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Jobcoach: Do it like B-Rabbit
Was Bewerbende von Eminem lernen können

Vom Underdog zum gefeierten Rapper: Eminem in einer Szene von «8 Mile». 
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B-Rabbit weiss es: Er steht mit dem Rücken zur Wand. Nicht nur ist er der einzige Hellhäutige in diesem Rap Battle – auch sonst hat er die Rolle des Underdog, ist angeschlagen, viel zu nervös, hat nichts vorzuweisen. Nur knapp vermochte er sich durch die letzten Duelle zu dissen, mehrmals wurde er als Nazi und Depp aus der Wohnwagensiedlung abgestempelt. Als er im Finale vorlegen muss, denkt er sich darum: «Fuck it, ich drehe den Spiess um.»

Er wisse jetzt schon, wie ihn sein Gegner Papa Doc runterzumachen gedenke, freestylt er. Ja, er sei «White Trash»; ja, er sei ein Penner und ja, er lebe in einem Trailer Park mit seiner Mutter. Auch habe ihn seine Freundin betrogen und genauso könne man seinen Kumpels einiges vorwerfen, gibt er zu. «Hier», sagt er, als er Papa Doc schliesslich das Mikrofon überreicht, «erzähl den Leuten doch etwas, das sie noch nicht über mich wissen.» Dieser ist so perplex, dass er keinen Satz herausbringt. 

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Was diese Schlüsselszene aus «8 Mile», der Quasi-Biografie von Eminem, mit Bewerbungen oder generell der Arbeitswelt zu tun hat? Mit etwas Abstraktionsvermögen recht viel. B-Rabbit wendet nämlich eine Strategie an, die sich auch auf den Bewerbungsprozess adaptieren lässt. Er nimmt seinen Kritikern die Kritik vorweg – und damit den Wind aus den Segeln. Papa Doc und seine Vorgänger, Lotto und Lickety Splyt, haben sich darauf verlassen, sich auf B-Rabbits plakativste Schwächen stürzen zu können. Der wiederum demonstrierte, dass er genau weiss, wofür er kritisiert wird und nahm Papa Doc so diese Möglichkeit. 

Wer zu seinen Schwächen steht, wird oft belohnt

«Das ist Selbstmord», könnte man jetzt sagen, «so erfahren ja alle davon.» Gerade jene, die das Gefühl haben, vom ersten Satz im Mail bis zum letzten im Bewerbungsgespräch dürfte kein negatives Wort auftauchen, haben ein Problem damit. Nun ist der Tolggen im Reinheft entdeckt – und darum das Spiel aus, glauben sie. Das kann durchaus sein, muss es aber nicht. 

Genauso wahrscheinlich ist es, dass die Strategie belohnt wird. Denn einer Person, die offensiv auf potenzielle Unzulänglichkeiten hinweist, lässt sich allerlei Positives unterstellen: 

  • Sie ist sich ihrer Schwächen (oder dessen, was als Schwäche ausgelegt werden kann) bewusst. Und darum reflektiert.

  • Ihr ist es wichtiger, ein realistisches Selbstbild abzugeben, als sich möglichst positiv darzustellen.

  • Sie denkt voraus.

  • Sie verfügt über Empathie – sonst könnte sie ja nicht antizipieren, was andere für Bedenken haben.

  • Sie ist mutig und sucht die Transparenz.

  • Sie ist sich darüber im Klaren, dass die Wahrheit früher oder später herauskommt.

Gar keine schlechte Ausbeute, wenn man bedenkt, dass der vielleicht einzig negative Aspekt jener ist, eine oder mehrere Schwächen zugegeben zu haben. Denn was ist das Schlimmste, was passieren kann? Die Person, die über Ihr Weiterkommen entscheidet, hat eine Information erhalten, an die sie bei genauerer Untersuchung ohnehin gelangt wäre. Sie kann Sie aufgrund dessen ausschliessen – was sie womöglich sowieso gemacht hätte. Oder sie honoriert Ihren Mut und Ihre Ehrlichkeit. 

