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ETH-Sicherheitsstudie
Eine Annäherung an die Nato ist in der Schweiz so populär wie nie

Die Beziehung der Schweizerinnen und Schweizer zur Armee hat sich im letzten Jahr verändert.
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Der Einmarsch Putins in die Ukraine war nicht nur geopolitisch ein Epochenbruch. Er hat auch in der Schweiz vermeintliche Gewissheiten ins Wanken gebracht. Neue Hinweise darauf, wie die Bevölkerung in Fragen der Sicherheit und der Neutralität denkt, liefert nun eine Studie des Center for Security Studies und der Militärakademie an der ETH Zürich.

Seit rund drei Jahrzehnten werden im Rahmen der Studienreihe «Sicherheit» die Einstellungen der Schweizer Stimmbevölkerung in Fragen der Sicherheits- und Aussenpolitik vermessen. Die lange Zeitspanne erlaubt es, zwischen Momentaufnahmen und längerfristigen Trends zu unterscheiden. 

Fünf interessante Erkenntnisse der Studie «Sicherheit 2023»:

Der Krieg hat unser Sicherheitsgefühl nicht beeinträchtigt

In den vielen Jahren, in denen der Militärsoziologe Tibor Szvircsev Tresch schon für die Sicherheitsstudie verantwortlich ist, gibt es eine verblüffende Konstante: Kaum etwas vermag das Sicherheitsempfinden der Schweizerinnen und Schweizer nachhaltig zu stören. Zwar gab es immer mal wieder kurzfristige Phasen der Angst – so etwa nach den Terroranschlägen von 9/11. Allerdings erholte sich die Stimmung jeweils rasch wieder.

Dass diese Gesetzmässigkeit selbst nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs noch gilt, überrascht selbst Szvircsev Tresch. 94 Prozent der Befragten gaben im Januar 2023 an, sich eher oder sehr sicher zu fühlen. «Ich hätte ehrlich gesagt erwartet, dass unser Sicherheitsempfinden durch diesen Angriffskrieg nachhaltiger gestört wird», sagt der Soziologe. 

Der Gedanke, dass die Schweiz eine Insel der Glückseligen ist, ist offenbar tief in den Köpfen verankert. So äussern sich 81 Prozent optimistisch, was die nähere Zukunft der Schweiz betrifft – aber nur 24 Prozent sind zuversichtlich, was die nähere Zukunft der Welt betrifft.

Wir vertrauen Politik und Medien

Im Zuge des Ukraine-Kriegs und der Pandemie hatten Kanäle, die Desinformation verbreiten, Konjunktur. Häufig nehmen die Absender solcher Botschaften eine sogenannte politische Elite sowie die Medien ins Visier. Wie sich nun zeigt, hat das Vertrauen in diese Institutionen in der breiten Bevölkerung jedoch nicht gelitten – im Gegenteil. 

Das Vertrauen in den Bundesrat und das Parlament bleibt hoch. Jenes in die politischen Parteien hat gar zugenommen, ebenso wie das Vertrauen in die Medien. Dabei vertrauen politisch links eingestellte Menschen den Medien mehr als Personen aus dem rechten Spektrum. Szvircsev Tresch verweist darauf, dass sich die Unterschiede mit der Covid-Pandemie akzentuiert haben. 

Der Soziologe erklärt sich die generell hohen Vertrauenswerte mit der Stabilität des Schweizer Systems. «Selbst wenn sich die Welt im Krisenmodus befindet, weist die Schweizer Politik eine hohe Kontinuität auf. Das zeigte sich jüngst bei den Zürcher Kantonsratswahlen wieder, wo es lediglich zu Veränderungen im Promillebereich kam.» 

Weiter geht Szvircsev Tresch davon aus, dass sich viele Menschen gerade in Zeiten von Fake News nach verlässlichen Informationsquellen sehnen und sich daher ihr Vertrauen in die herkömmlichen Medien gefestigt hat.

Die USA geniessen mehr Sympathien

Die Studienteilnehmer und -teilnehmerinnen wurden auch nach ihrer Einstellung zu ausgewählten Ländern befragt. Es zeigt sich: Am meisten vertrauen wir unseren Nachbarländern, allen voran Österreich mit einer Rekordquote von 95 Prozent. 

