Ungleichheit zwischen GeschlechternWas Schweizerinnen und Schweizer über Gleichberechtigung denken
Wenn es um Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern geht, kommt die Schweiz nicht gut weg. Das zeigt eine Umfrage in 17 Ländern.
Vor 50 Jahren führte die Schweiz das Frauenstimmrecht ein. Was hat sich seither geändert? Gibt es heute Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern? Antworten auf diese Fragen liefert eine neue Studie der globalen Frauenorganisation Women Deliver. Sie hat eine repräsentative Umfrage in 17 Ländern durchgeführt, darunter die Schweiz. Das sind die wichtigsten Erkenntnisse daraus:
Ungleichheit gehört zu den drängendsten Problemen
Die meisten Befragten bezeichnen die globale Pandemie als derzeit grösstes Problem ihres Landes, gefolgt vom Klimawandel und der Wirtschaft. Oft genannt werden auch Gesundheit und Migration. Danach folgt aber schon die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. Für 14 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer gehört sie sogar zu den drei drängendsten Problemen – nur in China ist dieser Anteil noch höher.
Wie in anderen Ländern ist der Anteil der Frauen, welche diese Meinung vertreten, erwartungsgemäss höher als derjenige der Männer. Es gibt auch Altersunterschiede: 20 Prozent der 18- bis 24-Jährigen bezeichnen die Ungleichheit als grösstes Problem in der Schweiz. Bei den 45- bis 59-Jährigen sind es nicht einmal halb so viele.
Eine grosse Mehrheit nimmt das Thema aber ernst, unabhängig von Geschlecht und Alter. 82 Prozent der Schweizer Frauen und 72 Prozent der Männer sagen, dass Gleichberechtigung für sie persönlich wichtig sei.
In der Schweiz ist die wirtschaftliche Ungleichheit am grössten
Zu diesem Schluss kommt man zumindest anhand der Umfrageresultate: 37 Prozent der Schweizerinnen geben an, dass sie in ihrem Job weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen auf selber Stufe – in keinem anderen Land, das an der Umfrage teilgenommen hat, ist dieser Anteil höher. Von allen Befragten (inklusive Männer) finden es 83 Prozent inakzeptabel, dass Frauen für dieselbe Arbeit weniger verdienen.
Der am häufigsten genannte Grund für die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern sind denn auch die tieferen Chancen für Frauen auf dem Arbeitsmarkt. 49 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer bezeichnen dies als Hauptursache. Nur in Kolumbien und Argentinien ist dieser Wert noch höher.
Als unfair wird auch die Verteilung bei der Hausarbeit, den elterlichen Pflichten und der unbezahlten Pflege wahrgenommen. Knapp ein Drittel findet zudem, dass Mädchen und Buben beim Aufwachsen unterschiedlich behandelt werden.
Die Umfrage offenbart auch gröbere Missstände: So sagen 14 Prozent der Schweizerinnen, dass ihre Bewegungsfreiheit schon einmal gegen ihren Willen eingeschränkt wurde, durch Familienmitglieder oder den Partner. Das heisst: Jede siebte Frau hierzulande konnte oder kann sich nicht frei bewegen.
Der Bund muss mehr für die Gleichberechtigung machen
60 Prozent finden, dass der Bund die Gleichberechtigung im Land zu wenig fördert. Die Hälfte verlangt mehr Geld von der Regierung, zum Beispiel für Programme zur Unterstützung von Frauen, die Gewalt erfahren haben. Viele wollen zudem, dass bestehende Gesetze reformiert werden, um die Gleichstellung zu fördern und die Diskriminierung zu beenden.
Ganz zuoberst auf der Prioritätenliste sind aber zwei andere Themen: Gewalt und wirtschaftliche Ungleichheit. Zwei Drittel fordern, dass die Strafen für körperliche und sexuelle Verbrechen an Frauen verschärft werden, um geschlechtsbezogene Gewalt einzuschränken. Ausserdem verlangen viele die gleichen Chancen für Frauen auf dem Arbeitsmarkt.
Um dies zu erreichen, müssten aus Sicht einer Mehrheit die Löhne von Frauen und Männern angeglichen werden, was vielerorts immer noch nicht der Fall ist. Weitere Forderungen sind unter anderem bessere Arbeitsbedingungen für Frauen in schlecht bezahlten Berufen und strengere Regeln, um Gewalt und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zu verhindern.
48 Prozent der weiblichen Befragten fordern mehr Frauen in Führungspositionen, beispielsweise als CEOs oder in Verwaltungsräten. Bei den Männern beträgt dieser Anteil nur 37 Prozent.
Die Situation hat sich verbessert
Immerhin finden zwei Drittel, dass sich die Situation in der Schweiz punkto Gleichstellung in den letzten 25 Jahren verbessert hat. 70 Prozent der Männer und 63 Prozent der Frauen sind dieser Meinung. Der Rest sagt, dass sich die Lage verschlechtert hat oder gleich geblieben ist, was wohl ebenfalls negativ interpretiert werden muss.
Viele Befragte glauben zwar, dass sich etwas getan hat, aber noch zu wenig. Sie verlangen vom Bund mehr Engagement für Gleichberechtigung. Allerdings ist der Anteil der Frauen, die diese Forderung stellen, um 19 Prozent höher als bei den Männern – das ist der grösste Gender-Gap aller Länder in der Umfrage.
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