Studie der Universität BaselWer aufs Auto verzichtet, wird (meist) glücklicher
Der Besitz eines Autos wird mit Freiheit und Lebensglück assoziiert. Tatsächlich kann der Verzicht darauf die Glücksgefühle steigern, zeigt eine Studie der Uni Basel.
Staus, Luftverschmutzung, Lärm, Klimabelastung, hoher Energie- und Ressourcenbedarf – es gibt gute Gründe, sich vom Auto zu trennen. Doch die Hürde ist hoch. Denn ein Leben ohne das von vielen geliebte Gefährt wird oft mit einem Verlust an Lebensglück, Freiheit und Status assoziiert.
Oder liegt gerade im Verzicht der Schlüssel zum Glück? Das jedenfalls legt eine Studie der Universität Basel nahe, die Suffizienz – eine Art positiv empfundene Genügsamkeit – als Strategie zur Verringerung des Energie- und Ressourcenverbrauchs zum Thema hat. Wer sein Auto freiwillig weggibt, ist demnach noch Jahre nach der Entscheidung glücklicher. Nur wer aus finanziellen Gründen zum Verzicht aufs Auto gezwungen wird, dessen Glücksgefühle schwinden. Das berichtet Ann-Kathrin Hess von der Forschungsgruppe für Nachhaltigkeit der Universität Basel im Fachmagazin «Transportation Research Interdisciplinary Perspectives».
«Die Studie behandelt meiner Meinung nach ein extrem relevantes Thema», sagt Tobias Brosch, der an der Universität Genf das Labor für Konsumentenentscheidungen und nachhaltiges Verhalten leitet und nicht an der Studie beteiligt ist. «Als Gesellschaft müssen wir, um die Klimaziele zu erreichen und generell nachhaltiger zu leben, signifikant unseren Konsum und unseren Ressourcenverbrauch reduzieren. Idealerweise gelingt dies, ohne unser Wohlbefinden zu sehr zu beeinträchtigen.»
Abbau von Barrieren für alternative Mobilität
Die Autonutzung sei im Moment jedoch noch so sehr in unseren Alltag integriert, dass es vielen Menschen nicht sehr realistisch erscheine, dauerhaft aufs eigene Auto zu verzichten. «Eine Studie, die zeigt, dass – zumindest im Schweizer Kontext – der freiwillige Verzicht auf das Auto nicht zu einer Beeinträchtigung der Lebensqualität, sondern sogar zu einer Erhöhung erlebter Freude führt, kann helfen, eine wichtige Verhaltensbarriere hin zur alternativen Mobilität abzubauen.»
Laut Hess ist das die erste Studie, in der mithilfe von quantitativen Daten untersucht wird, inwieweit eine Suffizienz-typische Verhaltensweise mit dem subjektiven Wohlbefinden zusammenhängt.
Für die Studie hat Hess die Daten des Schweizer Haushaltspanels (SHP) für die Jahre 2006 bis 2017 analysiert. Das SHP ist eine Langzeitstudie zum sozialen Wandel und zu den Lebensbedingungen der Schweizer Bevölkerung. Befragt wurden die Mitwirkenden unter anderem nach verschiedenen Dimensionen des persönlichen Wohlbefindens: Lebenszufriedenheit, Freizeitvergnügen, Glücksgefühle und Verdruss.
Im Datensatz des SHP fanden sich rund 1400 Haushalte, die sich freiwillig von ihrem Auto getrennt hatten, und rund 500 Haushalte, die unfreiwillig aus finanziellen Gründen verzichten mussten. Die Studienautorin hat die Entwicklung des Wohlbefindens der Haushalte für vier Jahre vor und drei Jahre nach der Trennung vom Auto untersucht. So konnte sie erfassen, wie sich das Wohlbefinden entwickelt hat. Weiter hat sie Kontrollvariablen analysiert, die ebenfalls mit dem persönlichen Wohlbefinden assoziiert werden, etwa das Haushaltseinkommen, das Alter, die Anzahl Kinder und das Arbeitsverhältnis. So konnte sie ausschliessen, dass andere Gründe für Änderungen beim Wohlbefinden infrage kommen als der Verzicht aufs Auto.
