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Buch über Guillaume Hoarau
«Was passiert jetzt genau mit mir?»

«In Paris kannst du abdriften.» Guillaume Hoarau als Stürmer von Paris Saint-Germain.
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In der Winterpause 2007/08, Guillaume Hoarau verbringt sie wie meistens auf La Réunion, klingelt das Telefon bei Berater Thierry Gras fast pausenlos. «Er rief mich an und sagte: Gui, wo willst du hin? Alle haben angerufen. Paris, Marseille, Lens, du kannst wählen. Wow. Diesmal war ich richtig beeindruckt.» Le Havre will den Vertrag mit Hoarau verlängern. Der Kleinclub aus der Ligue 2 würde den Stürmer nicht halten können, wenigstens sollte eine Vertragsverlängerung die Ablösesumme in die Höhe treiben. Hoarau lehnt ab, was bei Le Havre nicht gut ankommt.

Die überragende Hinrunde hat den 23-jährigen Hoarau zum begehrtesten Stürmer in Frankreich gemacht. Als Erstes setzt er sich mit Lens an einen Tisch, mit dem Trainer Jean-Pierre Papin, Hoaraus Jugendidol. Gleichzeitig verhandelt Thierry Gras mit Marseille, treibt so das Gehalt seines Klienten in die Höhe. Es ist ein riskanter Poker. Pape Diouf, damals Präsident von Olympique Marseille und im Frühjahr 2020 dem Coronavirus erlegen, verliert die Geduld, sagt in der Presse, Hoarau sei geldgierig. «Aber ich hatte noch mit 20 einen Nachwuchsvertrag. Ich hatte doch noch nichts verdient.» In seinem letzten Jahr in Le Havre sind es immerhin 10’000 Euro pro Monat.

Als Nächstes klopft Paris Saint-Germain an. Trainer Paul Le Guen lädt Hoarau direkt zum Essen ein. «Man weiss, dass er nicht so viel spricht. Ich traf mich mit ihm in Paris, er sagte manchmal auch minutenlang gar nichts. Doch er zeigte mir, wie er mit seiner Ruhe den Druck von mir nehmen kann.»

Der wortkarge Le Guen erinnert sich gut an die Verhandlungen mit Hoarau. «Er war damals der Spieler auf dem französischen Markt, alle wollten ihn. Wir waren stolz, dass wir uns da durchsetzen konnten. Bedenken hatten wir keine; wenn ein Stürmer so viele Tore schiesst, dann musst du ihn einfach holen.»

Pauletas riesige Fussstapfen

Im Januar 2008 unterschreibt Hoarau bei PSG, bis im Sommer würde er noch bei Le Havre weiterspielen. Die Pariser übernehmen alle Konditionen, die Gras ihnen vorschlägt. Hoarau lässt sich eine Klausel in den Vertrag setzen, wonach er bei einem Abstieg von PSG noch wechseln könnte. Der Club ist damals grossen sportlichen Schwankungen ausgesetzt: Als sie mit Hoarau verhandeln, sind die Pariser Drittletzte in der Tabelle. Noch am 34. Spieltag verlieren sie 0:3 in Caen, stehen auf Rang 18, einem Abstiegsplatz. «Mein Vater war bei mir, wir schauten jedes Spiel im Fernsehen und dachten uns: Merde, vielleicht haben wir uns vertan. Dann kam das letzte Spiel gegen Sochaux, PSG brauchte einen Sieg, sie gewannen 2:1. Ich habe geweint.»

Hoarau verlässt Le Havre im Sommer 2008 als Torschützenkönig, als Aufsteiger, als grosser Sieger. Acht Punkte Vorsprung hat der Club am Ende auf den Zweitplatzierten, 66 Tore hat er erzielt, 28 davon Hoarau. Als Vertragsloser erhält Hoarau bei seinem Transfer eine Prämie von PSG, 500’000 Euro davon gibt er an Le Havre ab. «Es war ein Merci von mir. Wir hatten unsere Differenzen bei den Verhandlungen, aber trennten uns mit dem Aufstieg im Guten. Der Abschied tat weh.»

Hoaraus Ankunft in Paris geht einher mit dem Abgang einer Clublegende. Pauleta gibt im Sommer 2008 seinen Rücktritt bekannt. Er war eine Grösse im Verein, 168 Spiele, 76 Tore, dreimal Torschützenkönig der Ligue 1, Nationalspieler Portugals. «Und in dessen Fussstapfen sollte ich treten?», fragt sich Hoarau. Paris war für Hoarau von Anfang an eine grosse Nummer.

