Jugend ohne Gott und Geborgenheit
Der «Tatort» aus Ludwigshafen zeigt die Rückseite der Generation Greta: die Kinder der Abgehängten unserer Gesellschaft. Mehr Kindertragödie als Krimi.
Das Spannendste am neuen «Tatort» aus Ludwigshafen ist nicht der Krimi. Die Ermordung eines ruppigen Kneipenwirts in Oggersheim, der alten Kohl-Heimat, wird zwar tatsächlich erst gegen Schluss aufgelöst, samt einem optisch super umgesetzten Wettlauf gegen die Zeit – mit aufregend retardierenden und gehetzt-atemlosen Momenten. Inhaltlich aber überzeugt diese Auflösung nicht recht.
Dafür macht sie noch mal klar, worum es dem Film im Grunde geht: um «Leonessa», wie der Titel des «Tatorts» lautet. Anders gesagt: um eine Jugend ohne Gott, ohne Geborgenheit, ohne sinnvolle Perspektive. Ums Aufwachsen im Wohnsilo, mit Eltern, die zu den Abgehängten der Gesellschaft gehören.
Brangelina für Arme
«Leonessa»: Das sind Leon und Vanessa, «Brangelina für Arme», wie die verwitwete Kneipenwirtin giftig kommentiert. Die 15-Jährige mit der krassen, blondierten Undercut-Frisur wird von der 20-jährigen Lena Urzendowsky grossartig gegeben in ihrer Zerbrochenheit und Härte. Ihre Eltern sind seit langem Hartz-IV-Empfänger («Alg II») und kommen da wohl nie mehr raus. Sie selbst hat sich emotional ausgeklinkt und scheffelt nicht erst seit dem Hauptschulabschluss Kohle als käufliche Gespielin pädophil veranlagter Männer.
Ihr Bruder im Geiste, Michelangelo Fortuzzi als der verlorene Leon mit trinkender Akademiker-Mutter und Einser-Abschluss, tut das Gleiche. Man passt beim «Jobben» aufeinander auf – und hütet zudem gemeinsam die Freundschaft zum ausländischen Nachbarsbuben wie einen Schatz. Denn Samir – ein starker Mohamed Issa – hat etwas Verträumt-Unschuldiges, Bitter-Süsses. Wie der Soundtrack mit den hinreissenden Unthanks.
Rund um dieses Trio und seinen Survivalmodus in einer Gesellschaft, die einem nichts schenkt, dreht sich das Buch von «Tatort»-Routinier Wolfgang Stauch. Regisseurin Connie Walther beleuchtet diesen Modus in langsamen, kühlen Bildern. Herumhängen im Park, Herumstehen in der Tiefgarage: Der «Tatort» beschleunigt hier nichts. Und die Rückblenden in dokumentarischem Schwarzweiss funktionieren wie eine abrupt gezogene Bremse.
Auch die altgediente Kommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) schafft es nicht, die brutale Spirale nach unten zu stoppen (Kollegin Stern bleibt ohnehin eher blass). Für die Rolle bedeutet das allerdings eine Fortsetzung des Aufschwungs seit der Jubiläumsfolge im November. Die Figur darf am Ende einfach hilflos sein, während Euroscheine auf die Verlierer unserer Zeit herunterregnen. Wir Zuschauer sind die Gewinner.
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