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Tamedia-Abstimmungspodium
Warum wollen Sie so viel Geld, Frau Amherd?

Sie wollten die 600 Frauen von ihren Vorlagen überzeugen: Die Bundesrätinnen Viola Amherd, Simonetta Sommaruga und Karin Keller-Sutter (von links nach rechts).
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Es ist ein fulminanter Auftakt für einen heissen Politherbst: Zum ersten Mal überhaupt stellten sich Simonetta Sommaruga, Karin Keller-Sutter und Viola Amherd gemeinsam dem Publikum an einem öffentlichen Anlass – im ausverkauften Kursaal in Bern unter strengen Corona-Schutzvorkehrungen. Geladen hatten der Verband Business Professional Women und vier weitere Frauenorganisationen. Das Ziel der Bundesrätinnen: Sie wollten die 600 Frauen davon überzeugen, mitten in der Corona-Krise am 27. September abstimmen zu gehen.

Denn für die drei Magistratinnen steht viel auf dem Spiel. Verteidigungsministerin Amherd möchte 6 Milliarden Franken für neue Kampfjets, Justizministerin Karin Keller-Sutter will die Personenfreizügigkeit mit der EU retten, und Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga möchte das Zusammenleben von Bevölkerung und wilden Tieren besser regeln. Die Bundesrätinnen wissen: Für diese Anliegen brauchen sie gerade auch die Stimmen der Frauen, die sich noch immer deutlich weniger an Abstimmungen beteiligen als die Männer. Auf dem Podium stellten sich die drei Bundesrätinnen den Fragen der Tamedia-Journalistinnen.

Simonetta Sommaruga

«Ich kann mir gut vorstellen, dass die Menschen derzeit andere Sorgen haben»: Simonetta Sommaruga.

Frau Bundespräsidentin, die Menschen in der Schweiz haben doch im Moment andere Probleme als zum Beispiel das Jagdgesetz, das in Ihre Zuständigkeit fällt. Gerade die Frauen beteiligen sich noch immer weniger an Abstimmungen als die Männer. Warum sollte das jetzt, mitten in der Corona-Krise, anders sein?

Ich kann mir gut vorstellen, dass die Menschen angesichts der Corona-Krise derzeit noch andere Sorgen haben als das Jagdgesetz. Aber gegen das Jagdgesetz wurde das Referendum ergriffen, und ich glaube nicht, dass es für die Bevölkerung zu viel ist, wenn sie sich trotz anderer Themen Gedanken dazu macht. Gerade die Frauen sind immer wieder das Zünglein an der Waage bei wichtigen Abstimmungen. Sie können das Ergebnis entscheiden. Es stimmt, die fünf Vorlagen sind unterschiedlich bedeutend. Zentral ist, wie es mit dem bilateralen Weg weitergeht; da kann trotz Corona niemand sagen, das gehe ihn nichts an.

Fünf grosse Themen kommen am 27. September an die Urne. Es besteht die Gefahr, dass die Bürger den Überblick verlieren. Haben Sie das absichtlich gemacht? Im Zweifel stimmen die Menschen ja nach dem Willen des Bundesrates ab…

Nein. In unserer direkten Demokratie müssen wir in der Lage sein, öffentlich zu debattieren, um uns ein Bild zu machen. Aber das war in diesem Frühjahr wegen des Coronavirus nicht möglich. Deshalb hat der Bundesrat beschlossen, die Abstimmung vom Mai auf den September zu verschieben. Fünf Vorlagen sind sicher viel, aber ich bin überzeugt, dass die Bevölkerung in der Lage ist, sich eine Meinung zu bilden.

Mit dem revidierten Jagdgesetz können Wölfe einfacher getötet werden. Sie wollen den Kantonen eine Lizenz zur Tötung geschützter Arten erteilen.