PSG ist zu dieser Zeit ein Club, der nicht so genau weiss, wo er hingehört. Zu Beginn des Jahrtausends war er ein-, zweimal nahe dran am Meistertitel, die Historie ist aber, da es den Verein erst seit den 70er-Jahren gibt, keine grosse wie beim Erzrivalen Olympique Marseille. Nach dem Fast-Abstieg in der Vorsaison steht PSG unter Druck, das Hauptstadtpublikum und die ungeduldige Presse wollen Erfolge sehen.

«Du denkst, so kannst du nicht Fussball spielen.»

Hoarau entscheidet sich für das ruhige Leben. Er will den Verlockungen der Weltstadt keine Chance geben und zieht mit seiner Freundin nach Saint-Nom-la-Bretèche, einem noblen Vorort, wo sich viele PSG-Profis niederlassen. «Es war einfach: Jene mit Familie wohnten draussen mit uns, die Singles im Zentrum.» Seine Freundin ist schwanger. Im September kommt sein Sohn Andrea zur Welt. «Das war nicht nur wunderschön, das hat mir auch sehr gutgetan, es hat mich geerdet. In Paris kannst du abdriften. Als Spieler von PSG wirst du ständig eingeladen, es gibt überall Fans und Partys, all die Anlässe von Dior und Chanel. Ich blieb ruhig.»

Hoarau startet diszipliniert in die Saison. Trainer Le Guen hält sein Versprechen und setzt auf ihn. PSG spielt nicht berauschend, aber solid, Hoarau bildet das Sturmduo mit Ludovic Giuly oder Péguy Luyindula. Die ersten Wochen gehen vorbei. Dann kommt «le Classique», das Spiel gegen Marseille, die grösste Partie im französischen Fussball.

Die Rivalität im «Derby de France» nährt sich nicht wie bei anderen Klassikern aus einer langen Geschichte. Es ist auch nicht so, dass die beiden Vereine zu der Zeit alle Titel unter sich ausmachen – zu dominant war Seriensieger Lyon in den Jahren davor. Bei Paris gegen Marseille geht es vielmehr um einen kulturellen Graben, es hat, wie in vielen europäischen Ländern, etwas von Nord gegen Süd: die vermeintliche Überlegenheit der «Capitale», des kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Zentrums des Landes, gegenüber der Nonchalance des mediterranen Südens.

PSG muss ins Stade Vélodrome in Marseille, mit 60’000 Zuschauern auf steilen Rampen. Hoaraus Vater fliegt aus La Réunion ein, der Sohn ist nervös. Er schläft sonst immer am Nachmittag vor dem Spiel. Diesmal aber macht er kein Auge zu. Bei der Ankunft wird der Pariser Teambus mit Steinen beworfen. «Sobald du den Rasen betrittst, sprichst du nicht mehr viel, zu laut sind die Pfiffe. Du stehst unter Strom, du zitterst. Du denkst, so kannst du nicht Fussball spielen. Dann geht es los.»

Überlebensgross auf den Champs-Élysées

Schon in der 10. Minute gelingt Hoarau das 1:0. Zur Pause steht es 2:1 für das Heimteam. Das Spiel wird wild, steht bald 2:2, Marseille trifft die Lattenunterkante. Eine Viertelstunde vor Schluss geht PSG in Führung, Hoarau ist am nächsten dran am Freistossball, der aus grosser Distanz ins Tor kullert. In der 83. Minute trifft Hoarau zum 4:2, Marseille ist geschlagen. Im Tor steht sein Freund aus der Akademie in Le Havre, Steve Mandanda.

Die «Doublette» von Marseille macht Hoarau auf einen Schlag berühmt in Paris. «Vorher kannte man mich, wenn man sich für PSG interessierte. Nachher kannte mich jeder.» Trainer Le Guen sagt: «Es gibt keine bessere Integration in Paris als Tore gegen Marseille.» Am Tag nach dem Spiel wechselt Hoarau seine Handynummer, weil sein Telefon ununterbrochen klingelt. Von der Sportzeitung «L’Équipe» erhält Hoarau die Bestnote. Das Trikot mit der Nummer 9, zur Zeit von Pauleta immer begehrt, verkauft sich noch immer gut – aber über der Zahl auf dem Rücken steht nun «Hoarau». Auf einen Schlag hat er drei neue Sponsoren. In der Woche nach dem Spiel ziert ein riesiges Plakat von ihm den Nike-Store auf den Champs-Élysées. «Und ich fragte mich: Was passiert jetzt genau mit mir?»­

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