Wie die Analyse zeigt, hat die freiwillige Abgabe des Autos die Glücksgefühle signifikant gesteigert, und zwar ab dem ersten bis zum dritten Jahr nach der Trennung. Einen messbaren Einfluss auf das Freizeitvergnügen und die anderen Dimensionen des Wohlbefindens – Lebenszufriedenheit und Verdruss – hatte der freiwillige Verzicht aufs Auto indes nicht. «Nur diejenigen, die ihr Auto aus finanziellen Gründen abgeben müssen, empfinden nach der Weggabe weniger Freude und sind auch weniger zufrieden mit den Aktivitäten, die sie in ihrer Freizeit nach der Weggabe ihres Autos machen können», sagt Hess.
Bedürfnis nach Unabhängigkeit
Dass die freiwillige Abgabe des Autos Glücksgefühle auslöst, könnte gemäss Hess damit zu tun haben, dass der Entscheidung eine tiefere Motivation zugrunde liegt, etwa der Wunsch, in einer weniger vom Auto abhängigen Welt zu leben. Der Rückgang an Glücksgefühlen beim unfreiwilligen Leben ohne Auto könnte indes ein Hinweis darauf sein, dass das Auto in diesem Fall psychologische Bedürfnisse erfüllt, etwa das Bedürfnis nach Unabhängigkeit.
«Wir können aus den Resultaten lernen, dass Suffizienz als Strategie zur Reduktion des Energie- und Ressourcenverbrauchs durchaus ihren Platz finden darf in politischen Strategien», sagt Hess. «Im Vergleich zur Strategie der Effizienz – etwa der Substitution von Autos mit Verbrennungsmotor durch Elektroautos – ist Suffizienz allerdings sehr unpopulär.» Dies liegt laut Hess daran, dass man bei der Substitution von Technologien wenig am eigenen Verhalten verändert. Suffizienz bedeutet hingegen, dass man bestehendes Verhalten verändert und neue Routinen entwickelt. «Beide Strategien – Effizienz und Suffizienz – sollten nicht gegeneinander ausgespielt, sondern als sich ergänzende Strategien hin zu weniger Energie- und Ressourcenverbrauch gesehen werden.»
Eine Hauptstärke der Studie ist laut Brosch die relativ grosse, repräsentative Stichprobe, in der den Haushalten über mehrere Jahre hinweg gefolgt wird. «Eine Grenze der Studie ist es, dass aufgrund der standardisierten Datenerhebung nur wenige Details darüber vorliegen, warum das Auto abgeschafft wurde, wie die verschiedenen Haushalte ihre neue autofreie Mobilität organisieren und wie sich diesbezügliche Unterschiede im empfundenen Glücksgefühl niederschlagen.» Insbesondere diese letzte Frage wäre laut Brosch sehr interessant, um konkrete Aussagen darüber machen zu können, wie man autofreie Mobilität erfolgreich gestalten könne.
Autos weniger attraktiv machen
Am Ende der Studie listet Hess politische Massnahmen auf, die den Wechsel zu einem Leben ohne Auto leichter machen: eine weitere Verbesserung des öffentlichen Verkehrs, bessere Infrastruktur für Velos und Fussgänger. Zudem könne man den Besitz eines Autos weniger attraktiv machen, etwa durch höhere Parkgebühren, ein allgemeines Tempolimit in Städten von 30 km/h oder durch Fussgängerzonen. «Es sind jedoch auch andere Akteure gefragt, zum Beispiel Sharing-Anbieter», sagt Hess. «Hier ist das Angebot teilweise zu fragmentiert und wenig nutzerfreundlich – eine Lösung, die verschiedene Anbieter verknüpft, wäre zum Beispiel wünschenswert.»
In ländlichen Regionen sei es schwieriger, ökonomisch attraktive Alternativen zum Besitzauto anzubieten, heisst es in der Studie. Aber auch hier gebe es Ansätze: Mehr Möglichkeiten, um von zu Hause aus zu arbeiten, Läden und Märkte im Dorf und lokale Freizeitaktivitäten.
Laut Brosch sollten nun weitere Verhaltensfelder identifiziert werden, «in denen Suffizienz nicht zu einer Verringerung des Wohlbefindens führt, sondern mit positiven Erlebnissen und Gefühlen einhergeht».
Fehler gefunden?Jetzt melden.