Gegenvorschlag zur GletscherinitiativeWas taugt der neuste Wurf in der Klimapolitik?
Milliarden für saubere Heizungen und klimaschonende Technologien. Die Umweltkommission des Nationalrats nimmt zentrale Forderungen der Gletscherinitiative auf. Die Initianten sind positiv überrascht, nur die SVP ist nicht begeistert.
Die Umweltkommission des Nationalrats hat einen ersten Pflock eingeschlagen, wie es nach dem Nein zum CO₂-Gesetz im letzten Jahr weitergehen könnte im Klimaschutz. Sie legt nun einen indirekten Gegenvorschlag zur eingereichten Volksinitiative «Für ein gesundes Klima», kurz Gletscherinitiative, vor. Erwartet wurde ein schwacher Gesetzesentwurf, entstanden ist eine Vorlage, die allen Parteien von Mitte bis links gefällt, aber der SVP missfällt. Sogar die Initianten der Gletscherinitiative schlagen versöhnlichere Töne an als auch schon. «Wir sind zuversichtlich gestimmt», sagt Michèle Andermatt von der Gletscherinitiative. Was ist vom Gegenvorschlag zu halten und wie geht es nun weiter?
Wie stark ist der Gegenvorschlag gegenüber der Gletscherinitiative?
Die 2019 eingereichte Volksinitiative verlangt, dass die Schweiz in der Verfassung verankert, bis 2050 klimaneutral zu sein. Zudem verbietet sie ab 2050 fossile Brenn- und Treibstoffe, ausser es gibt keine technischen Alternativen zu ihnen. Der Gegenvorschlag der Umweltkommission des Nationalrats sieht das ebenso, aber in Form eines Rahmengesetzes, das als langfristiges Ziel die Klimaneutralität vorsieht. Die Kommission will so Zeit gewinnen bei der Umsetzung des Klimaschutzes.
Gibt es konkrete Zwischenziele?
Ja. Die Schweiz soll laut Gegenvorschlag bis 2040 die Emissionen um 75 Prozent gegenüber 1990 senken. Das entspricht in etwa den wissenschaftlichen Grundlagen des Weltklimarates IPCC, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Im Pariser Abkommen wird aber von den Industrieländern mehr verlangt als von den übrigen Staaten. Für die Initianten der Gletscherinitiative ist der Absenkpfad im Gegenvorschlag nur «das Minimum». Die Bundesverwaltung erhält eine Vorbildrolle: Die zentrale Verwaltung soll sich verpflichten, bis 2040 das Netto-null-Ziel zu erreichen, Kantonsverwaltungen und bundesnahe Unternehmen wie die Post oder die SBB sollen diese Marke ebenfalls anstreben.
Wie viele Emissionen sollen im Ausland reduziert werden?
Das ist im Gegenvorschlag nicht definiert – im Gegensatz zur Gletscherinitiative, die keine Emissionsreduktion im Ausland zulässt. Im neuen Revisionsvorschlag des CO₂-Gesetzes des Bundesrats, dessen Vernehmlassung abgeschlossen ist, kann die Reduktion von Treibhausgasen im Ausland aber angerechnet werden.
Welches Massnahmenpaket schlägt die Umweltkommission vor?
Zu den wichtigsten Instrumenten gehören die 1,2 Milliarden Franken, die während sechs Jahren in die Entwicklung neuer Technologien fliessen sollen, um Treibhausgase zu reduzieren. Dazu gehören auch Systeme, die CO₂ der Atmosphäre entziehen und im Untergrund speichern. Verschiedene Kehrichtverbrennungsanlagen wollen zum Beispiel diesen Weg gehen. Ohne solche Technologien kann die Schweiz nicht klimaneutral werden. Der Bund rechnet in seinen Energieperspektiven mit etwa 12 Millionen Tonnen Restemissionen aus der Energiebranche, Industrie und Landwirtschaft, die kompensiert werden müssen. Weiter sieht die Umweltkommission ein Sonderprogramm vor, um fossile und elektrische Heizungen etwa durch Wärmepumpen und Fernwärme zu ersetzen und Gebäudesanierungen zu fördern. Dafür sollen während zehn Jahren jährlich 200 Millionen Franken aufgebracht werden.
Reichen diese Massnahmen, um die Klimaziele zu erreichen?
Anthony Patt, Klimaforscher an der ETH Zürich, schätzt, dass der indirekte Gegenvorschlag das Potenzial hat, einen Teil des nötigen Strukturwandels im Klimaschutz voranzutreiben. Die Initianten der Gletscherinitiative zweifeln, dass mit diesen Massnahmen die gesetzten Klimaziele der Umweltkommission erreicht werden können. Die neue Protestklimabewegung Renovate Switzerland fordert, dass der Bund eine Milliarde Franken pro Jahr zur Verfügung stellt, um bis 2040 eine Million Häuser zu isolieren. Die Umsetzung hängt letztlich davon ab, wie effektiv die Massnahmen im revidierten CO₂-Gesetz sein werden. Der vorgelegte Entwurf verzichtet allerdings auf Verbote und eine Erhöhung von CO₂-Abgaben und wird von den Initianten der Gletscherinitiative als wenig ambitioniert eingestuft.
Wie geht es weiter?
Der Nationalrat stimmt in der Juni-Session über den Gegenvorschlag ab. Er ist in der Kommission mit 17 zu 7 Stimmen gutgeheissen worden. Die Gegenstimmen stammen von der SVP. Es ist durchaus realistisch, dass die Partei gegen den Entwurf das Referendum ergreifen wird, wie es in der NZZ heisst. Die SVP befürchtet Verbote und Verteuerungen, falls das Gesetz in Kraft trete. Die Umweltkommission zielt mit dem Gegenvorschlag auf den Rückzug der Gletscherinitiative. Die Initianten wollen den Gesetzesvorschlag nun genau prüfen.
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