TV-Kritik «Tatort»Wer ist der Herr im Hirn?
Der Göttingen-«Tatort» erzählt von Mikrowellenwaffen und Wunderhelmen – und ist dabei gar nicht so weit von der Realität entfernt. Spannend, aber nicht subtil.
Die nach Göttingen strafversetzte Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) hat ein Messer am Hals. Mitten im Kommissariat. Ihre Kollegin Anaïs Schmitz greift beherzt ein und erschiesst den Angreifer im allerletzten Moment. Die ugandisch-deutsche Schauspielerin Florence Kasumba ist in ihrem zweiten Auftritt als «Tatort»-Kommissarin überhaupt eine starke Figur. Allerdings riecht die Doppelbesetzung mit zwei Hingucker-schönen, kühlen, einzelkämpferischen Frauen in Blond und Schwarz schon ein wenig nach stereotyper Baukastenästhetik.
Auch das Drehbuch zu «Krieg im Kopf» von «Tatort»-Routinier Christian Jeltsch glänzt nicht gerade durch Subtilität und leise Zwischentöne. Die schwarze Ermittlerin muss gar unter einer schizophrenen Mutter gelitten haben, das Menschliche ist insgesamt superkompliziert. Dass es zwischen der Lindholm und Schmitz’ Ehemann – Rechtsmediziner Nick Schmitz sieht man hier vor allem küssend (Daniel Donskoy) – auch noch erotisch knistert, weitet die ohnehin anstrengende Rivalität zwischen den Frauen aus: eine Steilvorlage für Knatsch in den kommenden Folgen.
Dafür funktioniert der Spannungsaufbau samt Last-Minute-Rettung der entscheidenden Zeugin in «Krieg im Kopf» perfekt. Die nur leicht ins Science-Fiction-Genre lappende Handlung hat durchaus ihren Schrecken. Es geht ums digitale Enhancement unserer Fähigkeiten: Der durchgedrehte Kriegsveteran, der am Anfang die Kommissarin bedroht, war, wie seine Untergebenen, bei einem fatalen Einsatz in Mali mit einem speziellen Helm ausgerüstet worden, mit dem das Schmerzempfinden heruntergedimmt, der Fokus heraufgefahren werden kann. Doch man verliert dabei sich selbst.
Ein anderes «Gadget» in diesem Krimi ist die Mikrowellenwaffe, die Schwindel bis Herzinfarkt auslöst. Man erinnert sich an die Mitarbeiter der US-Botschaft in Kuba, die eventuell unter genau solchen Mikrowellen-Angriffen litten. Weit weg von der Realität sind Jentschs Fantasien also nicht – zumal er zudem die gegenwärtigen Ängste vor dem Mobilfunkstandard 5G explizit thematisiert.
«In meinem Kopf sind die.»
Das Militär will die Vorgänge in Mali unter dem Deckel halten. So nimmt innerhalb des Kommissariats ein böser Gegenspieler die Ermittlerinnen ins Visier und lässt sie mit avancierter Technik traktieren. Allmählich verstehen die zwei die finale Klage des Soldaten: «In meinem Kopf sind die.»
Was brauchts mehr, um den Zuschauern einzuheizen? Richtig: Den Regisseur Jobst Oetzmann, der sich auf den Grusel der Langsamkeit versteht und auf den Gefühlskatalysator Grossaufnahme. Er lässt die Kommissarinnen taumeln, an sich selbst zweifeln, während die unsichtbare Waffe in ihren Gehirnen sirrt. Doch, doch, dieser «Tatort» lässts auch bei uns sirren.
Kritik, Rating, Diskussion
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