Eine markante Veränderung gab es mit Blick auf die USA: Den Vereinigten Staaten wird deutlich mehr Vertrauen entgegengebracht als noch vor vier Jahren. Die Studienautorinnen und -autoren vermuten, dass dies mit dem Regierungswechsel von Donald Trump zu Joe Biden zu erklären ist.

Gleichzeitig ist das Vertrauen in autoritär regierte Staaten wie China, Nordkorea, Iran und Russland stark gesunken. Ein Zusammenhang fällt hier laut Szvircsev Tresch auf: Wer dem Bundesrat misstraut, hat in der Tendenz eine höhere Affinität zu Russland und anderen autokratisch regierten Staaten.

Eine Annäherung an die Nato wird salonfähig

Die Forderung nach einer Annäherung an die Nato ist in der Schweizer Stimmbevölkerung so populär wie noch nie. 55 Prozent gaben an, eine solche Annäherung zu unterstützen, wobei in der Studie nicht näher definiert ist, wie eine solche Zusammenarbeit aussehen würde. Ein Beitritt der Schweiz zur Nato wird hingegen nur von einer Minderheit von 31 Prozent unterstützt.

Laut Militärsoziologe Szvircsev Tresch war schon in der Vergangenheit zu beobachten, dass das Bedürfnis nach Schutz gestiegen ist, sobald Krieg in Europa herrschte. So gab es während des Bosnien- und des Kosovokriegs ebenfalls Peaks in der Zustimmungskurve, in geringerem Masse auch nach der Annexion der Krim 2014. 

«Was aktuell sicher auch zu den hohen Zustimmungswerten beiträgt, ist der Umstand, dass sich FDP-Präsident Thierry Burkart und Mitte-Chef Gerhard Pfister für eine Annäherung an die Nato ausgesprochen haben. Die Position wurde damit enttabuisiert», so der Studienautor.

Zweifel am Konzept der bewaffneten Neutralität

Auch das ist eine Konstante in der langen Geschichte der Sicherheitsstudie: Die Zustimmung zum Neutralitätsprinzip blieb stets hoch. Gegenwärtig stehen 91 Prozent hinter der Schweizer Neutralität. 

«Der Ukraine-Krieg war gewissermassen ein Realitätscheck: Einige Leute stellten sich zum ersten Mal überhaupt die Frage, was Neutralität genau bedeutet.»

Militärsoziologe Tibor Szvircsev Tresch

Kratzer bekam jedoch das Konzept der bewaffneten Neutralität. 52 Prozent geben an, dass sie nicht glauben, dass die Schweizer Neutralität heute militärisch noch glaubhaft geschützt werden kann. Gleichzeitig sind nur noch 55 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer der Meinung, die Schweiz werde dank der Neutralität nicht in internationale Konflikte hineingezogen – das entspricht einem Minus von 14 Prozentpunkten gegenüber Januar 2022. 

«Der Ukraine-Krieg war gewissermassen ein Realitätscheck: Einige Leute stellten sich zum ersten Mal überhaupt die Frage, was Neutralität genau bedeutet», sagt Szvircsev Tresch. 

Eine politische Handlungsempfehlung lässt sich aus den Resultaten allerdings nur schwer ableiten. So stellen sich 57 Prozent der Befragten hinter ein Konzept, das die Verfasserinnen und Verfasser der Studie «differenzielle Neutralität» nennen: Bei politischen Konflikten soll die Schweiz demnach klar Stellung beziehen, bei militärischen Konflikten hingegen neutral bleiben. Nur 27 Prozent geben an, dass die Schweiz auch bei militärischen Konflikten klar Stellung für die eine oder andere Seite beziehen sollte. 

Gleichzeitig stützen 75 Prozent der Befragten die Sanktionen gegen Russland, und fast ebenso viele sind der Meinung, dass die Sanktionen im Einklang mit der schweizerischen Neutralität stehen.

Welchen Reim soll man sich darauf machen? Szvircsev Tresch räumt ein, dass das langjährige Studiendesign hier auch an gewisse Grenzen stösst: «Viele der wiederkehrenden Fragen wurden kurz nach Ende des Kalten Kriegs definiert. Damals konnte man es sich nur schwer vorstellen, dass die Schweiz neutralitätspolitisch je wieder mit solchen Entscheidungen konfrontiert sein würde, wie sie es nun im Zuge des Ukraine-Kriegs ist.»