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Schwierige Beziehung
Warum Söhne sich in ihre Väter verwandeln

Söhne berühmter Väter haben es auch nicht einfacher: Charlie und Martin Sheen.
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Als die Männer der Jahrgänge um 1970 vor einigen Jahren Kinder bekamen und sich in die Erzieherrolle einfinden mussten, fiel auffallend häufig der Satz: «Ich möchte alles anders machen als mein Vater.» Wem sie da auf keinen Fall nacheifern wollten, konnte sich je nach Familienkonstellation durchaus unterscheiden – dem dauerhaft abwesenden, dem notorisch abweisenden, dem ständig abreisenden Vater. Offenbar stimmte auch mit dieser Nachkriegsgeneration irgendetwas nicht, die viel mit sich selbst, dem wirtschaftlichen Aufstieg und wiederum den eigenen Vätern zu tun gehabt hatte. Im Prinzip aber setzte sich in dieser Aussage ein uraltes Prinzip fort: Vatermord ist noch immer der zuverlässigste Motor gesellschaftlichen Wandels.

Die von Männern verfasste Literatur hat sich immer für diese psychologisch komplexe Lage interessiert. «Väter und Söhne», der deutsche Titel von Turgenjews 1861 entstandenem Roman, könnte über einer ganzen Bibliothek von Vater-Sohn-Geschichten prangen. Der Fokus hat sich dabei stets ein wenig verschoben, je nach gesellschaftlichen Bedrängnissen, therapeutischem Erkenntnisstand und politischen Stimmungslagen. Aber gemeinsam ist ihnen doch, dass es um patriarchale Machtkämpfe geht, um Abrechnungen mit dem Pater familias, um Ablösungsprozesse und Erlösungssehnsüchte.

Das Schreiben beginnt, wenn der Vater stirbt

Eine Auseinandersetzung mit kühlem Kopf setzt meist spät ein, dann, wenn die Kräfte der Altvorderen schwinden, sie dahinsiechen, von ihrem Sockel plumpsen oder bereits abgetreten sind. Ein Autor bekannte einmal im Gespräch, er habe erst wirklich mit dem Schreiben beginnen können, als sein Vater gestorben war. Endlich Luft zum Atmen!

«Natürlich war ich wie er», bekennt Andreas Schäfer. «Nicht nur erkannte ich immer öfter seine Züge im eigenen Spiegelbild (und wurde besonders bei schnellen, unbedachten Blicken von der Ähnlichkeit überrascht). Vollführte ich im Schreck nicht auch ähnlich ruckartige Bewegungen, floh vor den eigenen vier Wänden ins Café oder geriet viel zu schnell – ein Funken genügte – in Rage?» Der 1969 geborene Schäfer, der vier Romane veröffentlicht hat und als Theaterkritiker bekannt wurde, liefert mit «Die Schuhe meines Vaters» das jüngste Beispiel für das Sohn-Vater-Genre, und er wählt dafür eine Form, die in angelsächsischen Ländern schon länger hohes Ansehen geniesst, aber auch in der deutschsprachigen Literatur inzwischen angekommen ist – den Personal Essay.

Nach einer Hirnblutung liegt der Vater im Koma

Die herausragendsten dieser Versuche verwandeln eine persönliche Erfahrung in literarische Meisterstücke, in denen grundsätzliche Bedingungen des Menschseins aufscheinen – so wie es Joan Didion in ihrem Trauerbuch «Das Jahr des magischen Denkens» gelungen ist oder Julian Barnes in seinen «Lebensstufen». Um es gleich vorweg zu sagen: Andreas Schäfers «Die Schuhe meines Vaters» muss sich vor diesen Büchern nicht verstecken. Ihm glückt die Balance zwischen zweifelnd-zärtlicher Hommage und befreiender Inventarisierung. Ein Schicksal wendet sich hier, auch dank der hochreflektierten, das eigene Tun hinterfragenden Machart des Buches, ins Allgemeine. Der Vater ist ein Einzelner und zugleich Vertreter einer von Kriegstraumata beschwerten Generation: Requiem auf einen Mann, der immer vom Verlust seines inneren Gleichgewichts bedroht war.

