Schönfärberei bei den EmissionenWarum Plug-in-Hybride «Schummel-Autos» heissen
Die Klimawerte dürften sich in der Schweiz in Zukunft vermutlich nicht wie erwartet verbessern, weil viele Plug-in-Fahrzeuge nicht halten, was sie versprechen.
2020 war ein Rekordjahr. Die Nachfrage nach Autos mit einem alternativen Antrieb ist im vergangenen Jahr deutlich gewachsen. Von einem Boom zu reden, wäre wohl verfrüht. Aber eine Trendwende ist es schon. Mehr als 66’000 Neuwagen verfügten über einen alternativen Antrieb, 28 Prozent der Neuwagen also. Umweltministerin Simonetta Sommaruga unterstrich die Bedeutung dieses Trends, als sie letzte Woche über die langfristige Klimastrategie der Schweiz sprach. Das ist für den Schweizer Klimaschutz eine gute Nachricht, zumal die CO2-Emissionen nach wie vor nur wenig tiefer liegen als vor dreissig Jahren.
Doch nun folgt schon die Ernüchterung. Sie betrifft die Plug-in-Hybridautos. Diese Autos verfügen wie die normalen Hybridwagen über einen Verbrennungs- und einen Elektromotor, bieten aber eine höhere elektrische Leistung und fahren mit einer deutlich grösseren Batterie, die an Ladesäulen aufgeladen werden kann. Zusammen mit den Hybriden kommen die Plug-ins auf 20 Prozent Marktanteil bei den Neuwagen. In Deutschland ist der Boom der Elektroautos wesentlich auf den Kauf solcher Plug-ins zurückzuführen. Wer ökologisch unterwegs sein will, kauft einen Plug-in, meinen viele.
Erfüllt Erwartungen nicht
Doch dieser Autotyp hat in unserem Nachbarland bereits einen Übernamen: «Schummel-Hybrid». Der Grund für den schlechten Ruf wurde eben durch eine neue Studie bestätigt, die verschiedene Umweltforschungsinstitute im Auftrag des deutschen Bundesumweltministeriums machten. Das Resultat: Die Plug-ins stossen deutlich mehr CO2 aus, als für die Berechnungen der deutschen Treibhausgasemissionen bisher angenommen wurde. Der Grund: Wer einen Plug-in-Hybrid besitzt, steuert den Wagen im täglichen Betrieb überwiegend im Hybridmodus, bei dem beide Antriebssysteme zusammenspielen. Rein elektrisch wird nur selten gefahren.
Nun kann man die Resultate nicht einfach tel quel auf die Schweiz übertragen, weil in Deutschland mehr als drei Viertel der verkauften Plug-ins als Firmenwagen zugelassen sind. Das ist in der Schweiz nicht in diesem Ausmass der Fall. Trotzdem sagt Christian Bach ohne Wenn und Aber: «Das ist auch in der Schweiz ein Problem.»
Der Autoingenieur am Materialforschungsinstitut Empa in Dübendorf beschäftigt sich schon lange mit Antriebstechnologien und wird von verschiedenen Stellen als Experte beigezogen. Zwar gibt es bis jetzt vom Bundesamt für Umwelt keine öffentlichen Daten zu den Emissionen verschiedener Hybridtypen. Dennoch ist laut Bach absehbar, dass in Zukunft die Autoindustrie bei den Personenwagen wohl nur noch Plug-in-Hybride und Elektroautos anbieten wird.
«Die heutige regulatorische Auslegung hat übermotorisiertere Fahrzeuge zur Folge, was wohl kaum zu einer CO2-Reduktion führt.»
Bei dieser Entwicklung könnte der Schweiz das Gleiche blühen wie Deutschland. Die Entwicklungen der CO2-Emissionen im Verkehr nehmen bis 2030 einen anderen Verlauf als erwartet. Das Übel liegt dabei in den Zulassungsbestimmungen der EU, die auch für die Schweiz gelten. Es geht um die Art und Weise, wie der Normverbrauch von Plug-in-Hybridfahrzeugen bestimmt wird. «Die Technologie des Plug-in basiert auf einer korrekten Überlegung, nämlich kurze Strecken elektrisch und Langstrecken hybridisch zu fahren», sagt Bach. Doch die heutige regulatorische Auslegung habe übermotorisiertere Fahrzeuge zur Folge, was wohl kaum zu einer CO2-Reduktion führe.
