Was ist Schnee?Das weisse Wunder
Keine Flocke gleicht der anderen, fällt sie vom Himmel, wirkt die Welt gleich friedlicher. Als einzelner Kristall ist Schnee federleicht, in der Masse kann er eine unglaubliche Wucht entfalten. Episoden über ein Element, das niemanden kaltlässt.
Flockenfotos
Es waren kalte und lange Winter in Vermont, Ende des 19. Jahrhunderts. Es schneite viel. In diesen frostigen Monaten widmete sich der Milchbauer Wilson Bentley einer Leidenschaft, die ungefähr so einzigartig war wie das, was er ablichtete: Bentley fotografierte Schneeflocken. Keine gleicht der anderen, die Prismen, Säulen, Plättchen, Nadeln, Sterne, aus denen sie aufgebaut sind, machen jede zu einem Unikat. Und sie schmelzen schnell. Bentley sammelte die Flocken auf einem mit schwarzem Samt überzogenen Holzbrett. Die schönsten Kristallformationen stellte er unter einem Mikroskop scharf, dann öffnete er die Blende der Kamera, so weit es ging, und belichtete – damals war das eine echte Herausforderung. Am 15. Januar 1885, er war erst 19 Jahre alt, schoss er das erste Flockenfoto. Er soll später gesagt haben, dies sei der glücklichste Moment seines Lebens gewesen.
Bentleys ausdauernde Liebe für den Schnee rührt einen heute, in einer Zeit, in der alles zack, zack geschehen muss und vom Himmel schwebende Flocken nur noch wenige verzaubern. Mehr als 5000-mal fotografierte er Schneekristalle. Sein im Jahr 1931, kurz vor seinem Tod, erstmals erschienenes Buch «Snow Crystals» zeigt mehr als 2500 seiner Flockenfotos, man kann es bis heute kaufen.
Schnee im Film
Eine Schneeflocke ist federleicht, eine Schneelawine reine Naturgewalt. Der Regisseur Ruben Östlund («Triangle of Sadness») befasste sich in seinem Film «Höhere Gewalt» mit einem Lawinenunglück, das auf den ersten Blick glimpflich ausgeht – niemand wird ernsthaft verletzt –, aber dann doch nachhaltig zersetzend ist. Eine schwedische Familie sitzt auf der Terrasse einer Hütte in den französischen Alpen, als Panik ausbricht, weil unweit eine Lawine abgeht. Die Mutter ist danach vollkommen verstört: Denn der Vater flieht augenblicklich, während sie sich zuerst um die Kinder kümmert und sie unter einen Tisch zieht. Fühlt er sich gar nicht verantwortlich? Schnee in Filmen und Serien hat oft eine psychologische Komponente – sofort hat man Frances McDormand vor Augen, wie sie sich als Polizistin in «Fargo» durch meterhohen Schnee kämpft, oder Jack Nicholson, der als Ermittler in Sean Penns Dürrenmatt-Verfilmung «Das Versprechen» im Schneegestöber steht und den Mord an einem Kind aufklären will. Was in solchen Szenen so rein und weiss aussieht, ist es in Wirklichkeit nicht. Gerade läuft die sehenswerte ARD-Serie «Schnee», die in einem österreichischen Bergort spielt. Auch hier wird eine Leiche gefunden, es ist ein Thriller – aber nicht nur. Denn die Serie zeigt, wie in Zeiten der Klimakrise der Schnee nicht mehr einfach vom Himmel fällt, sondern künstlich in Kanonen produziert wird. Und die Frage, ob das sinnvoll ist, kann eine Dorfgemeinschaft spalten.
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Schiffbruch
Steht man vor William Turners «Schneesturm», kann einem fast schwindelig werden: dieses Licht, die unglaubliche Bewegung in den Pinselstrichen, die ganze Dramatik! In der Mitte: ein Schiff im tobenden Schneesturm, drumherum peitschende Wellen. Der britische Maler, wegen seiner wilden Technik und einer gewissen Extravaganz von Zeitgenossen gern als «Overturner» beschimpft, hatte sich zuvor für mehrere Stunden an den Mast eines Schiffes während eines Sturmes binden lassen, um mit eigenen Augen zu erleben, was er später auf die Leinwand bannte. Das zeugt nicht nur von ganzem Einsatz, sondern ist auch, fast 200 Jahre später: Kunst, die einen nicht loslässt – und die man in diesem Winter in Deutschland bestaunen kann.
Davoser Höhenluft
In den 1930er-Jahren hatten Schweizer Fremdenverkehrsämter eine schlaue Idee. Sie liessen ihre Plakate von Grafikdesignern und Künstlern wie Walter Herdeg oder Herbert Matter kreieren und schufen damit eine einzigartige Ästhetik, elegant, mondän, supercool. Wer möchte nicht sofort wie eines dieser Paare über die zugefrorene Eisfläche tanzen? Die kühle und klare Luft in Davos einatmen? Die Bündner Bergstadt war damals schon ein bekannter Kurort und ist heute (auf 1560 Metern) die höchstgelegene Stadt Europas, das Sanatorium aus Thomas Manns «Zauberberg» ist nun das Hotel Schatzalp, und überhaupt hat sich so einiges geändert. Winter für Winter landen sehr wichtige Menschen hier mit ihren Helikoptern beim Weltwirtschaftsgipfel und diskutieren über die Zukunft des Planeten. Wie diese in den Alpen aussehen könnte, zeigen die Schweizer Künstler Fischli/Weiss mit ihrem Hang zum Absurden: In der Fondation Beyeler nahe Basel ist seit drei Jahren ein von ihnen gebauter Schneemann das ganze Jahr über ausgestellt – in einem Kühlschrank.
Vorboten des Winterendes
Eine schneebedeckte Welt ist eine konturlose, wattierte, irgendwie auch friedliche Welt. Und doch: Wenn durch die kalte Schicht im Januar, Februar, manchmal auch erst im März die ersten Schneeglöckchen durchbrechen, bekommt man sofort gute Laune: Nicht mehr lange, und die Tage sind wieder lang und warm. Die Blumen haben ihren Namen nicht nur, weil sie so früh im Jahr dran sind mit dem Blühen, sondern weil sie in Farbe und Form auch an Schneeflocken erinnern. Es gibt unzählige Sorten, seltene Exemplare wie die «Elizabeth Harrison» wurde vor ein paar Jahren auf Ebay für fast 1000 Euro gehandelt. Der Appenzeller Schneeglöckchenliebhaber Yanik Neff bietet ab dem Frühjahr beeindruckend viele in seinem Internetshop an (swiss-drops.ch).
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