Deutsche Maut-AffäreWie ein Wahlkampfschlager zum sündteuren Debakel wurde
Verkehrsminister Andreas Scheuer kämpft um sein politisches Überleben. Der CSU-Politiker muss den Vorwurf entkräften, den Bundestag belogen zu haben.
Seit sieben Jahren nervt eine deutsche Autobahngebühr, die faktisch nur Ausländer hätten bezahlen müssen, Deutschland und seine Nachbarn. Die CSU hatte die Schildbürgerei ersonnen, der Europäische Gerichtshof sie versenkt, jetzt wird der Schaden bilanziert: Die Betreiber klagen eine halbe Milliarde Euro entgangene Gewinne ein. Und der Minister, der damals mit ihnen verhandelte, muss vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss beweisen, dass er weder gelogen noch Gesetze gebrochen hat.
Die «Ausländer-Maut» war während Jahren ein Lieblingsprojekt der bayerischen CSU. Der damalige Chef Horst Seehofer erfand sie 2013, um seinen dümpelnden Wahlkampf aufzuwecken. Nach gewonnener Wahl boxte er sie in den Koalitionsvertrag, obwohl Kanzlerin Angela Merkel zuvor noch garantiert hatte, dass es eine solche Maut mit ihr nicht geben werde.
Seehofer entsandte seinen treuen Knappen Alexander Dobrindt als Verkehrsminister nach Berlin, um das Versprechen umzusetzen. Drei Jahre später hatte nur noch die EU-Kommission Einwände; Dobrindt konnte diese aber in Verhandlungen mit Jean-Claude Juncker ausräumen. Dann klagte auf einmal Österreich. Im Juni 2019 gab der Europäische Gerichtshof Wien auf der ganzen Linie recht. Die Maut war tot – Merkel hatte am Ende sogar noch recht behalten.
Andreas Scheuer, noch einer aus Seehofers Garde, hatte das Projekt von Dobrindt geerbt, als er diesem im März 2018 als Verkehrsminister folgte. Der damals 43-jährige Niederbayer, ein energischer «Bauchentscheider» und fröhlicher «Verkäufer», musste schon vor dem Veto aus Luxemburg feststellen, dass die Maut schwer umzusetzen war.
Scheuer hatte nun ein Problem: Wie liess sich der Preis schnell um eine Milliarde drücken?
Aus dem Bieterwettbewerb der Unternehmen, die die geplante Maut eintreiben sollten, blieb am Ende nur ein einziges Konsortium übrig. Und das bot die Leistung für drei Milliarden Euro an statt für zwei, wie es der Bundestag genehmigt hatte. Scheuer hatte nun ein Problem: Wie liess sich der Preis schnell um eine Milliarde drücken?
Nach Ansicht des Bundesrechnungshofs, der das Verfahren minutiös überprüfte, sowie des von der Opposition eingesetzten Untersuchungsausschusses des Bundestags begann Scheuer Geheimverhandlungen mit den Betreibern. Die Treffen, die vom Ministerium nicht protokolliert wurden, wurden erst durch Recherchen des «Spiegels» bekannt.
Steuergelder fahrlässig riskiert?
Scheuer wird vorgeworfen, er habe in den Nachverhandlungen einen Teil der vorgesehenen Kosten in eine Art «Schattenhaushalt» verschoben, um das genehmigte Budget wenigstens auf dem Papier einzuhalten. Dabei habe er sowohl gegen das Vergabe- wie gegen das Haushaltsrecht in eklatanter Weise verstossen.
Politisch noch explosiver ist der Vorwurf, die Betreiber hätten Scheuer vorgeschlagen, das Urteil aus Luxemburg abzuwarten, bevor der Vertrag unterschrieben werde. Wäre der Minister dem Rat gefolgt, wäre bei einem negativen Schiedsspruch kein Schadenersatz fällig geworden. Scheuer jedoch, so sagen Insider, sei es wichtiger gewesen, die Maut wie versprochen noch 2018 zu «liefern» – Risiken für die Steuerzahler hin oder her.
Scheuer behauptete vor einem Jahr im Bundestag, dieses Angebot der Betreiberfirmen habe es «nie gegeben». Im Untersuchungsausschuss wiederholten am Donnerstag deren Chefs den damaligen Vorschlag jedoch öffentlich. Die Sozialdemokraten, Partner von Merkels Christdemokraten in der Regierung, erneuerten ihre Drohung: Scheuer sei als Minister nicht mehr tragbar, sollte sich herausstellen, dass er den Bundestag belogen habe.
Am späten Donnerstagabend sollte erstmals auch Scheuer vor dem Ausschuss aussagen. Es wurde erwartet, dass er die Darstellung der Firmen bestreiten würde, mit denen er im Streit liegt. Ob ihm das das politische Überleben sichert, dürfte am Ende vor allem von CSU-Chef Markus Söder abhängen. Die Indizien gegen Scheuer waren aber schon zuvor ziemlich erdrückend.
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