Pandemie in DänemarkWenn Corona die Haftdauer verdoppelt
Dänische Gerichte bestrafen Teilnehmer an Ausschreitungen bei Corona-Demonstrationen schärfer als normal. Eine Mutter minderjähriger Kinder muss deshalb zwei Jahre ins Gefängnis – und im Land wird über Verhältnismässigkeit diskutiert.
Ungewöhnlich scharfe Gerichtsurteile gegen Demonstranten und Festnahmen von Gegnern der Corona-Politik haben in Dänemark eine Debatte losgetreten. Es geht um die Verhältnismässigkeit der Reaktion des Staates auf seine Kritiker. Im Mittelpunkt steht ein im vergangenen Jahr hastig verabschiedetes Gesetz, das Richtern erlaubt, die Strafen für Taten zu verdoppeln, die in «einem Zusammenhang mit der Corona-Epidemie» stehen.
Vergangene Woche wurde eine 30-jährige Mutter zweier minderjähriger Kinder vom Kopenhagener Stadtgericht verurteilt. Sie hatte im Januar in Kopenhagen an einer Demonstration gegen Corona-Massnahmen teilgenommen. Dabei war es zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen, 16 Polizisten wurden verletzt. Auf Videos war die Angeklagte zu sehen, wie sie zuerst in einer Rede dazu aufrief, die Stadt «zu zerschlagen», und wie sie anschliessend andere Demonstranten anfeuerte, die Polizisten mit Steinen und Feuerwerkskörpern anzugreifen.
«Moralische Panik»
Unter normalen Umständen, erklärte der Vorsitzende Richter in seiner Urteilsbegründung, hätte die Frau dafür eine Haftstrafe von einem Jahr verdient. Wegen der Corona-Bestimmung im Strafrechtsparagrafen 81d aber verdoppele er die Strafe. Gleiches widerfuhr am Dienstag einem 23-Jährigen, der für schuldig befunden wurde, auf derselben Demonstration drei Steine geworfen zu haben, die allerdings niemanden trafen. Auch seine Strafe wurde verdoppelt, er muss nun für ein Jahr und drei Monate ins Gefängnis.
Von Juristenkreisen, manchen Politikern und der Presse wurden die Urteile scharf kritisiert. Der Direktor der Denkfabrik Justitia, Jacob Mchangama, sprach von einer «moralischen Panik», in die die Behörden aus Angst vor Unruhen geraten seien und der sie nun die Rechtsstaatlichkeit opferten. Die grosse liberale Zeitung «Politiken» nannte das Urteil gegen die 30-jährige Demonstrantin ein «Horrorbeispiel» für eine fehlgeleitete Justiz. Alle Kritiker sind sich einig, dass eine Demonstrantin, die aktiv zu Gewalt aufruft, eine Strafe verdient. Wenn aber eine schuldig gesprochene Teilnehmerin einer Corona-Demonstration doppelt so lange ins Gefängnis solle wie jemand, der exakt dasselbe auf einer Klimademo tue, dann sei das unverhältnismässig und untergrabe den Rechtsstaat, schrieb «Politiken». Das Parlament, so die Zeitung, müsse den umstrittenen Paragrafen «so schnell wie möglich aufheben».
Einige der Politiker, die im vergangenen Jahr für den Paragrafen stimmten, packt nach den Urteilen nun die Reue.
Tatsächlich hatte das Parlament den Paragrafen 81d im vergangenen Jahr eilig zusammengezimmert und verabschiedet. Im Blick hatten die Politiker dabei vor allem den möglichen Diebstahl von Desinfektionsmitteln und Schutzausrüstung aus dem Gesundheitswesen oder aber Betrug im Rahmen der staatlichen Corona-Hilfen. Dänemarks Richterverein und der Anwaltsrat hatten damals schon gewarnt vor dem Gesetz. Einige der Politiker, die im vergangenen Jahr für den Paragrafen stimmten, packt nach den Urteilen nun die Reue. Karina Lorentzen Dehnhardt, eine Sprecherin der Sozialistischen Volkspartei, sagte, man habe «Plünderung und Verwüstung» verhindern wollen. «Nie hätten wir gedacht, dass der Paragraf 81d auf eine Demonstration angewendet werden könnte, deren Thema zufällig Corona ist.»
Die Diskussion über unverhältnismässiges Vorgehen der Sicherheitsbehörden erhielt zusätzlich Futter, als die Polizei in Aarhus am vergangenen Sonntag eine 29-Jährige vorübergehend festnahm. Die Frau war Administratorin einer Facebook-Gruppe, die gegen eine «Corona-Diktatur» polemisiert und für die Abschaffung des Paragrafen 113 des dänischen Strafgesetzbuches kämpft. Dieser sieht Freiheitsstrafen vor für jene, die Dänemarks Parlamentarier oder Regierungsmitglieder gewaltsam angreifen oder ihnen Gewalt androhen.
«Dann sollen sie mich doch auch holen»
Stein des Anstosses war ein Foto, das die 29-Jährige in der Gruppe gepostet hatte. Es stammt von einer Demonstration gegen die Regierung und zeigt eine brennende Puppe, die Dänemarks Premierministerin Mette Frederiksen mit einem Schild um den Hals darstellt, auf dem steht: «Sie muss und sie soll getötet werden.» Dass gegen die Frau ermittelt wird, allein weil sie ein Foto auf Facebook hochlud, das zuvor in Zeitungen und Nachrichtensendungen gezeigt worden war, sehen viele als Angriff auf die Meinungsfreiheit. Sten Schaumburg-Müller, Jurist an der Universität Süddänemark, lud für einen Blogbeitrag selbst das umstrittene Foto hoch: «Dann sollen sie mich doch auch holen.»
Die verurteilte 30-jährige Demonstrantin hat angekündigt, in Berufung zu gehen. Justizminister Nick Hækkerup verteidigte derweil den Paragrafen 81d und das doppelte Strafmass: «Wenn Sie Steine auf die Polizei werfen, greifen Sie die Behörden in einer Krise ernsthaft an. Als Gesellschaft müssen wir zeigen, dass wir an der Seite der Polizei stehen.»
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