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0,0 Prozent liegt im Trend
Jetzt kommt der Wein ohne Alkohol

Alkoholfreier Wein ist der neuste Trend. Bei Coop ist der "Rotwein" ausverkauft, die Migros stockt ihr Sortiment auf und verschiedene Onlineshops spüren eine gestiegene Nachfrage: Farmy macht mit Wein ohne Alkohol und Weinalternativen 2023 bereits 14 Prozent des Weinumsatzes. Dem Wein den Alkohol zu entziehen, ist aufwendig und Schweizer Weinbauern noch zu teuer, die meisten "Weine" werden im Ausland dealkoholisiert.
19..01.2024
(URS JAUDAS/TAGES-ANZEIGER)

«Nein», sagt Ettore Müller so bestimmt, dass sich sein Kopfschütteln am Telefon erahnen lässt. «Bisher ist die Nachfrage noch viel zu klein, um den Wein selbst zu entalkoholisieren.» Einzig ein Schweizer Betrieb sei seiner Kenntnis nach in der Testphase. Müller weiss, wovon er spricht. Er ist Verkaufsleiter bei Gialdi Vini im Tessin. Erst vergangenen Juni hat er selbst erstmals alkoholfreien Wein aus Italien importiert.

Was in den Nachbarländern Deutschland, Frankreich und Italien seit ein paar Jahren hergestellt und zunehmend konsumiert wird, kommt nun in der Schweiz an: Wer eine Alternative zu Wein sucht, greift häufiger zu alkoholfreiem Wein. Anders als bei herkömmlichen Weinalternativen, die aus gepresstem Traubensaft bestehen, handelt es sich dabei um echten Wein, dem am Ende der Alkohol wieder entzogen wird.

Höchstens 0,5 Prozent Alkoholgehalt gilt als entalkoholisiert

In der Schweiz gibt es noch keinen Produzenten, der diese Verfahren anwendet. Der alkoholfreie Wein wird darum aus dem Ausland importiert. Gängig sind zwei verschiedene Herstellungsprozesse: Bei der sogenannten Umkehrosmose wird dem Wein vereinfacht gesagt der Alkohol mittels Hochdruckpumpen entzogen. Dabei gehen jedoch wichtige Geschmacks- und Aromastoffe verloren.

Bei der Vakuumdestillation wird der gekelterte Wein auf 30 Grad erhitzt. So verdampft der Alkohol, ohne dass der Wein zu kochen beginnt. Die Alkoholdämpfe werden über ein Vakuumsystem herausgesaugt. So sollen möglichst viele Geschmacksaromen des Weins erhalten bleiben.

Laut EU-Recht darf ein Wein mit höchstens 0,5 Prozent Alkoholgehalt als entalkoholisiert bezeichnet werden. Für beide Verfahren braucht es entsprechende Produktionsanlagen – eine teure Anschaffung.

Alkoholfreie Weine können auf verschiedenste Art und Weise hergestellt werden. Wir setzen auf die schonende Entalkoholisierung durch Vakuumdestillation und entziehen den selektierten Ausgangsweinen so bis auf einen maximalen Restalkoholgehalt von 0,3% den Alkohol. Das Vakuum hat den Vorteil, dass der Alkohol bereits bei einer Temperatur von 30°C entweicht.

Bildcredit bitte: kolonnenull.com

Weil die Nachfrage nach alkoholfreiem Wein in der Schweiz aufgrund des kleinen Marktes noch zu gering ist, sei es für die Produzenten aktuell kein Thema, die zur Entalkoholisierung nötige Anlage anzuschaffen, sagt Ettore Müller. Das finanzielle Risiko bei einer solchen Investition sei zu gross.

Und so importieren die Schweizer Weinhändlerinnen und Produzenten die Weine aus Deutschland, Italien, Frankreich oder Spanien. Obwohl der Alkohol fehlt, sind die Preise mit denen alkoholhaltiger Weine vergleichbar. Gründe dafür sind das teure Herstellungsverfahren und die im Verhältnis geringe Nachfrage.

Der Weinkonsum ist rückläufig

Einen Schritt weiter ist man bei Château Constellation. Die Walliser Weinkellerei importiert nicht, sondern fährt extra dafür eingekauften Wein nach Deutschland, um ihn dort mittels Vakuumdestillation zu entalkoholisieren. Seit einem Jahr hat die Kellerei einen Rot- und einen Weisswein im Sortiment. Sie beliefert damit den Fachhandel und Restaurants. «Wir beobachten den Markt und überlegen, noch einen Rosé ins Sortiment zu nehmen», sagt Geschäftsführer Claude Thiery.

Die Kellereien und Händler müssen Alternativen zum alkoholhaltigen Wein finden. Denn seit Jahren sinkt der Weinkonsum in der Schweiz. 2022 wurden 237 Millionen Liter getrunken, 17 Millionen Liter weniger als im Vorjahr und 41 Millionen Liter weniger als 2010.

