Vorreiter Schweden – nicht nur im FussballWer Frauen fördert, stärkt auch die Männer
Schweden gilt als Vorbild in Sachen Gleichstellung. Studien zeigen, dass damit die Chance auf sportlichen Erfolg steigt. An der Fussball-EM der Frauen gehört Schweden zu den Favoritinnen.
Am Mittwoch spielt die Schweiz an der Fussball-Europameisterschaft der Frauen gegen Schweden. Favoritinnen sind die Schwedinnen: Nummer 2 der Welt, WM-Dritte von 2019 und Silbermedaillengewinnerinnen an den Olympischen Spielen von Tokio.
Schwedens bekanntester Export mögen noch immer die Köttbullar sein: traditionelle Fleischbällchen, von Ikea in die Welt getragen. Aber die Fussballerinnen holen auf. Die grösste Fraktion der Nationalspielerinnen ist in Englands Women’s Super League engagiert, der besten und reichsten Liga der Welt. Und während dem Schweizer Kader die Breite fehlt, sagte Schwedens Nationaltrainer Peter Gerhardsson vor dem Turnier: «Für einige Spielerinnen wird es schwierig zu verstehen sein, warum sie nicht dabei sind.»
2013 hat Schweden mit einer jahrhundertealten Tradition gebrochen und eine Frau zur Erzbischöfin ernannt.
Der Erfolg des schwedischen Sports hat auch mit dem Land an sich zu tun. Schweden gilt seit Jahrzehnten als Vorbild in Sachen Gleichstellung. Der Staat behauptet von sich sogar ganz offiziell, «die erste feministische Regierung der Welt» zu haben.
In einem Interview mit «Das Magazin» definiert die Oxford-Philosophie-Professorin Amia Srinivasan Feminismus als «politischen Kampf zur Beendigung der Unterordnung der Frauen». In diesem Kampf führte Schweden 1974 als erstes Land den geschlechtsneutralen Elternurlaub ein. Heute teilen sich Väter und Mütter 480 Tage Elternzeit so auf, wie sie das für richtig halten. Seit 2018 gibt es in Schweden eine Agentur für Geschlechtergleichheit. Sie gehört zum Ministerium für Gesundheit und Soziales und beschäftigt über hundert Menschen. Im öffentlichen Sektor arbeiten mehr Frauen als Männer in Management-Positionen. Und 2013 hat Schweden sogar mit einer jahrhundertealten Tradition gebrochen und eine Frau zur Erzbischöfin ernannt.
Wohlstand schafft Zeit für Training und Wettkampf
Die Liste liesse sich fast beliebig weiterführen. Aber was hat das alles mit dem Erfolg der schwedischen Fussballerinnen zu tun? Die Grand Valley State University analysierte die Daten von 130 Nationen, die zwischen 1996 und 2012 an Olympischen Spielen teilgenommen haben. Das Resultat: Je ausgeglichener die Geschlechter in einer Gesellschaft behandelt werden, desto wahrscheinlicher ist der sportliche Erfolg von Frauen. Und: Sogar die Männer dieser Nationen haben signifikant grössere Chancen auf Medaillen. Zum gleichen Resultat kommt eine Studie des «Journal of Experimental Social Psychology», basierend auf Daten der Sommerspiele 2012 in London und der Winterspiele 2014 in Sotschi.
Eine Erklärung der Forschung dafür lautet sinngemäss so: Gesellschaften, die Frauen in den Arbeitsmarkt integrieren, generieren Wohlstand, der mit den gängigen Indikatoren wie etwa dem Bruttoinlandprodukt nicht messbar ist. Solche Gesellschaften bieten sowohl Männern als auch Frauen mehr Freizeit – und damit mehr Zeit für Training und Wettkampf.
Gleichzeitig stellen die Studien die Frage nach der Kausalität: Sind Athletinnen erfolgreicher, weil die Geschlechter in ihrem Land gleichgestellt sind? Oder sind die Geschlechter gleichgestellt, weil erfolgreiche Athletinnen Rollenbilder sind, die die Frauen stärken?
Den Pinsel für diese Rollenbilder führen auch die Medien. Während etwa Tamedia, zu der auch diese Zeitung gehört, von der «Fussball-EM der Frauen» schreibt, verzichten die meisten schwedischen Medien auf den Geschlechterzusatz. Sie folgen damit den Empfehlungen des Internationalen Olympischen Komitees, das auf 26 Seiten festhält, wie aus seiner Sicht geschlechtsneutral berichtet werden sollte.
Athletinnen machen in der Sportberichterstattung 4 Prozent aus
Dazu gehört auch die Menge an Berichten über Frauen im Sport. Athletinnen machten 2018 gemäss der Unesco gerade einmal 4 Prozent der weltweiten Sportberichterstattung aus. Zum Vergleich: In Schweden hat eine Studie aufgezeigt, dass etwa die Zeitung «Västerbottens Kuriren» den Anteil der Artikel über Athletinnen innert zehn Jahren von 20 auf 43 Prozent gesteigert hat.
Doch bei allem Lob, das Schweden seit Jahrzehnten zufliegt: Am Ziel ist auch Schweden noch nicht. Der Thinktank Ownershift rechnet zum Beispiel vor, dass Männer in Schweden doppelt so viele Aktien, Immobilien, Länder, Patente und Weiteres besitzen wie Frauen. Und Anneli Häyren, Geschlechterforscherin an der Universität in Uppsala, sagt in der BBC: «Wir Schweden glauben, dass die Geschlechter gleich sind. Aber der Weg dahin ist noch weit. Ich denke, es wird noch mindestens fünfzig Jahre dauern – und das auch nur dann, wenn wir weiter daran arbeiten.»
Die perfekte geschlechtsneutrale Welt gibt es also auch in Schweden nicht. Aber der Kampf für mehr Gleichheit dürfte einer der Gründe sein, warum Schweden eine der erfolgreichsten Sportnationen ist. An der EM in England gehören die Schwedinnen jedenfalls zu den Favoritinnen. Im Spiel gegen die Schweiz sowieso.
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