Der Lack ist ab im Glitzer-Kiez St. Pauli
Der neue Hamburg-«Tatort» räumt mit jeder Verklärung des Sexbusiness damals und heute auf. Und schaut, was Beziehung wirklich bedeutet.
Das Alter ist ein Massaker – und dort, wo man seine Haut buchstäblich zu Markte tragen muss, noch blutiger als anderswo. Davon erzählt der neue Hamburger «Tatort», und schon der Titel «Die goldene Zeit» deutet die ironisch-melancholische Mittellage des Films an. St. Pauli, der Glitzer-Kiez, war immer rau; und mittlerweile ist er grauslig in die Jahre gekommen. Der Lack ist ab.
Früher verstanden sich manche Kiez-Bürger weniger als Verlierer einer ausbeuterischen Entertainment-Maschinerie, eher als Querköpfe der Gesellschaft. Nun aber haben sie Falten im Gesicht und auf der Seele – wie Hauptkommissar Falke (Wotan Wilke Möhring), der als junger Mann bei Clan-Handlanger Lübke eine Art Lehrzeit gemacht hatte, bevor er sich auf die Seite der Gesetzestreuen schlug. Wie stark binden solche alten Bande?
«Wir haben nicht mehr 1990! Eisen-Lübke, das ist vorbei!»
«Hast du dich eigentlich jemals gefragt, wo du das alles gelernt hast?», fragt Lübke ihn vorwurfsvoll, als er selbst ins Zentrum von Falkes Mordermittlungen gerät: Michael Thomas gibt der Figur, die ein sentimentales Buch über die goldenen Kiez-Zeiten verfasst hat, ein starkes Profil.
Später wird Falke brüllen: «Wir haben nicht mehr 1990! Eisen-Lübke, das ist vorbei!» Vorbei, vorbei – das ist überhaupt der Grundton dieses jungen, passagenweise rasanten, dann wieder gekonnt retardierenden «Tatorts» der 34-jährigen Regisseurin und «Tatort»-Debütantin Mia Spengler. Einst hatte die Sippe der Pohls die Puffs samt Frauenhandel fest im Griff, inzwischen aber machen ihnen die Albaner erbarmungslos das Pflaster streitig. Der Pohl-Kronprinz wird von einem jugendlichen, aus Rumänien bestellten Kokain-Junkie abgestochen. Doch waren es wirklich die Albaner? Vielleicht gings auch um Rivalitäten innerhalb des Pohl-Clans.
Drehbuchautor Georg Lippert verklärt die Vergangenheit nicht; genauso wenig wie die moderne Vision – Illusion – von der selbstbestimmten Sexarbeiterin, die sich mit ihrem Einsatz im pohlschen «Love Dome» ein hübsches Einkommen verdient. Als Gegenstimme zu Falkes «Hart, aber herzlich»-Zugang tritt daher Kommissarin Grosz (Franziska Weisz) auf: Sie kann weder den smarten deutschen Puff-Manager leiden noch die Albaner oder die alte Pohl-Garde.
Spengler hält mit einer oft nervösen, immer kalten Bild- und Soundsprache gegen jede Rührseligkeit an; bisweilen ist das schier zu distanziert. Und okay, die schweren Jungs der Albaner-Mafia wirken wie herausgefischt aus der Stereotypen-Schachtel. Aber wie hier zwischen Splatter-Szenen und Milieu-Momenten zart, und dabei kein bisschen aufgerüscht, verschiedenste Beziehungen gezeichnet werden – nicht zuletzt jene zwischen dem abgehalfterten Lübke und dem jungen Killer (Bogdan Iancu) als Schicksalsgemeinschaft im Untergang: Das ist richtig feines Fernsehen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch