Wegweisend für Soziale MedienFacebook-Entscheid gegen Trump – Sperre vorerst nicht aufgehoben
Dieses Urteil wird zu reden geben: Was bedeutet das nun für die freie Meinungsäusserung? Und was für die Schweizer Politik?
Das Facebook-Aufsichtsgremium hat die Sperre des früheren US-Präsidenten Donald Trump bei der Online-Plattform vorübergehend bestätigt. Das sogenannte Oversight Board aus unabhängigen Experten erklärte am Mittwoch aber, Facebook müsse den Fall innerhalb von sechs Monaten erneut prüfen. Der abgewählte Präsident war nach der gewaltsamen Kapitol-Erstürmung in Washington vom 6. Januar von Facebook verbannt worden.
Was sind die Folgen des heutigen Entscheids? Fragen und Antworten dazu:
Bedeutet der Bann eine Einschränkung der freien Meinungsäusserung?
Nein. Auch wenn das vielleicht wünschenswert wäre und sich die Plattformen gerne als neue Öffentlichkeit inszenieren, sind Facecook, Twitter oder Instagram keine öffentlichen und freien Plattformen, wo man sagen und machen kann, was man möchte. Die Plattformen sind Firmen mit Aktionären, Werbekunden und haufenweise rechtlichen Verpflichtungen. Genauso wie in Supermärkten, Restaurants, Fussballstadien, Kinos oder Clubs kann man auch auf Social-Media-Plattformen schon mal vom Besitzer vor die Tür gestellt werden, wenn man über die Stränge schlägt oder Schlimmeres tut. Genau das ist Trump passiert.
Ob die Verbannung von Trump durch die Social-Media-Konzerne geschickt, elegant und Demokratie-freundlich ist, das ist eine andere Frage.
Fest steht aber: Niemand hindert den ehemaligen US-Präsidenten daran, seine Meinung zu äussern. Er darf das nur nicht auf diesen Plattformen tun. Auch hindert ihn niemand daran, eine eigene Webseite oder Social-Media-Plattform zu lancieren. Und genau das hat er im März auch indirekt angekündigt (So gelingt Trump, woran Google und Apple gescheitert sind).
Viel ist davon allerdings noch nicht zu sehen. In der Nacht auf heute wurde auf der offiziellen Trump-Webseite nur eine Art Mikro-Blog publiziert. Interagieren kann man damit nicht. Die einzelnen Twitter-ähnlichen Wortmeldungen lassen sich aber per Knopfdruck auf Facebook und Twitter teilen. Dazu kann man noch auf ein Herz drücken, wenn einem ein Beitrag gefällt.
Was sind die Folgen der Trump-Verbannung durch Facebook und Twitter?
Die altbekannten. Neben reichlich Schadenfreude wurde von allen Seiten reklamiert, dass es sich hierbei um Zensur handle, dass die Firmen die politische Meinungsäusserung und -bildung sabotierten und noch viel Schlimmeres. Für die Konzerne ist das ein Dilemma. Am liebsten würden sie sich so wenig einmischen wie möglich und gleichzeitig so wenig Leute wie möglich verärgern. Aber in manchen Fällen wie diesem müssen sie eine Entscheidung treffen.
Facebook hat dazu schon 2018 das sogenannte Oversight Board eingeführt. Ein Hütergremium über gerechte und freie Meinungsäusserung mit eigener Webseite und vor allem eigenen Mitarbeitern und Experten. Wie bei einem Gericht kann man dieses Gremium anrufen, und es fällt dann – so es den Fall annimmt – ein Urteil. Je nach Fall bestimmt das Gremium eine Sachverständigengruppe, die die Bearbeitung des Falls übernimmt.Die Schaffung dieses Gremiums stellt sich nun rückwirkend als Glücksfall heraus. Denn genau dieses Oversight Board musste/konnte/durfte nun Facebook die unliebsame Entscheidung über ein Trump-Comeback abnehmen.
Ist das Urteil bindend?
Das Oversight Board ist zwar nur eine Kreation von Facebook, aber das Unternehmen wird sich an das Urteil halten. Dazu gehört auch die Anweisung, die Sperre innert sechs Monaten nochmals zu überprüfen, wie das bei anderen Nutzern gemacht werde. Facebook entferne normalerweise Inhalte, sperre einen Nutzer für eine gewisse Zeit oder lösche das Konto endgültig. Bei Trump wurde mit der unbefristeten Sperre allerdings eine Massnahme ergriffen, welche nicht in den Facebook-Richtlinien vorgesehen sei, bemängelt das Oversight Board.
Für Facebook nicht bindend sind die begleitenden Empfehlungen, die das Gremium ausspricht. Die kann Facebook befolgen oder auch nicht.