Jene, die dem Alkohol entsagen, suchen Alternativen. Wie gross der Anteil der alkoholfreien Weine am Markt ist, kann nur schwer beziffert werden. Die Datenlage für die Schweiz ist dünn. In Deutschland lag der Marktanteil dieser Produkte laut dem Deutschen Weininstitut 2022 bei unter einem Prozent, jedoch mit steigender Tendenz.

Schätzungen für die Schweiz bewegen sich in einem ähnlichen Bereich. In den zehn weltweit führenden Märkten für alkoholfreie und -arme Produkte lag der Marktwert 2022 insgesamt bei über 11 Milliarden Dollar, schreibt das britische Marktforschungsinstitut International Wine and Spirit Record. Es sagt bis 2026 ein Wachstum auf 14,6 Milliarden Dollar voraus.

Alkoholfreie Weine ins Sortiment aufgenommen hat der Tessiner Weinproduzent Gialdi nach einer Anfrage eines Kunden. Ein Gastwirtschaftsbetrieb war auf der Suche nach Alternativen für seine Gäste aus dem Nahen Osten, die grösstenteils keinen Alkohol trinken.

«Aromen sind nur schwer zu ersetzen»

Verkaufsleiter Ettore Müller sieht zwei Typen von Abstinenten: Jene, die Alkohol trinken wollen, dies aus gesundheitlichen Gründen aber nicht dürfen. Und jene, die grundsätzlich keinen Alkohol trinken. Beide suchten Alternativen. Eine gute zu finden, sei eine Herausforderung, denn «das Problem bei alkoholfreiem Wein ist, dass Aromen verloren gehen, die nur schwer zu ersetzen sind», sagt Müller.

Den Gründen für die Alkoholabstinenz ist das Marktforschungsinstitut Nielsen nachgegangen: 2020 wurden in Deutschland 16’883 Personen zu ihrem Konsum alkoholfreier Weine und Sekte befragt. Sie gaben an, diese zu besonderen Anlässen und aus gesellschaftlichen Gründen zu trinken. Als wichtigstes Motiv wurde die Teilnahme am Strassenverkehr genannt. Auch der grundsätzliche Verzicht auf Alkohol spielt eine grosse Rolle.

Zudem schwören besonders junge Menschen dem Alkohol ab: Laut einer internationalen Onlineumfrage des Meinungsforschungsinstitutes Yougov von 2022 verzichten 48 Prozent der Generation Z – also der 18- bis 24-Jährigen – komplett auf Alkohol.

Detailhändler füllen die Regale

Der Schweizer Detailhandel hat den Trend erkannt. Die beiden Grossverteiler Coop und Migros haben alkoholfreie Weine in ihr Sortiment aufgenommen und verzeichnen eine steigende Nachfrage. Beide führen das unter anderem auf das gestiegene Gesundheitsbewusstsein ihrer Kundschaft zurück.

Im Onlineshop der Migros, in dem die Detailhändlerin auch Alkoholhaltiges verkauft, hätten die Bestellungen von alkoholischen Getränken im Januar anteilsmässig abgenommen – zugunsten von nicht alkoholischen Getränken, sagt eine Sprecherin.

Der Onlinehändler Farmy baut das Sortiment von Jahr zu Jahr aus. 2021 startete er den Verkauf von Wein ohne Alkohol mit fünf Produkten. Heute könne die Kundschaft zwischen 50 verschiedenen Weinen wählen, sagt eine Sprecherin. Im vergangenen Jahr machten alkoholfreie Weine und Weinalternativen 14 Prozent des Weinumsatzes aus.

In den vergangenen Jahren sind zudem Onlineshops entstanden, die sich auf alkoholfreie Weine, Biere und Spirituosen konzentrieren. So wie «Undrunk» vor zweieinhalb Jahren: «Es hat sich während Corona irgendwann komisch angefühlt, Alkohol nur noch zu Hause zu trinken», sagt Co-Gründer Giancarlo Pizzolotto. «Wir haben dann festgestellt, dass alkoholfreies Bier genauso gut schmeckt.»

«Geschmacklich noch nicht beim Original»

In ihren Onlineshop nahmen die Jungunternehmer aus dem Zürcher Unterland zusätzlich zum Bier noch Weine und Spirituosen auf. «Heute machen wir zwei Drittel unseres Umsatzes mit Wein und ein Drittel mit Spirituosen und Bier», sagt Pizzolotto. Das habe ihn selbst überrascht. Denn bei diesem Produkt hatte er die grössten Bedenken: «Es steht zwar Wein drauf, aber geschmacklich kommt es momentan nicht an das Original heran», sagt er.

Weinexperte Ettore Müller aus dem Tessin sagt dem alkoholfreien Wein eine ähnliche Entwicklung voraus wie beim Bier: «Vor 25 Jahren begann der Trend, die Nachfrage wuchs, und heute ist es völlig normal, im Restaurant ein alkoholfreies Bier zu bestellen.»