Virale DepressionenWas uns tröstet, was uns hilft
Liebe, Arbeit, Kultur: die drei Killer-Apps im täglichen Abstiegskampf gegen die Angst.
Der Bundesrat, wir haben es gestern erfahren, schränkt die Freiheit der Bürger weiter ein in der Hoffnung, dadurch ihre Sicherheit zu stärken. Zum Unangenehmsten gehört die Pflicht, auch im Freien mit einer Schutzmaske herumzulaufen. Wer der Forderung widersteht, kann dafür von der Polizei belangt werden.
Wird die Schweiz damit ihre Ansteckungszahlen wieder senken können? Welche langfristigen Folgen haben die neuen Massnahmen für die Wirtschaft? Auch andere Länder stehen vor denselben Problemen. Niemand weiss eine Lösung, die Sicherheit garantiert und keine kollektiven Konkurse auslöst.
So weckt das Virus Ängste, Aggressionen und Apathie als Ausdruck der Ohnmacht. Im Netz fallen Vorsichtige und Vorlaute übereinander her. Das Maskentragen verkommt zur Glaubensfrage. Das Überleben wird gegen die Meinungsfreiheit abgewogen.
Die beste Kur gegen die Sorge ist Arbeit.
Wer dieses Gezänk nicht ertragen will und die Bedrohungslage nicht aushalten kann, wer an der tristen Gegenwart verzweifelt und wen die unbestimmte Zukunft bedrückt, wird sich fragen: Was kann mir helfen, was wird mich trösten?
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Fragen wir zuallererst den Mann, der nie gelebt hat und nie sterben wird. So jedenfalls hat das «Museum of London» seine Ausstellung über Sherlock Holmes betitelt, und es stimmt: Der fiktive Detektiv ist unsterblich. Ausserdem hat er einen guten Rat gegen das Verzagtsein. «The best cure for sorrow is work, my dear Watson», sagt er an einer Stelle: Die beste Kur gegen die Sorge ist Arbeit.
Sinnvolle Arbeit natürlich. Die einem das Gefühl gibt, etwas beizutragen zu einem Ganzen. Bei der man mit anderen nach der besten Lösung sucht. Bei der man abends heimgeht und weiss, was man geschaffen hat. Zahllose Studien haben belegt, welche Folgen die Arbeitslosigkeit für das Selbstwertgefühl haben kann; wie minderwertig man sich dabei vorkommt; wie stark sich Identität, Status und Respekt über die Arbeit definieren. Man mag das bedauern. Aber es stimmt trotzdem.
Sherlocks Schüler
Ein Schüler von Sherlock Holmes kam zum selben Schluss wie sein Lehrer, fügte aber einen zweiten Trost hinzu: Das Entscheidende für den Menschen, schrieb Sigmund Freud, seien «Lieben und Arbeiten». In dieser Reihenfolge. Freud liebte die Geschichten von Arthur Conan Doyle, dem Erfinder von Sherlock Holmes und selber Arzt. Freud verglich auch die Psychoanalyse mit dem Ermitteln und den Analytiker mit dem Detektiv. Die Unterwelt als Ausdruck des Unbewussten.
Und hatte er nicht recht? Je grimmiger die Welt einem vorkommt, desto enger möchte man gehalten werden. Je mehr die Geliebte verzagt, desto besser versucht man sie zu trösten. Die Liebe in den Zeiten von Corona: Sie ist unersetzlich, weil man ohne sie einsam wird. Was dem Heiratspaar als Versprechen in der Kirche abgerungen wird, dass es zueinander stehen soll in guten wie in schlechten Zeiten - genau so eine Situation wie diese ist mitgemeint. Und in einer solchen Situation möchte man diese beiden Sätze hören: «Du bist nicht allein. Wir schaffen das.»
Die Sorgen kehren wieder
Dieses zusammen Stehen und gemeinsame Gehen erweist sich also umso wichtiger, als keiner von uns weiss, wie lange diese Pandemie noch dauern wird. Wie sehr sie Beziehungen belasten und Arbeitsplätzen vernichten wird. Und überhaupt: Was für andere Sorgen dahinter lasten, die das Virus nur verdrängt hat. Die unumkehrbare Umweltverschmutzung zum Beispiel. Der unaufhaltsame Klimawandel. Überbevölkerung, Unterernährung, Wasserknappheit. Man darf gar nicht an all das denken, was uns auch noch droht.
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Umso mehr freut man sich über das dritte Killer-App gegen die virale Depression. Neben Liebe und Arbeit bietet sich die Kultur an. Kultur als Ausdruck davon, wer wir sind und wie wir sein könnten. Im Roman über das Leben in einer verseuchten Stadt. Beim Song über ein Unrecht, aus dem heraus Recht gesprochen wird. Dank dem Film als Erinnerung an ein Stück Geschichte. Im Theaterstück über eine Freundschaft, die im Verrat endet.
Denn die Kultur probiert das Leben aus und zeichnet Schicksale nach. Sie bringt Konflikte zum Explodieren und kommentiert Revolutionen. Sie feiert das Schöne und verleiht der Verzweiflung Ausdruck. Sie lässt uns am einen teilhaben und trägt zur Verarbeitung der anderen bei. «Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang», schreibt Rainer Maria Rilke in seiner ersten Duineser Elegie. Der Satz lässt sich umkehren: Das Schöne ist auch des Schrecklichen Ende.
Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang.
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