Krieg in der Ukraine«Weissrussen, begeht keine Verbrechen und Dummheiten»
Der weissrussische Botschafter hat die Ukraine verlassen. In Kiew ist man überzeugt, dass an der Seite Russlands nun auch Weissrussland direkt in den Krieg eingreifen wird.
Warnhinweise auf einen bevorstehenden Einmarsch in die Ukraine gab es genug, einer war besonders dringlich. Am 23. Februar zogen Russlands Diplomaten aus der Ukraine ab und liessen an Botschaft und Konsulat die Flaggen einholen. Am nächsten Tag begann der Krieg. Wiederholt sich nun ein ähnliches Szenario? Am Wochenende berichteten ukrainische und weissrussische Medien, dass der weissrussische Botschafter Igor Sokol und weitere elf Diplomaten die Ukraine verlassen hätten.
Das kann auch bedeuten, dass Russland einen Sturm auf die ukrainische Hauptstadt vorbereitet und Minsk darüber informiert hat. In Kiew ist man aber ohnehin überzeugt, dass an der Seite Russlands nun auch Weissrussland direkt in den Krieg eingreifen wird. Nach einem Bericht der ukrainischen Nachrichtenagentur Unian hält der ukrainische Generalstab die Wahrscheinlichkeit für «sehr hoch».
Aufmarschgebiet für Russen
Der weissrussische Machthaber Alexander Lukaschenko hat sein Land bisher als Aufmarschgebiet für russische Streitkräfte zur Verfügung gestellt. Von dort aus greift Russland die südlich gelegene Ukraine an. Westliche Sanktionen haben deshalb auch Weissrussland getroffen. Lukaschenko legt dennoch Wert darauf, dass eigene Streitkräfte nicht am Krieg beteiligt seien. Der ehemalige weissrussische Diplomat Pawel Mazukewitsch sagt in einem Interview mit der unabhängigen Zeitung «Nascha Niwa», er glaube, dass Russland derzeit noch genug eigene Reserven habe. Er sagt aber auch, dass eine Entscheidung zur direkten Kriegsbeteiligung «schon nicht mehr in den Händen der weissrussischen Staatsmacht liegt. Falls es einen entsprechenden Aufruf des Kreml gibt, bleibt Alexander Lukaschenko gar nichts anderes übrig, als dem nachzukommen.»
Doch das würde wohl auch für Lukaschenko Gefahren bergen. Die Massenproteste nach der manipulierten Präsidentenwahl vor zwei Jahren liess er mit Gewalt niederschlagen; Tausende Weissrussen haben das Land verlassen, viele wurden festgenommen und scheuen nun weitere Risiken wie eine Haftstrafe oder den Jobverlust. Sollten weissrussische Streitkräfte direkt im ukrainischen Nachbarland mitkämpfen, könnte dies eine neue Protestwelle entfachen.
Die ukrainische Führung versucht, die weissrussischen Soldaten mit drastischen Worten einzuschüchtern.
Nach einem Bericht der «Kyiv Post» haben russische Offiziere bereits versucht, weissrussische Eliteeinheiten dazu zu bringen, auf der russischen Seite gegen die Ukraine zu kämpfen. Diese hätten von der Idee jedoch nichts wissen wollen. Ob das stimmt oder Teil einer ukrainischen Demotivationskampagne sein könnte, lässt sich schwer unabhängig überprüfen.
Auch Umfragen müssen mit Vorsicht gewertet werden, aber dass ein grosser Teil der weissrussischen Bevölkerung den Krieg Russlands gegen die Ukraine für falsch hält, gilt als sicher. Die ukrainische Führung versucht deshalb, die weissrussischen Soldaten mit drastischen Worten einzuschüchtern und davon abzuhalten, sich an den russischen Angriffen zu beteiligen. Alexei Danilow, Sekretär des ukrainischen Sicherheits- und Verteidigungsrates, warnte, dass «die ukrainischen Verteidiger jeden weissrussischen Soldaten vernichten werden, der die Grenze zur Ukraine überschreitet. Das weissrussische Volk braucht das sicher nicht.» Auch der ukrainische Rapper Jarmak versucht der weissrussischen Bevölkerung ins Gewissen zu reden: «Weissrussen, begeht keine Verbrechen und Dummheiten. Ihr habt die Chance, am Leben zu bleiben, mit einem guten Gewissen.»
Sabotageaktion der Eisenbahner?
Stattdessen zeigt sich der Leiter der ukrainischen Eisenbahngesellschaft Ukrsalisnyzja, Alexander Kamyschin, über eine mögliche Sabotageaktion erfreut, an der sich auch weissrussische Eisenbahner beteiligt haben sollen. Sowohl ukrainische als auch die wenigen verbliebenen kritischen Medien in Weissrussland berichteten am Wochenende, dass derzeit die Zugverbindungen zwischen Weissrussland und der Ukraine unterbrochen seien. Kamyschin lobte in einem Interview mit dem Sender Nastojaschtschee Wremja die «ehrlichen Leute» unter den weissrussischen Eisenbahnern. Der ukrainische Präsidentenberater Olexij Arestowytch hatte Zivilisten zuvor zu einem «Schienenkrieg» aufgerufen.
Russland bezieht einen Teil seines Nachschubs in der Ukraine über die Verbindung zwischen Gomel und Kiew. Weissrussland hat enge Verbindungen zu Russland, aber es hatte auch immer enge Verbindungen zur Ukraine. Lukaschenko hat sich zwar auf die Seite Moskaus gestellt, für die weissrussische Bevölkerung gilt dies in selbem Masse jedoch nicht.
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