Ringt mit dem Abschied: Autor Andreas Schäfer

«Die Schuhe meines Vaters» setzt ein mit einem Abschied: Zum letzten Mal kommt Robert Schäfer zu Besuch nach Berlin. Eine Krebsdiagnose und ein operativer Eingriff schweben unheilvoll über dieser Reise. Noch einmal gibt es Gespräche mit dem Sohn Andreas, ein vermeintlich unbeschwertes Zusammensein mit der Enkeltochter. Ein paar Tage später der Anruf aus dem Krankenhaus: Nach einer Hirnblutung liegt der Vater im Koma.

Andreas Schäfer reist nach Frankfurt. Die seit Langem wieder in ihrer Heimat lebende griechische Mutter – vor Jahrzehnten hatten sich die Eltern getrennt – eilt ebenfalls ans Krankenbett. Hoffnung besteht keine mehr. Das Einzige, was zu tun bleibt, ist, den Zeitpunkt des Todes zu bestimmen – wann sollen die Maschinen abgestellt werden? Kann das Kind zum Richter über den Vater werden?

«Es war mir offenbar unmöglich, mich von den Dingen des Vaters zu trennen, ohne dass sich an den Rändern des Bewusstseins das vage Gebilde einer Vater-Erfindung abzeichnete.»

Andreas Schäfer


Wie in Philip Roths innigem Porträt «Mein Leben als Sohn» setzt dieser existenzielle Moment einen Erinnerungsprozess in Gang, den Wunsch, dem lange Zeit unverstandenen und auch gefürchteten Vater eine Geschichte zu geben. Unversehens entsteht aus staunendem Unglauben und aus der Trauer ein Erzähldrang, beginnt die «Verwandlung eines realen Menschen in eine Buchfigur». Zwei Jahre nach Robert Schäfers Tod fängt der Sohn damit an, den Vaterroman zu schreiben.

Aus Fotoalben, Notizen, Reisetagebüchern, Landkarten, Flugtickets, unscheinbaren und verborgenen Zeugnissen, setzt sich für Andreas Schäfer erst nach und nach ein komplettes Leben zusammen, wo vorher eine rätselhaft zerrissene Gestalt regierte. «Es war mir offenbar unmöglich, mich von den Dingen des Vaters zu trennen, ohne dass sich an den Rändern des Bewusstseins das vage Gebilde einer Vater-Erfindung abzeichnete.»

Die zwei Väter in einem

Es gibt nämlich mindestens zwei Robert Schäfers, und es ist eine Herausforderung, diese beiden miteinander in Einklang zu bringen: Da ist der launenhafte, zu Besserwisserei und cholerischen Anfällen neigende Vater, ehemals Revisor bei der Coop-Genossenschaft; ein Einzelkämpfer, der nach der Trennung von seiner Frau jahrzehntelang alleine lebt. Und jener Mann, der mutig mit den eigenen Eltern bricht, weil diese etwas gegen die «dahergelaufene» Griechin einzuwenden haben; der im Alter zu abenteuerlichen Reisen aufbricht, zu schreiben beginnt und zum reizenden Grossvater wird. Er ist der peinlich selbstgefällige Schwadroneur und der neugierige und begeisterungsfähige Rentner, der Bekanntschaften in der ganzen Welt schliesst.

Andreas Schäfer lässt seinem Vater Gerechtigkeit widerfahren, weil er dessen Widersprüche nicht kassiert. Der Autor stöbert in der Kindheit des Vaters,  er schlüpft in seine Haut . Und nicht zuletzt das führt zur ernüchternden Erkenntnis, bei allen Fluchtbewegungen «natürlich wie er zu sein». Es ist eine schonungslose Selbstbesinnung, die Andreas Schäfer zu den eigenen Abgründen führt: «‹Ich habe noch nie keine Angst vor dir gehabt', hatte meine Tochter mal gesagt, als wir uns nach einem Streit wieder vertragen hatten und ich sie fragte, ob sie sich manchmal vor mir fürchte.» Einen ehrlicheren, erschreckenderen Satz kann man sich kaum denken. Ohne die vorausgegangene Vatersuche wäre er wohl kaum möglich.

Andreas Schäfer: Die Schuhe meines Vaters. Dumont, Köln 2022. 192 Seiten