrationsanlage der Limeco jedenfalls wird nicht nur technisches Know-how liefern, sondern auch aufzeigen, welche gesetzlichen Rahmenbedingungen der Bund festlegen muss, damit bereits in den nächsten Jahren weitere Anlagen gebaut werden. «Gut wäre, der Bund würde eine Szenarienanalyse machen, um das Potenzial und die Wirtschaftlichkeit dieser Technologie neu zu beurteilen», sagt PSI-Forscher Christian Bauer. Denn: Das Marktumfeld mit dem teuer gewordenen ausländischen Gas hat sich massiv verändert.
Fehler gefunden?Jetzt melden.