Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Porträt einer Generation
Weshalb Millennials den Stillstand
so gut aushalten

Wir bleiben so lange mal drinnen: Ein junges Paar in Rom trinkt einen Apéro und wirkt zufrieden.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Noch ist die Pandemie nicht vorüber, schon legt der Schriftsteller Leif Randt mit «Allegro Pastell» den Quarantäne-Roman vor. Es ist ein Buch über eine Liebe in Zeiten der Distanzierung. Der 1982 geborene Webdesigner Jerome lebt im hessischen Maintal und führt per SMS eine Fernbeziehung mit Tanja in Berlin, ihrerseits Autorin eines «kurzen Romans». In Maintal dreht sich das Leben darum, «nicht gestört zu werden», und wenn Jerome mit Tanja etwas aushandelt, dann auf faire Art. Wörter, die in «Allegro Pastell» oft vorkommen, sind «nice», «okay», «relativ» und «eventuell».

Also gut, «Allegro Pastell» ist natürlich vor der Krise erschienen, Corona kommt nirgends vor. Die «Zeit» verglich den Roman mit einem direkten Blick ins «Licht der Gegenwart». Dass sich die Gegenwart seither schlagartig verdunkelt hat, schadet diesem Buch aber gar nicht.

Permanente Selbstbeobachtung

Es werden in «Allegro Pastell» Partys gefeiert und längere Zugreisen unternommen, das geht jetzt nicht mehr so gut. Aber das Grundgefühl des temperierten Wohlbefindens, das Leif Randt so entspannt beschreibt – das erklärt auch, weshalb gerade den Millennials die kollektive Selbstisolation keine allzu grossen Probleme bereitet.

Jerome und Tanja sind typische Vertreter dieser Kohorte: Menschen um die 30, die eine gute Beziehung zu ihren Eltern haben und sich bei dem, was sie tun, permanent selbst beobachten, da sie von wenig so unter Druck gesetzt werden wie von der Frage, mit welchen «Farben und Gesten» sie sich identifizieren sollen.

Treiben sie Sport, leben sie eine «gewisse Aggressivität» aus, ohne dass die Aktivitäten «in irgendeiner Weise gefährlich» werden könnten. Es ist noch möglich, dass man sich neu verliebt, aber wenn das passiert, stellt es sich dar als eine «Wiederholung bereits erlebter Gefühle». Die Globalisierung wird von Jerome und Tanja gleichzeitig «verdammt und umarmt». Wo jemand «ich» sagt, wird der Blick der anderen «automatisch mitgedacht».

Schriftsteller Leif Randt ist fast genauso alt wie der Protagonist Jerome in «Allegro Pastell», nämlich 36.

Leif Randt beschreibt eine Generation, die hervorragend gerüstet ist für den gedämpften Alltag im Lockdown. Wer um das Jahr 2000 aufgewachsen ist, nimmt wie Jerome eine «souveräne Distanz zu den Dingen» ein; das ist sowieso der Gesamtexistenzmodus der Millennials. Die Vertreter dieser Generation erleben kaum mehr etwas als neu und müssen deswegen auch nicht unbedingt immer raus, denn wie soll man so richtig tiefe Primärerfahrungen machen, wenn man ständig die Assoziationen der anderen mitreflektiert?

In Berlin pflegen Tanja und ihre Freunde ein «Konsumportfolio». Da ist es eine schlechte Pointe, dass die grösste Krise in vielen Millennial-Biografien einhergeht mit der Stilllegung von weiten Teilen der Konsum- und Lifestyle-Industrie. Dass die Identitätsmaschine Kapitalismus nicht mehr reibungslos läuft, das ist tatsächlich eine ganz neue Erfahrung.

Konkrete Stillstandserlebnisse

Die Nuller- und Zehnerjahre, in denen Jerome und Tanja erwachsen geworden sind, zeichnen sich auch kulturell durch Lähmungserscheinungen aus. Der britische Pop-Theoretiker Mark Fisher bezeichnete die Zeit als «hauntologisch», er meint einen gespenstisch eingefrorenen Zustand der Popkultur, gefangen in den Schleifen von Retrotrends, Filmreihen wie «Star Wars» oder den Songs von Adele, die vage nach früher klingen.

Es ist, als habe das 21. Jahrhundert noch gar nicht angefangen, stattdessen wird es heimgesucht von verlorenen Zukunftsvorstellungen; verloren, weil sie nie Wirklichkeit geworden sind. Und wenn man etwas Neues hört, fragt man sich: Kenne ich das nicht schon?

Auch Jerome und Tanja führen ein Leben im Loop, es geht immer weiter im ewigen Wirtschaftswachstum; schliesslich erlaubt nur die Profitsteigerung, dass alles seinen gewohnten Gang nimmt. Der Kulturjournalist Simon Reynolds schrieb vor zehn Jahren, das alltägliche Leben habe sich beschleunigt, während sich die Kultur verlangsamte. Jetzt ist auch der Alltag so weit, dass er auf der Stelle einfriert.

Natürlich können viele Millennials von ganz konkreten Stillstandserlebnissen erzählen: berufliche Stagnation oder sich ähnelnde Prekarisierungserfahrungen, kein Weiterkommen im Kampf gegen Hass und Sexismus, Ungleichheit und Klimawandel. Dass ohne menschliche Arbeitskraft wenig läuft, zeigt die Krise gerade sehr klar. Wer die eigene Zukunft auf einmal als ungewiss erlebt, merkt auch, dass es überhaupt eine Zukunft gibt, was, um es mit einem Leif-Randt-Wort zu sagen, durchaus eine «sinnvolle» Erfahrung sein könnte.

Es könnte nämlich heissen, dass wir, sobald wir wieder auf den Play-Knopf drücken, endlich etwas hören, was wir noch nicht kennen. Es wäre Zeit.