TV-Kritik SRF-«Arena» zu RassismusWenn drei Weisse über «wir Schwarzen» reden
Die gestrige SRF-«Arena» mit dem Titel «Jetzt reden wir Schwarzen» weckte im Vorfeld falsche Erwartungen und zeigte unbeabsichtigt, dass eine sachliche Diskussion über Rassismus in der Schweiz noch kaum möglich ist.
Wie verbreitet ist Rassismus in der Schweiz, und was dagegen tun? Mit diesen Fragen begrüsste Moderator Sandro Brotz das TV-Publikum und die Studiogäste der gestrigen SRF-«Arena». Was folgte, könnte beim neutralen Zuschauer teilweise grotesk oder verstörend angekommen sein.
Geworben hat Sandro Brotz im Vorfeld mit einer Fotocollage, auf der vier People of Color zu sehen sind: Comedian Kiko, Gabriella Binkert, Präsidentin der SVP Val Müstair, Fussballprofi Manuel Akanji und Angela Addo, Juso-Mitglied und Mitorganisatorin der Kundgebung «Black Lives Matter».
Von den vieren stand nur Kiko vorne an einem Pult, Binkert und Addo mussten auf dem untersten Tritt der leeren Zuschauerränge Platz nehmen. Akanji wurde per Video eingespielt.Prominent in der vorderen Runde dafür: die diplomierte Polizistin und SVP-Nationalrätin Andrea Geissbühler, Trump-Anhänger und Sprecher der Republican Overseas Switzerland James Foley sowie Samira Marti, Nationalrätin SP/BL.
Unmut bereits vor der Sendung
Bereits im Vorfeld kritisierten die Community der People of Color diese Konstellation. Denn der Titel der «Arena»-Sendung lautete «Jetzt reden wir Schwarzen». Drei von den vier Hauptgästen seien Weisse. «Nicht in meinem Namen», schrieb Aktivist Eddie Ramirez. #arenaohneuns
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Auch Aktivistin Brandy Butler bezog Stellung zur Gästeliste der «Arena».
Quelle: Instagram
Angela Addo wagte sich trotzdem ins Fernsehen und eröffnete die Runde: Das grösste Problem, das sie als schwarze Frau in diesem Land habe, sei, dass ihre Gefühle nicht ernst genommen werden, wenn sie sich verletzt fühle.
Der erste Eklat liess nicht lange auf sich warten. James Foley, das «Sprachrohr von Donald Trump in der Schweiz», findet, Schweizer seien nicht rassistisch, sie würden einfach ihr Land lieben. Samira Marti konterte: Auch in der Schweiz würden Menschen durch Polizeigewalt sterben, das Land sei die Wiege der neuen Rechten, die stärkste Partei des Landes offen rassistisch. Weisse Privilegien seien für sie eine Realität, die es zu hinterfragen gelte, sagte Marti.
Am Thema vorbei
Dies hätte der Ausgangspunkt für eine spannende Disksussion werden können, ganz im Sinne von Fussballer Manuel Akanji, den Brotz vor der Sendung per Video interviewt hatte. Dieser wünscht sich, dass wir als Gesellschaft umdenken und Bereitschaft zeigen, uns zu hinterfragen. Man hätte folglich über «kritisches Weisssein» diskutieren können - unter dem gleichnamigen Hashtag teilen Weisse derzeit ihre Einsichten in den sozialen Medien.
Man hätte tatsächlich über strukturelle Komponenten des Rassismus in unserem Land sprechen können, darüber, wie und warum wir in der Schule so gut wie nichts über die Kolonialgeschichte der Schweiz lernen, darüber, wieso die weisse Mehrheit sich oft angegriffen fühlt, wenn sie auf das Problem aufmerksam gemacht wird. Man hätte das mit People of Color aus verschiedenen Disziplinen diskutieren können, aus der Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und der Zivilgesellschaft.
Stattdessen entfaltete sich im SRF-Studio eine Diskussion, die für den neutralen Zuschauer stellenweise groteske Züge annahm, wenn nicht gar verstörende.