Was bedeutet der Bann für Schweizer Politikerinnen und Politiker?
«Eine solche Entscheidung gilt überall dort, wo Facebook genutzt wird. Das könnte also auch Schweizer Politikerinnen und Politiker direkt betreffen, wenn sie etwa Angst und Schrecken verbreiten, sich rassistisch äussern oder gesundheitliche Fehlinformationen posten», sagte Digitalanwalt Martin Steiger in einem SRF-Interview.
Allerdings: Schweizer Politiker dürften bei Facebook weitgehend unter dem Radar fliegen. Dass das Netzwerk nach einem Entscheid auch hierzulande rasch reagieren wird, ist kaum zu erwarten. Gut möglich aber, dass Polit-Exponenten, die mit ihren Posts an die Grenzen gehen, noch mehr in den Fokus derer gelangen, die sich gegen sie engagieren. Ganz nach dem Motto: Hey Facebook, wenn Ihr mit Trump so verfahrt, dann müsst Ihr das bei Person X in der Schweiz auch anwenden.
Was brächte Facebook ein Trump-Comeback?
Neben viel Risiko und künftigen Dilemmata auch einen nicht unwichtigen Sieg gegen den kleinen Rivalen Twitter. Würde Trump von Twitter zu Facebook wechseln, wäre das ein bisschen, wie wenn ein Fussballer von seinem jahrelangen Stammverein zum reichen Stadtrivalen wechselt. Bei Facebook dürfte man es gar nicht gern gesehen haben, wie Trump in den letzten Jahren Twitter zur wichtigsten News-Plattform seiner Präsidentschaft und zum Leitmedium gemacht hat.
Erstürmung des US-Kapitols
Facebook sperrte Trump – genauso wie auch Twitter und Youtube – im Januar kurz vor dem Ende seiner Amtszeit. Auslöser war die Erstürmung des US-Kapitols durch seine Anhänger – und dass er Sympathie für die Angreifer bekundete. Twitter betonte bereits, dass es für Trump keinen Weg zurück auf die Plattform gebe. Googles Videoplattform Youtube will dagegen sein Profil entsperren, wenn «das Risiko von Gewalt gesunken ist».
Nach der Verbannung von den Online-Diensten war Trump in den vergangenen Monaten darauf angewiesen, Stellungnahmen per E-Mail zu verschicken. Davor war der Twitter-Account mit mehr als 80 Millionen Abonnenten sein mit Abstand wichtigster Kommunikationskanal.
Eigener Blog
Am Dienstag weihte Trump nun einen neuen Kommunikations-Kanal auf seiner Website ein (zum Bericht). Der Blog-Bereich erinnert äusserlich an Twitter – wo es aber nur Beiträge von Trump gibt. Zugleich könnten Trumps Anhänger dadurch Äusserungen des ehemaligen US-Präsidenten sozusagen über eine Hintertür zu Twitter und Facebook tragen. Denn sie können jeden Kurzbeitrag mit wenigen Klicks als Zitat und Link bei den Online-Plattformen teilen. Unklar war zunächst, ob die Dienste das zulassen werden.
In den vergangenen Monaten wurde immer wieder spekuliert worden, der Ex-Präsident könnte eine eigene Online-Plattform starten. In dem Blog-Bereich mit dem Titel «Vom Schreibtisch von Donald J. Trump» können seine Anhänger einzelne Beiträge wie bei Twitter mit einem «Like»-Herz versehen – und sich auch über neue Posts benachrichtigen lassen. Die Möglichkeit, Trumps Beiträge zu kommentieren, gibt es aber nicht.
Eine Art «Oberstes Gericht» von Facebook
Trump ist nach wie vor bei vielen Wählern der Republikaner beliebt – und das sichert ihm weiterhin erheblichen Einfluss in der Partei. Zugleich sanken seine Möglichkeiten, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, mit den Sperren bei den Online-Diensten drastisch.
Facebook hat anders als Twitter und Youtube ein Aufsichtsgremium aus Rechtsexperten, Aktivisten und ehemaligen Politikern, das Entscheidungen des Online-Netzwerks zum Umgang mit einzelnen Personen und Inhalten auf den Prüfstand stellen kann. Es ist eine Art «Oberstes Gericht» von Facebook, dessen Beschlüsse auch Gründer und Chef Mark Zuckerberg nicht überstimmen kann.
Das Geld für das Aufsichtsgremium wurde zwar von Facebook bereitgestellt – liegt aber in einer Treuhandgesellschaft, was die Unabhängigkeit sichern soll. Bei den wenigen bisherigen Entscheidungen machte das Oversight Board bereits mehrere Sperren von Inhalten durch Facebook rückgängig.
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Rafael Zeier/cpm
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