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Anklage wegen Angriff auf die Demokratie
Washington empfängt Donald Trump mit Schaden­freude und Galgenhumor

Die drei Männer im Fokus des Prozesses: Ankläger Jack Smith, Verteidiger Todd Blanche und Donald Trump vor Gericht. 

Als dröge und versiffte Bürokratenstadt ist Washington im Rest der USA verschrien. Dabei zeigen die Hauptstädter durchaus Witz und Festlaune, besonders, wenn sie Grosses zu feiern haben. Zum Beispiel eine Anklage gegen Donald Trump, den hier notorisch unbeliebten früheren US-Präsidenten, der 2020 nur rekordtiefe 5 Prozent der Stimmen in der Hauptstadt erhielt.

Anlässlich von Trumps Gerichtstermin am Donnerstag im Bundesgericht für den District of Columbia verkaufte eine Bäckerei «Grab ‘em by the Peach»-Pfirsichkuchen, und die Bar Fight Club beim Capitol schenkte einen Spezialdrink namens «Third Time’s the Charge» aus, ein scherzhaft abgewandeltes Sprichwort: Aller guten Dinge sind drei, mit der dritten Anklage wird es gelingen.

Die Richterin lässt Trump 23 Minuten warten

Es ist eine Mischung aus Schadenfreude und Galgenhumor, denn am Donnerstag stand Trump vor Gericht, weil er Washington traumatisiert hat und es keineswegs ausgeschlossen ist, dass er das wieder tun wird. In Sichtweite des Capitols musste sich Trump um 16 Uhr einer Bundesrichterin stellen wegen seines Versuchs, das Resultat der Wahlen 2020 umzustürzen, unter anderem mit einem gewaltsamen Sturm auf ebendieses Capitol. Nun liegen vier Anklagepunkte vor gegen den früheren Präsidenten des Landes: Störung einer Kongresssitzung sowie dreifache Verschwörung zum Betrug an den Vereinigten Staaten, zur Behinderung einer offiziellen Verhandlung und zur Verletzung des Wahlrechts der Amerikaner.

Langsam trottete Trump kurz vor 16 Uhr im gewohnten blauen Anzug mit roter Krawatte in den Saal, alle Augen auf sich gerichtet. Mit einer Ausnahme. Sonderermittler Jack Smith, jener Mann, der die Anklageschrift unterschrieben hatte, schien in jenem Moment demonstrativ in eine andere Richtung zu schauen.

Trump, der sonst stets die anderen lange auf sich warten lässt, musste sich für einmal selbst in Geduld üben, bis Richterin Moxila Upadhyaya 23 Minuten nach ihm in den Saal schritt und ihn mit einem «Guten Nachmittag, Herr Trump» begrüsste. Viel ernsthafter sei die Stimmung gewesen als im Juni beim Gerichtstermin in Florida, wo Trump die erste Strafklage vor einem Bundesgericht vorgelesen wurde, berichteten jene Journalisten, die einen der begehrten Plätze im Medienraum des Gerichts ergattert hatten.

Die Warnung der Richterin

Der Angeklagte musste seinen Namen nennen, «Donald J. Trump, John», und sein Alter «Sieben, Sieben». Später durfte er sagen, er plädiere auf «nicht schuldig», dann entschied die Richterin erwartungsgemäss, ihn bis zum Prozessbeginn wieder freizulassen, unter Bedingungen: Er darf sich keine Verbrechen zuschulden kommen lassen. Ein Verbrechen wäre es etwa, Geschworene zu beeinflussen, warnte ihn Upadhyaya. Das ist zwar eine Standardformulierung, die allen Angeklagten vorgetragen wird. Diesmal aber schien sie besondere Tragweite zu erhalten: Trump ist in Florida unter anderem angeklagt, die Justiz behindert zu haben.

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Überraschungspotenzial hatte am Donnerstag einzig die Festlegung des Terminkalenders. Sonderermittler Jack Smith hatte versprochen, das Verfahren sehr schnell voranzutreiben. Bereits auf den 21. August wollten seine Leute den ersten Termin bei Richterin Tanya Chutkan ansetzen, die den Prozess leiten wird. Trumps Anwälte hingegen versuchten, möglichst viel Zeit zu gewinnen. Nun ist die erste Besprechung auf den 28. August festgelegt. Dann wird besprochen, ob auch der dritte Strafprozess gegen Trump noch vor der Präsidentschaftswahl 2024 stattfinden soll. Ab März 2024 muss sich der frühere Präsident schon in New York wegen eines Schweigegelds an eine Nacktdarstellerin verantworten, im Mai soll der Prozess in Florida folgen.

Suzanne Monk ist überzeugt, dass Donald Trump die Wahl 2020 eigentlich gewonnen habe – und dass er politisch verfolgt werde.

Die jüngste Anklage gilt zwar als die bisher schwerwiegendste gegen Donald Trump, den ersten US-Präsidenten, der sich vor einem Strafgericht verantworten muss, jetzt schon dreifach. Doch scheint in der amerikanischen Öffentlichkeit bereits ein Sättigungseffekt eingesetzt zu haben. In New York säumten noch mehrere Hundert Demonstranten die Strassen, als er Anfang April das erste Mal als Angeklagter vor Gericht erscheinen musste. In Florida wurde er im Juni von einer ganzen Schar seiner Anhänger empfangen.

