Kulturinstitutionen kämpfen um PublikumWegen Zuschauerschwund: Auch Schweizer Theater locken mit Schleuderpreisen
20 Prozent weniger Abonnements als vor der Pandemie hat das Theater Basel. Von Wien über Hamburg bis Zürich klagt man. Was ist da los?
Im Sommer hatte Harald Schmidt in einem lockeren Rundumschlag-Interview launig angemerkt, am Theater gebe es kein neues Publikum. Und «das alte bleibt weg». Denn dieses wolle, wie er selbst, keine mehrsprachigen, komplizierten Projekte mit betroffenen Laien und Übertiteln sehen, sondern virtuose Schauspielerinnen und Schauspieler in richtigen Stücken.
Inzwischen ist die neue Spielzeit angelaufen – und es trifft zu, dass das Publikum bis jetzt nicht in präpandemischem Ausmass in die Stadttheater zurückgekehrt ist. Auch manches Opern- und Konzerthaus spürt dies deutlich. Unter dem Hashtag #Publikumsschwund wurde das Phänomen weithin debattiert; Thomas Renz, Kultursoziologe am Institut für kulturelle Teilhabeforschung in Berlin, nennt die Pandemie einen «Brandbeschleuniger» der bereits existierenden Entwicklung hin zu sinkenden Zuschauerzahlen.
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Zwei Trends sind im deutschsprachigen Raum vorderhand auszumachen: Das ältere Publikum ist etwas vorsichtiger geworden und macht sich rarer. Zudem ist der Aboverkauf schon seit längerem rückläufig; die Leute entscheiden sich lieber kurzfristig für einen Theaterbesuch, statt sich über ein ganzes Jahr festzulegen; und Jüngere sind, so Kultursoziologe Renz, gar nicht erst in die Praxis des fixen Kulturbesuchs hineingewachsen. Die Pandemie mit ihren aufgeschobenen und aufgehobenen Veranstaltungen hat diesen Trend verstärkt.
Das Opernhaus Zürich sagt mit Blick auf seine aktuellen Aboverkäufe: Diese entsprächen «nicht den Werten, die wir 2018/19, in der Prä-Corona-Zeit, hatten». Man habe einen Rückgang in Auslastung wie Abonnementverkäufen zu verzeichnen.
«Allerdings sind wir in der glücklichen Lage, dass dieser Rückgang im Vergleich zu anderen Opernhäusern überschaubar ist und das Gros der Abonnenten sein Abo erneuert hat.» Dass die Oper Frankfurt in diesem Frühling den Verlust von fast der Hälfte ihrer präpandemisch rund 12’000 Abonnenten vermelden musste, schockte die Branche.
Das Schauspielhaus Zürich wiederum hält fest, rund 70 Prozent der bisherigen Abonnentinnen und Abonnenten hätten ihr Abo jetzt erneuert. «Beim Rückgang handelt es sich um einen Trend, der seit Jahren bei den meisten Theaterhäusern im deutschsprachigen Raum festzustellen ist – und der durch die Pandemie merklich verstärkt wurde: Zuschauerinnen und Zuschauer schätzen zunehmend Angebote, die ihnen mehr Flexibilität bei der Datenwahl ermöglichen.» Den Theaterbesuch bereits Monate vorher zu planen, scheine etwas aus der Mode gekommen, Tickets würden vermehrt am Tag der Vorstellung online oder an der Abendkasse gekauft.
Und gerade ein jüngeres, preissensibles Publikum spreche eher auf Angebote wie «Theatermontag» oder «Zahlen, was man will» an. Auch gibt es ein Kontingent an Karten, die im günstigsten Fall gar nur 10 Franken kosten und maximal 20 Franken.
Am Theater Basel schreibt man im Vergleich zur Prä-Corona-Spielzeit 2018/19 derzeit einen deutlich wahrnehmbaren Aborückgang von rund 20 Prozent auf etwa 3200 Abonnements (Saison 2018/19: etwas über 4000). Der Verkauf laufe jedoch noch, unterstreicht das Theater. Der Rückgang sei überwiegend auf «natürliche Abgänge» wie Umzug, Krankheit oder Tod zurückzuführen. – Das aus Altersgründen wegbrechende Publikum wurde also nicht zur Gänze ersetzt.
«Schluss mit dem kollektiven depressiven Branchen-Phlegma!»
