Analyse zum NahostkonfliktWas Trumps «historische Friedensabkommen» gebracht haben
Vor einem Jahr normalisierten vier arabische Länder ihre Beziehungen mit Israel. Vieles ist in Bewegung gekommen, doch in einem entscheidenden Punkt herrscht Stillstand.

Wer sich die Bildergalerie anschaut vom 15. September 2020, der blickt zurück in eine längst vergangene Zeit. Donald Trump winkt da noch als US-Präsident selbstzufrieden in die Kameras, neben ihm steht etwas schulbubenhaft der inzwischen ebenfalls abgewählte israelische Regierungschef Benjamin Netanyahu. Flankiert werden die beiden von den Vertretern der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Bahrain. (Lesen Sie dazu die Analyse «Es geht um den Iran, nicht um den Frieden».)
Es sind die Bilder von der Unterzeichnung der sogenannten Abraham-Abkommen in Washington. Israel hat darin diplomatische Beziehungen aufgenommen mit zwei arabischen Staaten. Es folgten noch entsprechende Vereinbarungen mit dem Sudan und Marokko. Trump selbst sprach von «historischen Friedensabkommen» – und forderte gleich den Friedensnobelpreis für sich. Doch ein Jahr danach stellt sich die Frage: Was ist geblieben vom damals gefeierten Aufbruch in eine neue nahöstliche Ära? Und wie geht es weiter?
Keine Lösung gibt es für das Zentrum des nahöstlichen Konflikts, in dem immer noch der israelisch-palästinensische Dauerstreit steht.
Bei den allfälligen Jubiläumsveranstaltungen wird kräftig mit Zahlen geprotzt zu den wechselseitigen Investitionen oder zum Handelsvolumen, das zum Beispiel zwischen Israel und den Emiraten im ersten Halbjahr 2021 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum von 50 Millionen auf mehr als 600 Millionen Dollar gestiegen ist. Auf Kooperationen kann man verweisen, von der Kultur über den Klimaschutz bis zur Cybersicherheit. Überdies gibt es mit neuen direkten Flugverbindungen zwischen Tel Aviv und Abu Dhabi oder Marrakesch einen regen Austausch, selbst unter den Beschränkungen der Pandemie.
Da ist etwas in Bewegung geraten, das reichlich Potenzial hat, zumal die Annäherung nicht nur auf Wirtschaftsinteressen beruht, sondern auch noch von politischen Erwägungen angetrieben wird. Angesichts solcher Bedingungen müssten die Abraham-Abkommen also eigentlich ein Selbstläufer sein mit einer Flut von Nachfolgevereinbarungen. Das aber sind sie nicht.
Joe Biden setzt andere Akzente in Nahostpolitik
Dies hat mindestens zwei Gründe. Zum einen bekennt sich die neue US-Regierung zwar grundsätzlich dazu, den Abraham-Weg fortzusetzen. Aber anders als Trump ist Joe Biden offenkundig nicht bereit, die arabische Annäherung an Israel durch sachfremde Belohnungen wie Waffenlieferungen (Emirate) oder die Anerkennung territorialer Ansprüche (Marokko) zu befördern.
Zum anderen sind die als Friedensprojekt apostrophierten Abkommen in Wirklichkeit nur Normalisierungsvereinbarungen. Sie schaffen keinen Frieden, weil nie Krieg geführt wurde zwischen den Vertragspartnern. Deshalb berühren sie auch nicht das Zentrum des nahöstlichen Konflikts, in dem immer noch der israelisch-palästinensische Dauerstreit steht. Zentrale Akteure wie Saudiarabien werden sich wohl von den Abraham-Abkommen fernhalten, solange nicht dieser Kernkonflikt gelöst wird.
Die Abraham-Abkommen haben den Gaza-Krieg weder verhindern noch beenden können. Sie haben sich als irrelevant erwiesen.
Wie dringlich diese Lösung ist, hat sich erst wieder im Mai gezeigt, im Gaza-Krieg zwischen Israel und der Hamas. Die Abraham-Abkommen haben diesen Krieg weder verhindern noch beenden können. Sie haben sich da schlicht als irrelevant erwiesen. Nötig war vielmehr der Rückgriff auf die althergebrachten nahöstlichen Regeln – mit Ägypten als Vermittler.
Unterstrichen wurde das noch einmal in dieser Woche, als sich Israels neuer Premier Naftali Bennett in Sharm al-Sheikh mit dem ägyptischen Machthaber Abdel Fattah al-Sisi traf. Wenn also aus den Abraham-Abkommen mehr werden soll als ein Irrlicht aus der Ära Trump, dann muss es von der Peripherie zum Kern des Konflikts vorstossen.
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