Nehmen wir das Beispiel Ford Kuga. Der Typ EcoBlue ist ein 2,0-Liter-Diesel-Hybrid, der Treibstoff-Normverbrauch liegt bei 5,1 Litern pro 100 Kilometer, der CO2-Ausstoss bei 135 Gramm pro Kilometer. Im Vergleich dazu hat der Ford Kuga 2.5 Plug-in-Hybrid geradezu erstaunliche Daten: Er ist 50 Prozent stärker, sein Normverbrauch beträgt jedoch nur 1,4 Liter, und der CO2-Ausstoss liegt bei 32 Gramm. Wer nicht gross auf das Portemonnaie schauen muss und ökologisch sein will, entscheidet sich aufgrund solcher Werte für den Plug-in.
Doch der Schein trügt. «Diese Normdaten beziehen sich auf eine Berechnungsformel, die auf US-Pendlerdaten basiert», sagt Christian Bach. Wer aber in der Schweiz einen Plug-in kauft, verhält sich meistens nicht wie ein Pendler und fährt nicht nur kurze Strecken. Kommt hinzu: Selbst wer mit seinem Plug-in vor allem auf Kurzstrecken unterwegs ist, die Verbrauchs- und CO2- Bilanz verschlechtert sich erheblich, wenn er ein- bis zweimal im Monat lange Fahrten unternimmt.
Zu schön, um etwas zu ändern
Auf dem Papier sieht alles sehr gut aus. Die Plug-ins erhalten die Energieetikette A, liegen im Verbrauch bei einem durchschnittlichen CO2-Ausstoss von 38 Gramm pro Kilometer. Zudem geben verschiedene Versicherungen einen Bonus beim Entscheid für das umweltfreundlichere Auto. «Diese Situation wird sich wohl nicht so schnell ändern, weil sowohl Behörden als auch die Autoindustrie und Flottenbetreiber mit diesen Werten gut leben können», sagt Christian Bach. So schreibt die EU vor, dass bei Neuwagen von 2021 bis 2030 die mittleren CO2-Werte um 37,5 Prozent gesenkt werden müssen. Die Autoindustrie hat also mit dem Plug-in-Hybrid ein Auto mit solch tiefen Werten entwickelt, dass dieser Emissionsrichtwert unter dem Strich auch schwere Limousinen mit Verbrennungsmotoren zulässt.
«Sämtliche Arten von alternativen Antrieben helfen, den CO2-Ausstoss zu senken.»
Geht die Entwicklung in die falsche Richtung? Nein, findet Auto-Schweiz. «Sämtliche Arten von alternativen Antrieben helfen, den CO2-Ausstoss zu senken», sagt Sprecher Christoph Wolnik. Der Elektromobilitätsverband Swiss E-Mobility ist skeptischer. Zwar attestiert er den hybriden Antrieben, die Umstellung auf die Elektromobilität zu erleichtern. «Doch dieser Umweg ist nicht nötig», sagt Geschäftsführer Krispin Romang. Er selber sei in den letzten Jahren nie in eine Situation gekommen, bei welcher ein Hybrid die bessere Lösung gewesen wäre.
Empa-Forscher Christian Bach sieht jedoch einen Bedarf, dass die Ermittlung der Normwerte für Plug-in-Hybride angepasst wird. «Eine Verbesserung wäre beispielsweise, wenn man nicht US-Pendlerstrecken als Referenz nehmen würde, sondern statistische Daten zu den wirklich elektrisch fahrbaren Streckenanteilen.» Zudem bräuchte es einen zusätzlichen Grenzwert für den Hybridbetrieb, wenn Verbrennungs- und Elektromotor in Kombination in Betrieb sind. «Insgesamt könnte eine solche Regelung dazu führen, dass der Elektromotor für den Kurzstrecken- und den Innerortseinsatz und der Hybridbetrieb für die Autobahn und den Lastbetrieb etwa mit einem Anhänger optimiert werden», sagt Bach. Auf einen Nenner gebracht heisst das: Es braucht insgesamt kleinere Elektro- und kleinere Verbrennungsmotoren, was zu einem niedrigeren Fahrzeuggewicht führen würde.
