Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Weinsteins Verteidigung sät Zweifel

Bereit zum Gegenangriff: Verteidigerin Donna Rotunno (links) mit Harvey Weinstein (rechts). Foto: Keystone
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Damon Cheronis steht am Rednerpult, noch be­­vor seine Zeugin den Gerichtssaal betreten hat. Mit Nachdruck bearbeitet er seinen Kaugum­mi, die Wange zuckt. Als dann Claudia Salinas im Zeugenstand Platz nimmt, hält sich der Ver­teidiger von Harvey Weinstein nicht mit dem sonst üblichen biografischen Vorgeplänkel auf. Er bit­tet die Zeugin, den Angeklagten anhand eines Kleidungsstücks zu identifizie­ren, dann kommt Cheronis direkt zur Sa­che: «Haben Sie Harvey Weinstein jemals nackt aus einer Dusch­kabine kommen sehen?», fragt er. Sali­nas verneint sehr bestimmt.

Sagte für die Verteidigung als Zeugin aus: Claudia Salinas verlässt das Gericht am Montag, 10. Februar 2020. Bild: Mark Lennihan (Keystone)

Die Frau im karierten Blazer mit dem langen Pferdeschwanz ist als Zeugin der Verteidigung geladen und soll vor Gericht die Angaben einer mutmasslich betroffenen Frau wi­der­legen: Lauren Young hatte in der vergange­nen Woche im Zeugenstand von ei­nem Über­griff Weinsteins in einem Hotelbade­zimmer in Los Angeles berichtet. Salinas sei da­mals als Weinsteins Assisten­tin aufgetreten, sagte Young aus, und habe während des Vorfalls vor der Bade­zimmer­tür gewartet. In einer ers­ten Verneh­mung gegenüber der Polizei hatte sie sogar angegeben, Salinas habe sie ins Bade­zimmer geschubst und die Tür verriegelt. Vor Gericht musste sie diese Angaben ab­schwä­chen.

Hier hakt am Montag Verteidiger Cheronis ein: Ob sie jemals als Weinsteins Assistentin gear­beitet oder Ter­mine für ihn ausgemacht ha­be, will er von Claudia Salinas wissen. Wieder verneint die Zeugin. «Sind Sie absolut sicher?», fragt Cheronis weiter. Seine Stimme ist laut und herausfordernd. Salinas' «Ja!» ist nicht viel leiser, es scheint im Saal nachzuhallen.

Der erste richtige Gegenschlag vor Gericht

Für die Verteidigung ist dieses Ja der erste richtige Erfolg vor Gericht. Seit vergangener Wo­che dürfen die Anwälte des Ex-Filmmoguls im New Yorker Vergewal­ti­gungs­prozess nun ihre Zeugen aufrufen. Zeugen, die Weinstein ent­las­ten sollen. Doch gleich der erste wurde im Kreuzverhör von Staatsanwältin Joan Illuzzi in der Luft zerris­sen, und auch die experimentelle Psychologin, die der Jury am Freitag ihre For­schung zu verfälschten und eingepflanzten Erinnerungen präsentierte, schaffte es vor allem, den Unmut des Richters auf sich zu ziehen. Wiederholt schaltete sich Richter James Burke in die Befragung der Zeugin ein und ermahnte sie, nur dann auf eine Frage zu antworten, wenn die Antwort wirklich inner­halb ihrer Expertise liege. Arthur Aidala, ein anderer Anwalt Weinsteins, bat den Richter später, seinen Ton künftig zu mässigen. Wie sich Burke verhalte, mache schliesslich Ein­druck auf die Jury. Aidala hatte sich direkt vor der Rich­terbank aufgebaut, seine Handflächen waren vor der Brust zusammengepresst – es wirkte fast flehentlich.