Niemand will den Kantonen die Möglichkeit geben, so etwas zu tun! Mit dem Gesetz schaffen wir die Möglichkeit, präventiv zu handeln, wenn ein Wolf oder ein Rudel die natürliche Scheu verliert, sich einem Dorf oder einer Schafherde nähert oder es ihm gelingt, die Herdenschutzmassnahmen zu umgehen. Wenn ein Wolf die Angst vor Menschen oder Wachhunden verloren hat: Muss man dann wirklich warten, bis 10 oder 20 Schafe tot sind? In solchen Fällen haben die Kantone künftig die Möglichkeit, regulierend in den Bestand einzugreifen. Der Wolf bleibt aber eine geschützte Tierart.

Karin Keller-Sutter

«Das ist eine Frage der Würde, nicht der Personenfreizügigkeit»: Karin Keller-Sutter.

Bundesrätin Keller-Sutter, wollen Sie in einer 10-Millionen-Schweiz leben? Können Sie sich das vorstellen?

Um diese Frage geht es nicht am 27. September. Vielmehr müssen wir uns fragen, ob wir mit der Begrenzungsinitiative der SVP die Kündigung der Personenfreizügigkeit und damit den Wegfall der Bilateralen I in Kauf nehmen wollen. Vielleicht werden wir auch ohne die Bilateralen eine 10-Millionen Schweiz haben. Die zentrale Frage ist daher, ob wir ein stabiles Verhältnis zur EU behalten wollen, immerhin exportieren wir 50 Prozent unserer Güter in die EU. In dieser schwierigen Zeit hält der Bundesrat die Unternehmen und die Wirtschaft am Leben, indem er die Kurzarbeit und die Arbeitslosenversicherung unterstützt und Covid-19-Darlehen gesprochen hat. Wir müssen uns also gut überlegen, ob wir mit der Kündigung der Personenfreizügigkeit die Krise verschärfen und verlängern wollen – oder ob wir den Weg aus der Krise wählen und auf stabile Verhältnisse zu unserer wichtigsten Handelspartnerin setzen.

Aber die Aussicht auf eine 10-Millionen-Schweiz macht vielen Leuten Sorgen. Deshalb haben schon 2014 viele Ja zur Masseneinwanderungsinitiative gesagt. Seither ist politisch so gut wie nichts geschehen, um diesen Ängsten zu begegnen.

Die Zuwanderung hat seither stark abgenommen. Heute beträgt sie netto 32’000 Personen – und ist damit auf dem Stand von 2002. Die Initianten sagen ja nicht, sie wollten keine Zuwanderung, denn wer putzt sonst? Wer arbeitet auf dem Bau? Wer ist in den Spitälern tätig? Um die Wirtschaft am Laufen zu halten, brauchte unser Land schon immer sehr qualifizierte, aber auch weniger ausgebildete Menschen aus dem Ausland, die Arbeiten verrichten, die wir Schweizer nicht so gerne machen. Und wenn wir zum Beispiel nur noch hoch qualifizierte Ausländerinnen und Ausländer aus Asien zulassen würden: Auch diese brauchen Platz, fahren Auto oder mit dem Zug.

Sie haben mit der Überbrückungsrente in kürzester Zeit ein neues Sozialwerk durch das Parlament gebracht. Aber das hilft nur einem kleinen Teil der Bevölkerung. Was bieten Sie dem grossen Rest – gerade in einer Zeit, in der die Arbeitslosigkeit wieder steigt?

Klar ist: Die Begrenzungsinitiative bekämpft die Arbeitslosigkeit nicht, sondern verstärkt sie. Der Bundesrat fördert das inländische Arbeitskräftepotenzial mit verschiedenen Massnahmen – etwa im Bereich der Weiterbildung, die vielen Arbeitnehmenden zugutekommen. Das ist wichtig wegen der demografischen Entwicklung: In den nächsten Jahren werden 800’000 Menschen aus dem Arbeitsprozess ausscheiden. Die Überbrückungsleistung betrifft zwar wenige Menschen, aber solche, die unverschuldet ihre Arbeit verloren haben, über 60 Jahre alt und ausgesteuert sind. Das ist eine Frage der Würde, nicht der Personenfreizügigkeit. Wir tun alles, um zu verhindern, dass Schweizerinnen und Schweizer auf dem Arbeitsmarkt verdrängt werden. Bisher ist uns das gelungen.

