Weshalb die Börsen unbeirrt an Trump glauben
Der US-Präsident hat den Zollkrieg gegen China massiv ausgeweitet. Doch die Märkte reagieren weltweit milde. Das ist riskant.
Jetzt hat er es doch getan: US-Präsident Donald Trump hat seine Drohung vom letzten Wochenende wahr gemacht und die Zölle auf Einfuhren aus China im Umfang von 200 Milliarden Dollar von 10 Prozent auf 25 Prozent mehr als verdoppelt. Damit sind jetzt mit 250 Milliarden Dollar rund die Hälfte aller chinesischen Importe in die USA durch höhere Zölle belastet. Alleine die Drohung eines solchen Schrittes noch im Vorjahr hat an der Börse für grösste Unruhe gesorgt, und so gut wie alle Wirtschaftsprognostiker haben schlimme Folgen für die Weltwirtschaft prophezeit.
Seit der Ankündigung des heute beschlossenen Schrittes sind die Börsen weltweit leicht getaucht – aber nicht in einem Ausmass, das auf eine grössere Sorge hinweisen würde. Immerhin sind sie nach kräftigen Anstiegen im laufenden Jahr auch hoch bewertet. Heute – und das mag besonders verwundern – notierten die europäischen Börsen bei der Eröffnung sogar im Plus – inklusive jener der Schweiz. Gemessen an den Futures-Preisen, die einen Hinweis auf die Eröffnungskurse an den US-Märkten liefern, dürften auch die US-Märkte heute nicht mit grossen Verlusten in den Handel starten.
Waren die Ängste vor dem Handelskrieg also nicht mehr als heisse Luft? Keineswegs! Börsen widerspiegeln Erwartungen. Und diese gehen offenbar noch immer davon aus, dass selbst die nun beschlossene Einführung der Zölle der US-Seite bei den aktuell in Washington stattfindenden Gesprächen mit dem chinesischen Vizepremier Liu He mehr Gewicht verleiht. Dass die Chinesen überhaupt in die USA zu Verhandlungen gereist sind, obwohl erste Berichte nach Trumps Drohung auf das Gegenteil hindeuteten, wird weithin als Zeichen dafür gewertet, dass sie am Ende den US-Forderungen nachgeben werden.
China wollte die Gesetze nicht ändern
Die bereits am Wochenende angedrohte weitere und bisher stärkste Zollmassnahme im Handelskrieg haben die Amerikaner schliesslich damit begründet, dass die Chinesen in den letzten Verhandlungsrunden bereits Vereinbartes wieder infrage gestellt hätten. Das gilt vor allem für Absicherungsmassnahmen der Vereinbarungen – etwa, dass die Chinesen auch ihre Gesetze so ändern, dass zum Beispiel Diebstahl von geistigem Eigentum nicht mehr möglich sein soll. Die Chinesen haben diese Darstellung zurückgewiesen. Sie hätten keineswegs zurückbuchstabiert. Gesetzesänderungen könnten nicht per Handelsvertrag beschlossen und eingeführt werden. Auf die heute von Trump beschlossenen Massnahmen haben sie überdies bereits eine Vergeltung angekündigt, ohne diese genauer zu benennen.
Für die weiterhin optimistischen Erwartungen an den Kapitalmärkten spreche auch der «Trump-Put», schrieb Neil Irwin, ein Kommentator der «New York Times». In Anspielung auf die Derivatemärkte – wo Put-Optionen vor fallenden Aktienkursen schützen – meinte er damit, dass der US-Präsident bisher zur Genüge deutlich gemacht hat, dass er alles zu tun bereit ist, damit die Aktienmärkte nicht einbrechen. Denn an ihnen misst er den Erfolg seiner Politik, wie auch am Wachstum der US-Wirtschaft. Deshalb hat er unter Missachtung von deren Unabhängigkeit grossen Druck auf die US-Notenbank ausgeübt, die Zinsen nicht mehr weiter zu erhöhen, denn höhere Zinsen sind Gift für die Börsen.
Niemand kann sich entziehen
An den Aktienmärkten scheint die Überzeugung tatsächlich verbreitet zu sein, dass der Präsident nichts tun wird, was die Kurse und die Wirtschaft einbrechen lässt. Doch bleiben die heute beschlossenen Massnahmen in Kraft und – noch schlimmer – macht Trump seine Drohung ebenfalls wahr, künftig gleich alle Importe aus China mit hohen Zöllen zu belegen, dann sind die befürchteten Folgen nicht zu vermeiden. Leiden werden aber nicht nur die direkt betroffenen beiden Volkswirtschaften, sondern die Weltwirtschaft generell.
Das liegt zum einen an den indirekten Handelsverflechtungen: Wenn zum Beispiel Chinas Wirtschaft weniger wächst, kaufen die Chinesen auch weniger aus Europa ein. Das Reich im Osten ist zum Beispiel grösster Handelspartner Deutschlands. Und wenn die Deutschen leiden, spürt das auch die Schweiz. Zum anderen liegt es an den mittlerweile sehr komplexen Wertschöpfungsketten. Viele Produkte sind heute das Ergebnis von weltweit verstreuten Herstellungsprozessen und Rohstoffen. Fällt ein Produktionsstandort aus oder erweist sich angesichts von Zöllen als zu teuer, kann diese Produktionsstätte nicht über Nacht ersetzt werden. Damit können sehr viele Unternehmen und Länder betroffen sein. Wie schon die jüngste Erfahrung zeigt, werden auch US-Firmen und US-Konsumenten stark von den Zollmassnahmen der eigenen Regierung gegenüber China in Mitleidenschaft gezogen. Eine drastische Ausweitung der Zölle verschlimmert diese Folgen unweigerlich.
Die Warnungen vor den Folgen für die Wirtschaft weltweit und für die USA und Chinas im besonderen, sowie die Turbulenzen an den Börsen im letzten Jahr haben mit dazu beigetragen, dass Donald Trump die damals bereits angekündigten schärferen Massnahmen weiter hinausgezögert hat und beide Seiten zu Verhandlungen bereit waren. Dass sich die Kapitalmärkte seither beruhigt haben und sich die Wirtschaft gut weiterentwickelt hat, scheint jetzt dazu zu führen, dass die Risiken unterschätzt werden. In diesem Sinne ist die aktuelle Kursreaktion an den Börsen keine gute Entwicklung.
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