Talita Maia verlässt das Gericht am Montag, 10. Februar 2020. Bild: Seth Wenig (Keystone)

Am Montag läuft es schon mit der ersten Zeugin besser für Weinsteins Team. Vor Claudia Salinas sitzt Talita Maia im Zeugenstand, eine zierliche brünette Frau, sie war befreundet mit Jessica Mann, einer von zwei Frauen im Zentrum des Strafverfahrens vor dem New York State Supreme Court. Während Lauren Young nur als Zeugin geladen war, sind Manns Vorwürfe Teil der offiziellen Anklage. Sie hatte über insgesamt drei Tage ausgesagt, insbesondere das Kreuzverhör zog sich. Die junge Frau berichtete nicht nur von zwei mutmasslichen Vergewaltigungen, son­dern räumte auch ein, einvernehmliche sexu­elle Kontakte mit dem Angeklagten gehabt zu haben – eine offene Flanke für die Weinstein-Seite.

Donna Rotunno, die das mehrköpfige Verteidigerteam des früheren Filmproduzenten anführt, warf Jessica Mann immer wieder vor, sie habe gezielt das romantische Interesse des ihr zugetanen Weinstein ausge­nutzt. An dieser Stel­le setzt sie auch bei Talita Maia an, Manns ehe­­maliger Mitbewohnerin. Wie sie das Ver­hält­nis zwischen Mann und Wein­stein wahrge­nommen habe, will Rotunno wissen. «Sie schien ihn als Person wirklich zu mögen», sagt Maia, einmal habe Mann den Studioboss sogar als ihren «geistigen Seelenverwandten» be­zeich­net.

Jessica Mann ist eine der offiziellen Klägerinnen: Mann (rechts) mit Staatsanwältin Joan Illuzzi-Orbon (links). Foto: Justin Lane (Keystone)

Anschliessend bittet Rotunno ihre Zeugin, sich an zwei ganz bestimmte Tage zu erinnern, an denen sie mit Mann unterwegs war. Es geht um Tage, an denen es zu Über­griffen durch Weinstein gekommen sein soll. Einmal soll Weinstein Mann im Schlafzimmer einer Hotelsuite Oralverkehr aufgezwungen ha­ben, während sich Maia im Nebenraum auf­hielt. Wie sich Mann verhalten habe, als sie auf dem Schlafzimmer gekommen sei, fragt die Ver­tei­digerin. «Sie hat nor­mal auf mich ge­wirkt», sagt Maia, «es gab nichts Ungewöhnli­ches.»

Lauren Young am 6. Februar 2020 vor Gericht. Bild: Mark Lennihan (Keystone)

Auch dieser Satz ist wohl ein Punkt für die Verteidigung. Direkt zu Beginn des Verfahrens hatte die Staatsanwaltschaft eine forensische Psychiate­rin geladen, die erklärte, dass sich Opfer sexueller Gewalt selten so verhielten, wie man das erwarte. Weinsteins Anwälte setzen darauf, dass die Jury diese Experteneinschätzung ignoriert und auf ihr Bauchgefühl hört.

Maia ist ihrer einstigen Freundin längst nicht mehr wohlgesonnen

Zwar kann auch die Staatsanwaltschaft an diesem Montag noch den einen oder anderen Treffer landen. So kommt im Kreuzverhör heraus, dass Talida Maia ihrer einstigen Mitbewohnerin Jessica Mann längst nicht mehr wohlgesonnen ist: Die beiden zerstritten sich so heftig, dass Maia Mann von ihrer Hochzeit auslud. Und Claudia Salinas wird mit ihrer eigenen Aussage gegenüber Ermittlern konfrontiert. Damals hatte sie Weinstein als «Bully» bezeichnet und sein Verhalten als «nicht besonders ethisch» beschrieben. Doch insgesamt geht der Tag an die Verteidigung. Sie hat Zweifel gesät.

Ob diese Früchte tragen, könnte sich schon in der kommenden Woche zeigen. Dann wird sich die zwölfköpfige Jury zu ihren Beratungen zurückziehen.