Wenn wir Nein zur Begrenzungsinitiative sagen, sagen wir dann Ja zum Rahmenabkommen mit der EU, das die bilateralen Beziehungen neu regeln soll?

Nein. Das sind zwei verschiedene Themen. Es ist ein Zufall, dass sie in die gleiche Zeit fallen. Am 27. September wird das Volk entscheiden, ob es den bilateralen Weg mit der Europäischen Union fortsetzen will. Es geht um die Sicherung des Status quo. Das Rahmenabkommen ist noch nicht ganz ausgereift. Es gibt offene Fragen zum Lohnschutz, zu staatlichen Beihilfen und zur Unionsbürgerschaft. Der Bundesrat ist mit dem Ergebnis der Verhandlungen noch nicht zufrieden und klärt die offenen Fragen mit den Gewerkschaften, den Arbeitgebern und den Kantonen. Wir werden uns nach der Begrenzungsinitiative-Abstimmung im September wieder damit beschäftigen.

Viola Amherd

«Ich muss entscheiden, ob wir ein Flugzeug abschiessen»:  Viola Amherd.

Bundesrätin Viola Amherd, wir erleben gerade eine Jahrhundert-Pandemie. Ist in Zeiten von Corona tatsächlich die Luftabwehr prioritär? Mit Kampfjets bekämpft man ja keine Viren…

Wir müssen auf verschiedene Ereignisse vorbereitet sein, um den Schutz der Bevölkerung zu gewährleisten. Wenn ich vor einem Jahr gesagt hätte, wir müssten die Armee im Kampf gegen ein Virus mobilisieren, dann hätte man mich gefragt, ob es mir noch gut gehe. Ich hätte auch nie geträumt, dass wir hier an einem Anlass sein würden, an dem wir mit Masken und Distanzregeln sitzen müssen. Aber die Armee war vorbereitet und konnte Hilfe im Gesundheitswesen leisten. Wir müssen für verschiedene Risiken gewappnet sein – sei es im Cyber-Raum oder bei Naturkatastrophen und Angriffen aus dem Luftraum. Die neuen Bedrohungen ersetzen die alten nicht. Sie kommen dazu.

Aber mit welchen konkreten Bedrohungsszenarien rechnen Sie denn, für die es Kampfjets braucht?

In Friedenszeiten hat die Luftpolizei 40 Einsätze pro Jahr, bei denen ein Flugzeug die Luftverkehrsregeln verletzt oder in eine Notlage gerät. Zudem kontrollieren die Kampfjets, ob die vielen Flugzeuge in unserem dichten Luftraum rechtmässig unterwegs sind. Das sind rund 350 Einsätze. Weiter gibt es den Konferenzschutz im internationalen Genf oder am WEF. Unser Hauptszenario ist nicht ein kriegerischer, aber zum Beispiel ein terroristischer Angriff. Und ich muss als oberste Befehlshaberin entscheiden, ob wir ein Flugzeug abschiessen, das dann vielleicht über dicht besiedeltem Gebiet abstürzt. Wenn wir keine Kampfflugzeuge haben, die prüfen können, ob böse Absicht dahintersteckt, dann ist das nicht zu verantworten.

Ihre Gegner behaupten, dass statt 6 auch 3 Milliarden Franken reichen würden, um den Himmel zu überwachen. Warum wollen Sie so viel Geld?

Ganz einfach: Weil Trainingsjets, von denen die Gegner sprechen, eben nicht in der Lage sind, die Aufgaben der Luftwaffe zu erfüllen. Sie sind nicht schnell genug und können auch nicht in die erforderliche Höhe fliegen. Schliesslich müssen sie ja schneller als ein Zivilflugzeug sein, um es einzuholen! Die Armee hat einen detaillierten Bericht über die Notwendigkeit der Anschaffung neuer Kampfflugzeuge vorgelegt. Wir haben uns wirklich alle Möglichkeiten angesehen: Drohnen, Hubschrauber, Leichtflugzeuge. Und ich bat Astronaut Claude Nicollier um eine zweite Meinung. Wir kamen alle zum selben Schluss: Es ist nicht möglich, die Luftverteidigung auf diese Weise zu gewährleisten.