Medizin aus dem GewürzregalWie Chili, Knoblauch und Co. uns helfen
Gewürze verfeinern nicht nur unsere Speisen – viele haben auch eine heilende Wirkung.
Seit Jahrtausenden werden Gewürze in der Medizin als Heilmittel genutzt. Inzwischen belegen auch wissenschaftliche Studien ihre Wirksamkeit.
Beispiel Chili: Die in der Beerenfrucht der Paprikapflanze enthaltene Scharfsubstanz Capsaicin wirkt Forschungen zufolge den schädlichen freien Radikalen entgegen und lässt sogar Tumorzellen absterben.
Curry-Mischungen ihrerseits haben einen vorbeugenden Effekt gegen Krebs.
Und Kurkuma (Gelbwurz) wirkt entzündungshemmend, hilft gegen Leberschäden, Krebs sowie bei der Wundheilung. Die Liste liesse sich beinahe endlos weiterführen.
Gewürze haben also bedeutend mehr Effekte, als «bloss» das gewisse Etwas ins Essen zu bringen. Neu ist diese Erkenntnis zwar nicht. Das Wissen um die heilende Wirkung der Gewürze wurde durch die moderne Medizin aber zunehmend verdrängt.
Grosse Bedeutung in der fernöstlichen Medizin
Dabei findet man in vielen Kulturen Spuren der Gewürzmedizin. Im Ayurveda – der fast 5000 Jahre alten indischen Heilkunst – kommt Gewürzen grosse Bedeutung zu, ebenso in der Traditionellen Chinesischen Medizin. Die Mayas in Mittelamerika benutzten gegen Bauchkrämpfe scharfe Chilischoten, die auch bei Durchfall oder Zahnfleischerkrankungen halfen. Und der griechische Arzt Hippokrates (460–370 v. Chr.), der als Begründer der modernen Medizin gilt, führte unter den rund 300 von ihm erwähnten Heilmitteln viele Gewürze auf.
Einige Indianerkulturen Lateinamerikas machten mit zerquetschten Paprikaschoten Umschläge gegen Knochen- und Muskelschmerzen. Im alten Ägypten zwang man während des Baus der Pyramiden die Sklaven, reichlich Knoblauch zu essen, damit sie bei Kräften blieben.
Auch in Europa weiss man eigentlich schon lange von der Heilkraft der Gewürze. Die Äbtissin und Gnostikerin Hildegard von Bingen (1098–1179) empfahl bereits im 12. Jahrhundert bei einigen Krankheiten und Beschwerden Gewürze. Später wurde Pfarrer Sebastian Kneipp mit ähnlichen Rezepten bekannt.
Pflanze oder Droge?
Heute kennt sich in der Schweiz auf diesem Gebiet der emeritierte Professor Reinhard Saller am besten aus, ehemaliger Inhaber des Lehrstuhls für Naturheilkunde an der Universität Zürich und Co-Autor des Buches «Die Heilkraft der Gewürze» (leider nur noch antiquarisch erhältlich).
Er sagt: «In praktisch allen näher bekannten Medizinkulturen wurden Gewürze zu therapeutischen Zwecken verwendet. Beispielsweise im Mittelmeerraum, im Irak, im Iran, in Indien, in Tibet, in den chinesischen Gebieten, in der Mongolei, in Nord- und Ostafrika, aber auch in Mittel- und Südamerika.»
Die medizinische Verwendung von Gewürzen wurde in fast allen Erdteilen über Generationen hinweg überliefert. Allerdings erweist sich dabei die Unterscheidung zwischen Gewürzmedizin und Pflanzenheilkunde als sehr schwierig. Pflanzen und Drogen (Drogen nennt man die verwendeten Pflanzenteile, Anmerkung der Red.), die als Gewürze gebraucht würden, kämen häufig auch direkt als Arznei- und Heilpflanzen zum Einsatz, meist jedoch in höheren Dosierungen, erklärt Saller. «Der Unterschied zwischen Gewürzen und Heilpflanzen ist also mitunter nur ein quantitativer. Die Anwendung als Arznei- beziehungsweise Heilmittel erfolgt in höherer Dosierung, während Gewürzdosierungen ‹milde› therapeutische und vor allem eher präventive Wirkungen haben.»
So gesehen könnte beispielsweise Kümmel in der Gewürzdosierung – etwa als Zugabe in einem Krautsalat – Blähungen und Verdauungsschwierigkeiten vorbeugen. Sind bereits Blähungen vorhanden, müsste der Kümmel dann aber als Heilmittel höher dosiert eingesetzt werden.
Wirkung geht von Bitterstoffen aus
Welche Gewürze besonders heilsam sind, lässt sich nicht sagen. Man weiss jedoch, dass Anis, Kümmel, Fenchel, Salbei, Rosmarin, Thymian, Koriander, Ingwer, Knoblauch, Pfefferminze, Kurkuma (Gelbwurz), Zimt und Chili ein potenziell breites Wirkungsspektrum haben.
«Ganz allgemein spielen Bitterstoffdrogen und Scharfstoffdrogen eine grosse Rolle. Ebenso können qualitativ gute Gewürzmischungen wie etwa Curry vorbeugend und therapeutisch wertvoll sein», so der Experte.
Das Praktische daran: Je nach Bedarf ausgewählte Gewürze und Mischungen lassen sich mühelos in den Speiseplan einbauen.
Es gibt aber noch weitere innere Anwendungen: Gewürztee, -milch, -wein, -auszüge und -tinkturen.
Äusserliche Anwendungen sind Aromatherapie, Inhalation, Hautöl, Salben, Gewürzbäder, -wickel und -umschläge.
«Ich empfehle die gezielte Verwendung von Gewürzen beim Kochen.»
Während die Pflanzenmedizin (Phytotherapie) mittlerweile auch bei den meisten Schulmedizinern Respekt geniesst, ist die Gewürzmedizin davon noch weit entfernt. Doch laut Reinhard Saller besteht immerhin Hoffnung: «Der gezielte Einbezug von Gewürzen mit wissenschaftlich dokumentierten Wirkungen wird von kundigen Ärzten als sinnvolle präventive, aber auch therapeutische Möglichkeit angesehen.»
Kein Ersatz für Schulmedizin
In der Regel sind komplementärmedizinische Methoden aber nicht als Ersatz der Schulmedizin gedacht, sondern als Ergänzung. Der Experte sieht denn auch den Einsatz von Gewürzen und Gewürzmischungen hauptsächlich als vorbeugende Massnahme. «Ich empfehle die gezielte Verwendung von Gewürzen beim Kochen, denn die voraussagbaren Einflüsse auf Krankheiten sind vielfältig bekannt, desgleichen ihre gesunderhaltende Wirkungen.»
Obwohl die Gewürzmedizin auf eine jahrhundertealte Tradition zurückblickt, hat sie noch nicht all ihre Geheimnisse preisgegeben. Dennoch ist die Schulmedizin schon einigen auf die Spur gekommen. «In den letzten Jahren wurde vielfach wissenschaftlich nachgewiesen, dass in Gewürzen Substanzen und vor allem auch Substanzgemische vorhanden sind, die sich zumindest als Therapiebestandteil für die Behandlung von Krebs, Bluthochdruck, Diabetes oder verschiedene Infektionskrankheiten eignen», sagt Reinhard Saller.
Für den Gewürzexperten ist klar: «Phytotherapie hat Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Dementsprechend hat auch eine überlegte Anwendung von Gewürzen eine grosse Gegenwart und höchstwahrscheinlich grosses Potenzial für die Zukunft.»
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