Bundeswehr in DeutschlandDer Verteidigungsminister will mehr Soldaten – doch der Kanzler bremst
In Deutschland fehlt es dem Militär an Personal. Verteidigungsminister Pistorius will auf Zwang setzen. Doch weit kommt er damit nicht.

Deutschland müsse wieder «kriegstüchtig» werden, um Russland von künftigen Angriffen auf Europa abzuhalten, sagt Boris Pistorius gerne. Der Verteidigungsminister rüttelt das Land damit ordentlich wach. In einer Umfrage der «Welt am Sonntag» sprachen sich gerade 60 Prozent der Deutschen für die Wiedereinführung der Wehrpflicht aus. Ausser bei den Anhängern der Linkspartei und den jungen Menschen gab es dafür überall klare Mehrheiten.
Auch Pistorius wünscht sich die Wehrpflicht zurück – zwar nicht die alte, aber eine neue, flexiblere. Der Sozialdemokrat ist überzeugt, dass die Bundeswehr ohne eine Art Zwang nicht so schnell wachsen kann wie nötig. Derzeit schrumpft ihr Personal sogar, dabei sollte es bis 2031 eigentlich von 180’000 auf 203’000 steigen. Mittelfristig liege der Bedarf sogar bei mindestens 270’000, glaubt man im Verteidigungsministerium.
Doch Pistorius konnte sich mit der Wiedereinführung einer Art Wehrpflicht in der Regierung nicht durchsetzen. Seine eigene Partei, die SPD, lehnt jede neue Pflicht ab, ebenso sein Chef, Kanzler Olaf Scholz. Gross ist der Widerstand auch bei Grünen und FDP, bei den Liberalen vor allem aus Rücksicht auf die ablehnende Haltung der Wirtschaft.
Scholz, der nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine noch eine «Zeitenwende» ausgerufen hatte, verniedlichte Pistorius’ Sorge kürzlich sogar ohne Not, indem er den Personalmangel der Bundeswehr ein «überschaubares» Problem nannte. Ob der Kanzler das wirklich so sieht oder Pistorius nur keinen Erfolg gönnen will, war schwer festzustellen. Pistorius ist seit seiner Berufung Anfang 2023 der beliebteste Politiker Deutschlands, weit vor dem historisch unbeliebten Scholz.
Pistorius verschiebt den Zwang in die Zukunft – und hofft
Gegen diesen Widerstand musste Pistorius also einen Weg finden, sein Ziel im Auge zu behalten und mit dem politisch Machbaren zu vereinbaren. Er stellte deswegen heute eine Musterungspflicht nach schwedischem Vorbild vor: Alle 400’000 jungen Männer eines Jahrgangs müssen künftig einen Fragebogen ausfüllen und ankreuzen, ob sie allenfalls bereit wären, Wehrdienst zu leisten. Unter denen, die es sind und später gemustert werden, sollen schliesslich jene 5000 bis 10’000 rekrutiert werden, die die Bundeswehr ausbilden kann.
Falls dies – wie von Fachleuten erwartet – für den Ausbau der Bundeswehr nicht genügt, könnten in einem zweiten Schritt grundsätzlich interessierte und wehrfähige Männer auch gegen ihren Willen zum Wehrdienst verpflichtet werden. Pistorius verschiebt den Zwang also in die Zukunft und hofft darauf, dass sich bis dann eine politische Mehrheit dafür einstellt.
Auch für diesen Schritt beruft sich der Verteidigungsminister auf Schweden, das Anfang dieses Jahres seine ursprüngliche Wahlfreiheit einschränkte, weil zuletzt nicht mehr genug junge Männer und Frauen bereit waren, freiwillig beim Militär zu dienen.

Der grosse Unterschied zu Schweden besteht freilich darin, dass in dem skandinavischen Land eine allgemeine Verteidigungspflicht für junge Männer und Frauen gilt, die wahlweise zivil oder militärisch geleistet werden kann. In Deutschland sieht das geltende Wehrgesetz Pflichten nur für Männer vor. Auch nach Pistorius’ Minireform wird selbst das Ausfüllen des Fragebogens für Frauen freiwillig bleiben.
Die einzige deutsche Partei, die derzeit etwas Ähnliches wie Schweden vorschlägt, ist die CDU. Sie will alle jungen Frauen und Männer zu einem «Gesellschaftsjahr» verpflichten, das Einsätze für zivile Organisationen oder bei der Bundeswehr vorsieht. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, ein Sozialdemokrat, wirbt schon lange für eine allgemeine soziale Dienstzeit. Weil dafür die Verfassung geändert werden müsste, wäre eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag nötig. Eine solche liegt derzeit in weiter Ferne.
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