Nicht nur, wenn sonst nichts geht

Ist es ein riskantes Manöver? Durchaus. Aber gerade für Bewerbende, die den Eindruck haben, für etwas abgestempelt zu werden, ist es ein gangbarer Weg. Wer schon 100 Bewerbungen verschickt hat und dennoch nie zu einem Gespräch eingeladen wurde, kann mit der Flucht nach vorne einen Strategiewechsel vollführen. Stellensuchende, die Burn-outs erlitten haben, fristlos entlassen wurden oder durch eine Verletzung lange ausfielen (und sich darüber im Klaren sind, dass dies ohnehin früher oder später Gesprächsthema sein wird), können so von Anfang an klar machen: Ich weiss, es sieht auf den ersten nicht besonders gut aus, aber… – und kriegen dadurch vielleicht die Möglichkeit, auf den zweiten Blick zu überzeugen. Sofern sie dem «Aber» gute Argumente folgen lassen können, die das vermeintliche Manko zu einem gewissen Teil kompensieren. 

Recruitern ist klar, dass Kandidatinnen nicht perfekt sind, darum kommt oft auch die obligate Frage nach den Schwächen.

Doch auch für alle anderen ist die Flucht nach vorne geeignet. Insbesondere bei Kriterien, die nicht zwingend sind, fällt es leichter, mutig sein: Sie wissen aus der Stellenbeschreibung, dass Französisch zwar «nice to have» wäre, schätzen Ihre Kenntnisse diesbezüglich aber als unterdurchschnittlich ein? Warum nicht ehrlich und/oder mit einem Augenzwinkern darauf hinweisen und damit Offenheit und vielleicht sogar etwas Selbstironie beweisen? Oder auch im Motivationsschreiben: Hier besteht die Möglichkeit, Fragen aufzugreifen, die sich ohnehin stellen werden. Etwa: «Wieso ich trotz fehlender Ausbildung für die Stelle geeignet bin? Weil ...»

Recruitern ist klar, dass Kandidatinnen nicht perfekt sind, darum kommt in Gesprächen ja oft auch die obligate Frage nach den Schwächen. Anstatt hier eine Schwäche als Stärke (und damit das Gegenüber für blöd) zu verkaufen, könnte man doch auf eine solche Soll-Schwachstelle zurückgreifen. 

Trotzdem keine Pauschallösung

Jeder Person in jedem Fall zu so einer Strategie zu raten, wäre dennoch verfehlt. Auch ist es wohl zu optimistisch, zu glauben, dass allen, die es so machen, all diese positiven Eigenschaften zugeschrieben werden. Aber: Es geht ums Prinzip. Wir wissen: Sich zu bewerben, heisst vereinfacht, sich zu präsentieren. Das bedeutet nicht, dass wir hierbei keine Ambivalenz zulassen dürfen. Wir sind Menschen und Menschen haben Schwächen. Oder Defizite. Oder machen Fehler. Diese haben durchaus Platz in einer Bewerbung; solange wir nicht zu sehr damit hadern oder zu stark darauf fokussieren. Nach der Flucht nach vorne ist aber auch der Blick nach vorne wichtig: Was mache ich nun damit, dass ich mir dieser Schwäche bewusst bin? Habe ich etwas zu bieten, um das auszugleichen? Dann wird es spannend. 

In «8 Mile» fährt B-Rabbit fort, über Papa Doc herzuziehen, sticht ihn aus, indem er ihn als Saubermann darstellt, der zu wenig «Street Credibility» hat, um als Rapper ernst genommen zu werden. Hier hört der sonst so schöne Vergleich spätestens auf. Noch niemand hat einen Job bekommen, indem er die Konkurrenz schlecht gemacht hat. Um es wie B-Rabbit zu sagen: Ja, der Vergleich ist vielleicht gesucht. Gut möglich, dass er hinkt, und nein, als Ratschlag für alle taugt er wohl nicht. Aber in manchen Fällen kann die Flucht nach vorne beeindrucken und überzeugen – und so einem Underdog unverhofft gute Chancen verschaffen.