US-Präsident ein Jahr im AmtWas an Bidens eigener Bilanz auffällt – und wie er wirklich abschneidet
Joe Biden schaut zufrieden auf sein erstes Jahr als Präsident der USA zurück und wehrt sich gegen den Vorwurf der Erfolglosigkeit. Doch einen Weg aus seiner Krise bleibt er schuldig.
Für Joe Biden könnte es gerade nicht besser laufen. Die Wirtschaft brummt, er ergreift die richtigen Massnahmen gegen Covid, er hat ein Milliardenpaket für die Wirtschaft geschnürt. So zumindest klingt es, wenn Joe Biden selbst Bilanz zieht nach seinem ersten Jahr als US-Präsident.
Nun ist es nicht gerade ein Geheimnis, dass Biden ziemlich allein ist mit seiner rosigen Sicht der Dinge. Nur noch 42 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner sind mit seiner Amtsführung einverstanden, das sind Werte beinahe so schlecht wie die von Donald Trump. Der defensive Ton, mit dem Biden am Mittwoch seine Bilanz vor den Medien vortrug, verriet, dass er sich seiner Situation sehr wohl im Klaren ist.
Diese fünf Punkte stachen heraus:
Angriff statt Heilung
Angetreten war Joe Biden vor einem Jahr mit dem Anspruch, das Land zu heilen und zu einen. Also hielt er sich mit Kritik an den Republikanern lange zurück. Jetzt greift Biden seine Gegner frontal an. Sie unternähmen alles, um jeglichen Erfolg für die Demokraten zu blockieren, auch zum Schaden des Landes. «Weiss jemand überhaupt noch, was die Republikaner überhaupt wollen?», fragte Biden rhetorisch. Die Schuld bei den anderen zu suchen, mag zwar im Einzelfall berechtigt sein – für den Wahlkampf ist das jedoch kein erfolgversprechendes Rezept.
Gemischte Covid-Botschaft
Leidlich gute Noten erhielt Biden bisher für seine Covid-Politik, doch das trägt wenig zu besseren Umfragewerten bei: In Erinnerung bleibt die lästige Krankheit, nicht der nette Krankenpfleger. Gleichzeitig machen die anspruchsvollen Botschaften es für Biden schwierig, die Impfkampagne als Erfolg zu bewerben – stets muss er einschränken, wie sich die Pandemie entwickeln werde, sei weiterhin offen.
Das Wirtschafts-Paradox
6 Millionen Jobs wurden unter Biden geschaffen, auf tiefe 3,9 Prozent ist die Arbeitslosigkeit im Rekordtempo gesunken. Doch Biden schafft es nicht, sich diese Zahlen als Leistung anrechnen zu lassen – denn noch präsenter ist in den Köpfen der Amerikaner die rasante Teuerung, im Jahresmittel rund 7 Prozent. Auf diese Sorgen seiner Wählerinnen und Wähler hat Biden auch nach Monaten keine überzeugenden Antworten zu bieten. Seine Ausgabenpakete bekämpften die Inflation, beteuerte er am Mittwoch einmal mehr – obwohl die zum Teil im Kongress Schiffbruch erlitten haben. Indem Biden ankündigt, den Kampf gegen Kartelle zu verschärfen, versucht er die Konzerne als Sündenböcke der Teuerung zu brandmarken. Bisher hat dieser Versuch nicht verfangen.
Biden bietet Putin die Stirn
Im ersten Amtsjahr hat Biden zunächst einen stärkeren Fokus auf China gelegt als auf Russland. Doch in seiner Bilanz sprach er fast nur über Russland – und in deutlichen Worten. Er erwarte, dass Putin in der Ukraine zumindest kleinere Interventionen starten werde, sagte Biden. Damit könnte Putin die Geschlossenheit der Nato-Länder testen. Biden verschärfte seine Warnung, eine Invasion würde für Russland sehr schmerzhaft, ja «eine Katastrophe».
Biden will sich besser verkaufen
Selbstkritik lässt Biden nur wenig durchblicken. Eines der seltenen Beispiele: Gegen Covid hätte er das Testen rascher ausbauen sollen. Das Hauptproblem aber sieht Biden darin, dass die einfachen Leute zu wenig über seine Erfolge Bescheid wüssten. Darum wolle er das Weisse Haus öfter verlassen, mehr Leute treffen, sich besser erklären, wie er am Mittwoch sagte. Auch will er vermehrt auf Fachleute ausserhalb des Politzirkus hören – als ob das seine mangelnde Durchsetzungsfähigkeit aufbessern könnte.