Fahrzeugmasse entscheidend
Denn: Je höher die Fahrzeugmasse ist, desto grösser wird der Energiebedarf eines Fahrzeuges, um gewisse Fahrleistungen zu erbringen. Bei schweren Fahrzeugen reicht die Batterie für die Tageskilometer nicht aus. Und bei schnellen Fahrten und starker Beschleunigung schaltet sich der Verbrennungsmotor auch dann zu, wenn die Batterie voll ist. Die Lösung ist dabei nicht, die Systemleistung der Plug-in-Hybride zu erhöhen. «Baut man – wie heute – deutlich höhere elektrische und verbrennungsmotorische Leistungen ein, wird das Fahrzeug primär schwerer, in der Realität aber nicht verbrauchsärmer», sagt Christian Bach.
Für ihn hat ein «vernünftig grosser Elektromotor» für einen Plug-in-Hybridantrieb in Mittelklassefahrzeugen eine Leistung von 40 bis 60 Kilowatt, damit er im städtischen Stop-and-go-Verkehr und im regionalen Betrieb gut funktioniert. Plug-ins mit einer Leistung von 200 Kilowatt seien eigentlich ein Unsinn, weil man diese Leistung ohnehin nicht brauche im Alltag. Sie sind aber weitverbreitet. Dabei gibt es auch gute Beispiele auf dem Automarkt, bei denen die Normwerte der Realität entsprechen. Wichtig ist aber, dass man sich künftig für die Abschätzung der Emissionen nicht an den Norm-, sondern an tatsächlichen Verbrauchswerten orientiert.
Wer viel auf der Autobahn oder bergauf fährt oder mit einem Anhänger, dessen Plug-in wird meistens im Hybridmodus betrieben. Damit auch dieser Betrieb sauber würde, bräuchte es erneuerbare biogene oder synthetische Treibstoffe. Leider fehlt aber auch dieses Element in den EU-Zulassungsvorschriften. Der Bund will mit einem neuen Testverfahren reagieren, damit die CO2-Werte realitätsnäher abgebildet werden. Wächst die Kluft zwischen Papierwert und realem Verbrauch, kann der Bundesrat zudem voraussichtlich ab 2022 Massnahmen ergreifen, etwa die CO2-Zielvorgabe für den entsprechenden Importeur verschärfen.
Dennoch: Wer einen Plug-in kaufen will, der soll sich gut beraten lassen und genau überlegen, wie er das neue Auto einsetzen will. In Deutschland fördert die Bundesregierung den Verkauf von E-Autos mit Prämien. In der Schweiz dagegen entscheiden die Kantone darüber, ob und wie der Kauf von E-Autos mit Prämien unterstützt werden soll. Die Unterschiede sind dabei gross. Thurgauer etwa erhalten beim Kauf eines E-Autos vom Staat 2000 Franken, Walliser 3500. Umstritten ist, inwieweit der Staat die Elektrifizierung des Verkehrs selber vorantreiben soll. Braucht es eine landesweite Lösung? Weder Auto-Schweiz noch Swiss E-Mobility fordern dies explizit.
Starker Ausbau der Ladestationen
Als wichtiger taxiert die Branche einen raschen Ausbau der Ladeinfrastruktur. «Kaufprämien helfen, allein sind sie jedoch keine Garantie für eine hohe Elektrifizierung», sagt Romang von Swiss E-Mobility. Der Bund solle deshalb sicherstellen, dass Mieter und Stockwerkeigentümer Ladeinfrastrukturen installieren könnten. Bis 2025 könnte rund eine halbe Million Steckerfahrzeuge in der Schweiz unterwegs sein, schätzt Auto-Schweiz. Diese würden circa 50’000 Ladestationen benötigen, zehnmal mehr, als heute vorhanden seien. «Man kann nicht Plug-in-Hybride kritisieren», sagt Sprecher Wolnik, «und gleichzeitig keine Ladestationen im öffentlichen Raum zur Verfügung stellen.»
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