Mehr Journalisten und Schaulustige als Demonstranten

Nun, in Washington, waren die Journalisten mit grossem Abstand in der Überzahl vor dem Gerichtsgebäude im Stil des nüchternen Klassizismus der 1950er-Jahre. Auch Schaulustige und Touristen aus allen Weltgegenden waren zahlreicher als die Aktivisten. Mindestens ein Dutzend Smartphonekameras waren auf jeden Demonstranten gerichtet, besonders, als sich zwei Trump-Anhängerinnen und eine Handvoll seiner Gegner gegenseitig zu übertönen versuchten. Die einen brüllten «Trump hat gewonnen» ins Megafon, die anderen antworteten mit einem lauten Rap über den Mann mit den orangen Haaren. Das Lied bestand im Wesentlichen aus einem beliebten englischen Fluchwort.

Nadine Seiler drückt vor dem Gerichtsgebäude in Washington ihre Genugtuung darüber aus, dass Donald Trump gerade als Angeklagter vor einer Richterin steht.

Die Demonstranten wirkten ebenso routiniert wie unversöhnlich. Viele kamen regelmässigen Beobachtern einschlägiger Kundgebungen bekannt vor, ebenso ihre Transparente, etwa Nadine Seiler, die mit leuchtenden Augen ihr Plakat schwenkte, auf dem in grossen Lettern «Angeklagt» stand. Auch Suzanne Monk demonstriert oft und ausgiebig, allerdings auf der Gegenseite: Sie hält die Capitolstürmer für politische Gefangene und Trump für den rechtmässigen Präsidenten.

Neu war an diesem Donnerstag nur ein Ansteckknopf, der meistverkaufte vor dem Gericht. «Trump don’t know Jack», stand da neben einem Konterfei von Sonderermittler Jack Smith. Schon wieder so ein Wortspiel mit einer Redewendung. Dieses bedeutet sowohl, Trump kenne seinen Gegner nicht, als auch, er verstehe allgemein überhaupt nichts.

«Trump kennt Jack nicht» steht neben dem Foto von Sonderermittler Jack Smith. Es ist ein Wortspiel und bedeutet auch: Trump hat von nichts eine Ahnung.

Ungläubig schaute dem Treiben Ben Pashek zu. Es sei schon richtig, dass Trump vor Gericht gestellt werde, aber dem Mann werde viel zu viel Bedeutung eingeräumt, sagte der 18-jährige Urlauber aus Ohio. «Wir müssen die Vergangenheit endlich überwinden, es gäbe so viele wichtigere Anliegen zu besprechen», fand er, der sich eben erst als unabhängiger Wähler registriert hat und auch die Reaktion der Demokraten für übertrieben hält: «Es ist überdreht, Trump gleich mit Hitler zu vergleichen. Aber es wäre sicher nicht gut, vor allem für die Republikaner, wenn er noch einmal gewählt würde.»

Trump lässt sich über «Zerfall» der Hauptstadt aus

Trump verbreitete unterdessen die Botschaft, die Strafprozesse seien politisch motiviert. US-Präsident Joe Biden versuche damit, von den Straftaten seines eigenen Sohnes abzulenken und den aussichtsreichsten Kandidaten der Republikaner für die Wahlen 2024 auszuschalten. Doch jede Anklage bringe ihn der Wiederwahl näher, sagte Trump. Umfragen zufolge kann er sich zumindest sehr grosse Hoffnungen machen, wieder Kandidat der Republikaner zu werden, nach den ersten zwei Anklagen zumindest stiegen seine Zustimmungswerte.

Wie unantastbar sich Trump fühlt, belegt auch seine Verteidigungsstrategie. Unverfroren behaupteten seine Anwälte in den vergangenen Tagen, der Präsident habe damals wirklich daran geglaubt, ihm sei die Wahl gestohlen worden, er habe sich darum gar nicht strafbar gemacht. Als müsse man Verständnis aufbringen dafür, dass ein Präsident mit allen Mitteln versucht, eine friedliche Machtübergabe an seinen Nachfolger zu hintertreiben, obwohl ihm verschiedenste Gerichte, Beamte sowie die grosse Mehrheit seiner Entourage wochenlang versichert hatten, er habe die Wahlen verloren.

«Es war sehr traurig, durch Washington zu fahren und all den Dreck und den Verfall zu sehen.»

Donald Trump nach dem Gerichtstermin

Dass er in Washington 2024 erneut keine Chance haben wird, weiss Trump ganz genau. Aber auch, dass er Kapital daraus schlagen kann, dass seine Anhänger die Hauptstadt, das Symbol für den Zentralstaat, mindestens ebenso gering schätzen. «Das ist ein sehr trauriger Tag für Amerika», sagte Trump nach dem Gerichtstermin, bevor er in sein Flugzeug stieg und in sein Sommerdomizil in New Jersey zurückflog. «Und es war auch sehr traurig, durch Washington zu fahren und all den Dreck und den Verfall zu sehen, all die kaputten Gebäude und Mauern und Graffiti. Die Stadt war nicht so, als ich sie verlassen habe.» Wer unter seinen Anhängern weiss schon, dass der Weg vom Flughafen zum Gerichtsgebäude fast ausschliesslich durch Parkanlagen und entlang von Repräsentationsgebäuden führt?