Magere Bilanz nach einem Jahr
Nach einem Jahr im Amt bietet Biden ein Bild einer gewissen Hilfs- und Orientierungslosigkeit: Er weiss, dass seine Präsidentschaft nicht läuft wie erhofft, aber er scheint auch nicht genau zu wissen, was er ändern soll.
Dabei hatte er sich doch in seinem ersten Sommer so blendend gefühlt. Nach einem erleichternden Wahlsieg konnte er sich mit einem Milliardenpaket gegen Covid als Leader der Nation inszenieren. Dank der Impfkampagne hätten die USA die Oberhand über das Virus gewonnen, lobte sich Biden am Tag der Unabhängigkeit.
Die bittere Realität holte ihn schon wenige Wochen später ein. Der desaströse Abzug aus Afghanistan, mit dem Biden nebenbei die Europäer erzürnte, die Delta-Welle, welche über das Land schwappte, bevor Omikron die Zahl der Erkrankten noch höher trieb: Selten wirkte Biden souverän, selten war sein Vorgehen fehlerfrei. Als er Australien Atom-U-Boote gegen China versprach, verärgerte er auf ungeschickte Weise die Franzosen. Das Bild des starken Oberbefehlshabers, den Amerikanerinnen und Amerikaner von ihrem Präsidenten erwarten, gibt Biden für viele nicht her.
Umso weniger, als Biden auf das drängendste Problem der einfachen Leute kaum Antworten hat. Die Wirtschaft wächst um satte 3,9 Prozent, und mit ihr die Löhne. Aber die enorme Jahresinflation von 7 Prozent macht sich im Portemonnaie mehr als unangenehm spürbar und trübt die Konsumentenstimmung.
Die Fehler des erfahrenen Senators
Biden ist ein schwieriges Amt angetreten, kein Zweifel. Die Republikaner betreiben eine sehr harte Obstruktionspolitik und schenken den Demokraten nichts. Doch die schlechten Umfragewerte hat Biden sich vornehmlich selbst zuzuschreiben. Er ist sein Amt im Wissen darum angetreten, dass seine Partei im Kongress nur über hauchdünne Mehrheiten verfügt. Eine Milliarden-Investition in die Infrastruktur brachte er mit republikanischer Hilfe durch. Danach aber schnitzerte er, der doch so erfahrene Senator, als er ein viel grösseres Sozialpaket mit unzähligen Wahlversprechen in die parteiinterne Zerfleischung schickte. Die Mitte-Senatoren Kirsten Sinema und Joe Manchin bremsten Biden schliesslich abrupt aus, nun, am Ende seines ersten Amtsjahrs, ist Bidens Sozialpaket ein Scherbenhaufen.
Bidens Absturz zeigt beispielhaft, wie die amerikanische Politik funktioniert. Den Wahlsieg holte Biden als der, der eben nicht Donald Trump war. Eine Mehrheit für eine Sozialpolitik nach den Vorstellungen seiner Partei aber erhielt er damit nicht. Zu hochtrabende Pläne lässt das träge Zweikammersystem rasch abstürzen. Fakt ist: Biden schafft es nicht, im Parlament Mehrheiten zu finden für seine grossen Würfe. Das macht ihn zum schwachen Präsidenten, so, wie es im politischen System der USA vorgesehen ist. Die wahre Macht liegt in den Staaten, und am ungefährlichsten ist ein Bundesstaat, in dem sich zwei Parteien gegenseitig ausbremsen. Das alles sollte der langjährige Senator aus einem kleinen Staat bestens verinnerlicht haben. Grossmundige Versprechen an seine linke Basis hingegen schaden ihm nur – weil er sie meist gar nicht einhalten kann.
Biden muss Schwäche akzeptieren
Biden muss akzeptieren, dass er ein schwacher Präsident ist, und sich darauf konzentrieren, dort zu handeln, wo er Spielraum hat und Mehrheiten findet: den Kampf gegen Covid, Massnahmen zur Abfederung der Inflation, die Eindämmung der Einwanderung an der Südgrenze. Und darauf, worin er eine einzigartige Macht hat, die Aussenpolitik: Biden muss die Interessen des liberalen Westens resolut verteidigen gegen die Herausforderungen durch China und Russland. Dazu hat er am Mittwoch mit seiner Warnung an Putin einen kleinen Schritt getan.
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