Der Intendant des Wiener Burgtheaters, Martin Kušej, versuchte im Juni, angesichts schlechter Zahlen Zuversicht auszustrahlen: Die Auslastung der Vorstellungen sei zwar in der Saison 2021/22 von durchschnittlichen 80 bis 90 Prozent auf 62 Prozent abgestürzt; jetzt solle es aber wieder aufwärtsgehen. Kušej hat mehr Komödien angesetzt. Ähnlich twitterte im Mai der Kaufmännische Direktor des Theaters in Regensburg: «Fällt uns ein Zacken aus der Krone, wenn momentan «Fledermaus» mehr nachgefragt ist als «Totenhaus»? Nein – und trotzdem sollten wir an den anspruchsvollen Themen dranbleiben, deren Zeit kommt nämlich wieder. Schluss mit dem kollektiven depressiven Branchen-Phlegma!»
Das 9-Euro-Ticket fürs Theater
Im verzweifelten Bemühen darum, sich neue Zuschauergenerationen zu erschliessen, hat das Theater Hagen in Nordrhein-Westfalen einen Schritt getan, der die deutschsprachige Szene aufschreckte und von weniger subventionierten Gruppen und Bühnen teils wütend kommentiert wurde: Hagen offeriert seit Oktober ein Flatrate-Ticket – für 9 Euro im Monat darf man fast alle Vorstellungen besuchen. Das Angebot gilt vorläufig bis Ende Jahr.
In Zürich gibt es ein vergleichbares, freilich nicht ganz so günstiges Angebot. Fünf Theater in der Stadt haben in der Saison 2020/21 gemeinsam ein Wahlpreissystem eingeführt: Jedes Vorstellungsticket, egal für welchen Tag oder Platz, kann für nur 15 Franken erworben werden; zwei höhere Preisstufen stehen für jene zur Wahl, die mehr zahlen können und wollen.
Kulturroutinen (wieder) lernen
Retten solche Strategien die Häuser längerfristig? Die Theater hoffen, dass die verlernten Kulturroutinen vielleicht bloss wieder zum Leben zu erweckt beziehungsweise den Jüngeren beigebracht werden müssen: Diese kämen auf den Geschmack, wenn bezahlbare Angebote sie erst einmal erreicht hätten. Dass die unfreiwillige Entdeckung häuslicher Unterhaltung vom Streaming bis zum Brotbacken die Lust auf Theater komplett verdrängt hat, möchte man nicht glauben.
Gegen die Untergangsthese spricht auch, dass einzelne Blockbuster und auch Festivals, Veranstaltungen mit Eventcharakter oft sehr gut laufen – während bei der regulären Hochkultur-Premiere nicht mehr zwingend alle Plätze besetzt sind. Der gefeierte Regisseur Christopher Rüping, dessen Inszenierung «Border» gerade in Zürich zu sehen ist, klagte im April, dass seine «Brüste und Eier»-Premiere am Hamburger Thalia-Theater die erste in seinem Arbeitsleben mit leeren Plätzen sei.
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Hat es, wie Harald Schmidt frotzelte, primär mit verquasten, politisch aufgepimpten Projekten zu tun, die langweilen und sich keine Woche am Broadway halten würden? Immer wieder wird über die unzugängliche Ästhetik geschimpft, jüngst tadelte auch die FAZ die ungemütliche «Kampfprosa aus der Theaterküche». Aber warum schlüge das ausgerechnet jetzt derart zu Buche? Und: Wollen wirklich alle nur gut gemachtes Erzähltheater schauen? Nicht zuletzt fusste die Subventionspolitik ja einst auf der Idee, widerständige, gerade nicht leicht konsumierbare, unbequeme Kunst zu stützen statt der Mainstream-Selbstläufer.
Es gibt Untersuchungen, laut denen das Geld nicht der Haupthinderungsgrund für den Kulturbesuch ist. Aber womöglich ist es am Ende doch so, dass in Zeiten finanzieller und sonstiger Sorgen vor allem die Ausgabe ins Gewicht fällt; insbesondere, wenn man seinen Budget- und auch seinen Zeitplan nun pandemiebedingt jahrelang anders aufgestellt hat. Frei nach Brecht seh’n wir betroffen: viel’ Plätze leer und alle Fragen offen.
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