Zulassung von Medikamenten Wie ein Pharmakonzern den Patentschutz bis zum Letzten ausreizt
Abbvie hat den Schutz für seinen Bestseller Humira jahrelang künstlich in die Länge gezogen und Milliarden damit verdient. Auch wegen Versäumnissen der Politik mussten Patientinnen und Patienten zu viel bezahlen.
Die USA sind der grösste und teuerste Medikamentenmarkt der Welt. Das macht ihn anfällig für Missbrauch. Kaum ein anderer Pharmakonzern nützte das intransparente System allerdings unverschämter aus als Abbvie. Das Patent des Biotechkonzerns für das entzündungshemmende Medikament Humira lief 2016 aus. Zu dem Zeitpunkt standen mehrere Konkurrenten mit günstigeren Biosimilars bereit, wie Generika von biologisch hergestellten Arzneimitteln genannt werden.
Doch Abbvie schottete sein Medikament mit 165 Patenten und flächendeckenden Klagen gegen alle Konkurrenten ab und verschaffte sich damit zusätzlich sieben Jahre Patentschutz. Das erlaubte es ihm, den Preis für Humira seit 2016 nicht weniger als 30-mal zu erhöhen. Von 50’000 auf fast 90’000 Dollar für eine Jahresdosis des Medikaments, das gegen unter anderem Arthritis und Psoriasis verschrieben wird. 114 Milliarden Dollar – so viel zusätzlichen Umsatz erwirtschaftete Abbvie dadurch.
Auf Zeit gespielt
Auch Sandoz ist davon betroffen: Die Generikatochter von Novartis verkauft ihr Anti-Entzündungs-Biosimilar seit 2018 unter dem Namen Hyrimoz. Das Medikament ist in 57 Ländern auf dem Markt und belegt in Europa die Spitzenposition. Nicht so in den USA: Hier prallte Sandoz auf die Patentmauer von Abbvie.
Fachleute sprechen von einem in dieser Form noch nie gesehenen Abwehrriegel gegen Konkurrenten, der das Versprechen der Branche, mit Biosimilars die Gesundheitskosten senken zu wollen, als leere Behauptung entlarvt. Befürchtet wird, dass dies Schule macht. Sicher ist, dass wohl noch kein Pharma- oder Biotechkonzern das Patentrecht derart schamlos ausgenutzt hat.
«Humira ist das Paradebeispiel dafür, wie ungehemmt die Pharmaindustrie in den USA noch immer agieren kann.»
Das Vorgehen ist zwar legal, aber ethisch höchst fragwürdig, monieren Kritikerinnen und Kritiker. «Humira ist das Paradebeispiel dafür, wie ungehemmt die Pharmaindustrie in den USA noch immer agieren kann», sagt Rachel Sachs, Gesundheitsexpertin der Washington University in St. Louis. Gemäss einer Studie des AMA Journal of Ethics sind die hohen Preise dafür verantwortlich, dass Biopharmaka nicht breiter eingesetzt werden.
Nur leise Kritik aus der Schweiz
Der Kampf um Humira hat eben erst begonnen. Diese Woche brachte der Biotechkonzern Amgen das erste Nachahmerprodukt nach Ablauf der Patentfrist auf den Markt. Neun weitere Hersteller drängen noch dieses Jahr auf den US-Markt. Die Nachahmerprodukte sind allerdings nicht völlig deckungsgleich mit dem Original, da sie auf der Basis lebender Organismen hergestellt werden. Deshalb sind Biosimilars in der Regel nur 20 bis 30 Prozent billiger als das Original, während Generika der traditionellen chemischen Pharmaindustrie um bis zu 90 Prozent billiger sind.
Sandoz will sich zum Preis von Hyrimoz in den USA nicht äussern, verweist nur darauf, dass das Präparat in der Schweiz mit einem Discount von 25 Prozent verkauft wird. Auch von einer offenen Kritik an der jahrelangen Blockade von Abbvie schreckt der Schweizer Konzern zurück. «Biosimilars sollten den Patienten und Ärzten so rasch als möglich zur Verfügung gestellt werden, wenn wir das Versprechen eines erleichterten Zugangs und tieferer Gesundheitskosten einlösen wollen», so Stefan Hendriks, Biopharmaka-Chef von Sandoz.
Zur Tragweite der Auflösung des Abbvie-Monopols erklärte Sandoz-Kommunikationschef Satoshi Sugimoto, dass Biosimilars eine zentrale Rolle für das Gesundheitswesen spielten. «Sie machen jedoch nur dann einen Unterschied aus, wenn sie den Patienten rasch zur Verfügung stehen.»
Der US-Kongress blockiert sämtliche Versuche, Preisverhandlungen durch den Staat wie in Europa zu erlauben.
Die prompte Zulassung von Nachahmerpräparaten in den USA ist vor allem für pensionierte Patientinnen und Patienten wichtig. Übernahm vorher meist die Krankenkasse des Arbeitgebers die Kosten für die Behandlung, wechseln sie mit der Pensionierung in die staatliche Medicare-Versicherung. Hier gilt ein Selbstbehalt von bis zu 8000 Dollar.
Dies aber sprengt das Budget vieler Patienten, heisst es in einem Bericht des US-Kongresses vom letzten Jahr. Abbvie habe die Preise weit über die Forschungs- und Entwicklungskosten angehoben, und das wiederum habe dem Management erlaubt, sich laufend höhere Boni zu verschaffen. Die Politik allerdings trägt massive Mitschuld. Abbvie stellte Medicare zwischen 2010 und 2018 eine Rechnung von 9,9 Milliarden Dollar für Humira. Hätte der Staat seine Verhandlungsmacht ausspielen können, so hätte er und damit die Versicherten 7,4 Milliarden Dollar sparen können. Sämtliche Versuche, Preisverhandlungen durch den Staat wie in Europa zu erlauben, werden vom Kongress jedoch seit Jahren blockiert.
Noch immer werden Tantiemen fällig
Sandoz rechnet mit einem raschen Durchbruch für Hyrimoz in den USA. «In Europa sind wir mit einem Marktanteil von über 30 Prozent noch vor Amgen und Biogen die Biosimilar-Nummer-eins, ebenso in Kanada», sagt Sugimoto. «Und in den USA setzte sich jedes Biosimilar, das wir bisher lanciert haben, ebenfalls an die Spitze, auch wenn wir nicht immer die Ersten waren, die ein Medikament lanciert haben. Unsere globale Führungserfahrung ist der entscheidende Vorteil im hart umkämpften US-Markt.»
Abbvie prognostiziert dieses Jahr zwar einen 45 Prozent tieferen Umsatz mit Humira, aber deswegen kommt die Gewinnmaschine nicht zum Stehen. Die Hersteller der Biosimilar-Nachahmerpräparate müssen auch weiterhin Tantiemen an Abbvie überweisen. Wie viel und wie lange Sandoz noch zahlen muss, will das Unternehmen nicht sagen.
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