Geissbühler sieht Gewalt gegen Polizei als das Problem
SVP-Mitglied und Polizistin Andrea Geissbühler meinte: «Wir sind die Einzigen, die versuchen, dafür zu sorgen, dass Rassismus nicht aufkommt.» Man müsse sich einmal vor Augen halten, wie gravierend die Gewalt gegen die Polizei sei, oder wie auch sie als SVPlerin für ihren Standpunkt beschimpft werde. Dabei: «Ich kenne keinen einzigen SVPler, der rassistisch ist», behauptete die Nationalrätin.
Anstatt also darüber zu sprechen, wie mit Racial Profiling umgegangen wird, musste erst klargestellt werden, dass es dieses Problem überhaupt gibt, obwohl auch das eine unbestrittene Tatsache ist, wie Fakten belegen und wie auch die Polizei andernorts eingesteht. Die Diskussion driftete ab zu Drogendealern, dann gar zum amerikanischen Wahlkampf. Irgendwann ging es darum, ob Samira Marti Joe Biden wählen würde.
Unfassbare Umstellübung
Wie Angela Addo gerade erlebt, dass ein Community Building stattfinde, nun, da in der Schweiz «Black Lives Matter»-Proteste organisiert werden, oder wie Gabriella Binkert im Val Müstair den Austausch zwischen Zugewanderten und Einheimischen erlebt, ging völlig unter. Kiko brachte zwar spannende Diskussionspunkte ein, etwa, dass wer sich nun nicht für die Anliegen von People of Color positioniere, angegriffen werde, fiel aber auch damit auf, dass er allen Anwesenden ins Wort fiel.
Und dann kam der Moment, den man schlicht nicht für möglich gehalten hätte. Sandro Brotz stellte die Konstellation um. Die Weissen nach hinten aufs Bänkli (ausser Foley), Binkert und Addo nach vorne ans Pult. «Danke, dass Sie Ihren Platz frei gemacht haben.» Ob die Sendung nun eine andere sei, fragte der Moderator.
Addo erinnerte Brotz an den Arbeitstitel der Sendung «Jetzt reden die Schwarzen». Sie komme anders zu Wort, wenn sie vorne stehe, werde anders wahrgenommen, als wenn sie dort hinten sitze. Das beschränke sich nicht auf den Raum, das Studio, sondern sei im öffentlichen Leben allgemein so. Binkert, die Addos Meinung in vielen Punkten nicht teilte, stimmte ihr zu. «Man steht hier, man steht anders.» Foley entgegnete, an Angela Addo gerichtet: «Sie haben nicht das Recht, nicht beleidigt zu werden, c’est la vie.» Eine sachliche und fruchtbare Diskussion über Rassismus in der Schweiz schien auch in der neuen Konstellation nicht möglich.
Nach der Sendung richtete das Netz. «Kalkül? Unbedarftheit? Desinteresse? Bosheit? Ich hoffe wirklich, Sie haben danach so schlecht geschlafen wie ich», twitterte Journalist Carlos Hanimann an Sandro Brotz. «Katastrophal», «destruktive Konfrontationen», «Fremdschämen», liest man weiter unter #srfarena.
Hoffen auf eine weitere «Arena»
Der Moderator selbst veröffentlichte am Samstag ein Statement auf Facebook: «Ich kann die Kritik insofern nachvollziehen, als dass die Erwartungshaltung offensichtlich eine andere war, und bedaure das.» Doch er stellt sich wie bereits vor der Sendung auf den Standpunkt, dass die Auswahl der Gäste passend war. Es verstehe sich von selbst, dass in einer «Arena» alle demokratisch legitimierten Kräfte zu Wort kommen. Dass Gäste aufeinander zugehen, sei «leider nur teilweise geglückt».
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Vielleicht war diese Sendung gerade deshalb so stark. Sie führte das Problem, wie gross der Rassismus in der Schweiz wirklich ist, vor aller Augen. Anders als geplant, aber wohl auch wirkungsvoller als vorher für möglich gehalten.
Sandro Brotz jedenfalls sieht sich als genug selbstkritisch, um die nun zur Diskussion gelangten Punkte aufzunehmen und bei der nächsten Sendung einfliessen zu lassen. Es bleibt zu hoffen, dass eine anständige Diskussion darüber, die uns als Gesellschaft wirklich weiterbringt, dann doch noch möglich sein wird.
Schauen Sie sich hier die «Arena» zum Thema «Jetzt reden wir Schwarzen» an.
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