Schweizer BeziehungsstudieWarum Männer in Krisenzeiten mehr Lust auf Sex haben
Unsere Libido reagiert auf Krisen, wie eine neue Befragung zeigt. Allerdings sind die Unterschiede zwischen den Geschlechtern gross.

Krisenzeiten scheinen eine besondere Wirkung auf unser Sexleben zu haben. So ist es jedenfalls jeweils in den Medien nachzulesen, sobald es in der Welt drunter und drüber geht. Kaum war die Pandemie ausgebrochen, wurden bereits verschiedene Paartherapeuten und Sexualforscherinnen zitiert, die nicht nur bestätigten, dass mehr miteinander geschlafen werde, sondern auch, dass dabei die Qualität ansteige.
«Wir rechnen damit, dass die Sexualität bei über 50 Prozent der Paare besser wird», sagte etwa der deutsche Psychotherapeut und Autor («Die erfüllte Sexualität») Wolfgang Krüger zur Nachrichtenagentur DPA. Als Beweis für die gesteigerte Sexlust verwiesen die Experten auf die überdurchschnittlich grosse Nachfrage nach Kondomen und Liebesspielzeug. Der Erotikversandhandel Amorelie gab an, 170 Prozent mehr Sextoys verschickt zu haben als zu Vor-Corona-Zeiten.
Männer profitieren von Sex in der Krise
Am Ende waren es so viele «Mehr Sex in der Krise»-Artikel, dass sich ein Team von deutschen Medienwissenschaftlerinnen zur Analyse «Wie verändert die Covid-19-Pandemie unsere Sexualitäten? Eine Übersicht medialer Narrative im Frühjahr 2020» animiert fühlte. Sie stellten fest, dass die meisten Medienartikel «eine sehr sexpositive bis geradezu glorifizierende Würdigung» von Sex verbreiteten.
Inzwischen ist die Corona-Krise längst von neuen Problemen abgelöst worden: dem Krieg in der Ukraine, der Energiekrise, der Wirtschaftskrise. Es müsste also munter weitergehen mit dem Sexleben hiesiger Paare. Aber stimmt das allgemeine Narrativ mit der gesteigerten Libido in schwierigen Zeiten tatsächlich?
Die Aussage «Ich habe in letzter Zeit deutlich mehr Lust auf Sex» bejahten 43 Prozent der Männer.
Es ist kompliziert. Das jedenfalls legt eine neue Studie der digitalen Markt- und Meinungsforschungsfirma Marketagent nahe. Diese hat im Auftrag des Online-Partnervermittlers Parship.ch rund tausend Schweizerinnen und Schweizer zwischen 18 und 75 Jahren zu ihrer aktuellen Befindlichkeit befragt. Auch das Liebesleben stand dabei im Fokus.
Die Aussage «Ich habe in letzter Zeit deutlich mehr Lust auf Sex» bejahten 43 Prozent der Männer Ja. Deutlich mehr als jeder dritte Befragte gab an, dass er sich dank mehr Sex von den aktuellen Krisen ablenken könne. Das galt für Singles genauso wie für Liierte.
Frauen ist die Lust vergangen
«Krisenzeiten lösen bei vielen Menschen Unsicherheiten, Sorgen oder Ängste aus. Da kann Sex eine gute Möglichkeit sein, für einen Moment abzutauchen und sich danach sicherer und geborgener zu fühlen», erklärt die Zürcher Parship.ch-Psychologin und Psychotherapeutin Dania Schiftan.
Für die meisten Frauen scheint das jedoch keine Option sein. Nicht einmal halb so viele weibliche wie männliche Befragte haben derzeit ein stärkeres Bedürfnis nach körperlicher Intimität. Sogar das genaue Gegenteil ist der Fall. Fast zwei von fünf Frauen gaben an, sie hätten derzeit deutlich weniger Lust auf Sex. Sie leiden gemäss der neuen Befragung auch stärker unter den aktuell schwierigen Umständen, die ihnen zunehmend aufs Gemüt schlagen.
«Sex hilft Männern, besser mit herausfordernden Krisensituationen und den damit verbundenen Emotionen umzugehen.»
Woher rührt dieser auffällige Unterschied zwischen den Geschlechtern? «Bei Frauen ist es häufiger so, dass sie sich zuerst emotional aufgehoben fühlen müssen, bevor sie sich sexuell gehen lassen können», erklärt die Psychotherapeutin Dania Schiftan. Bei Männern sei es eher umgekehrt: Sex helfe ihnen, besser mit herausfordernden Krisensituationen und den damit verbundenen Emotionen umzugehen. Ob hetero- oder homosexuell spiele dabei erfahrungsgemäss keine Rolle.
«Dass Männer in der Krise tendenziell ein stärkeres Bedürfnis nach körperlicher Nähe haben, während Frauen eher von emotionaler Nähe profitieren, hat aber nichts mit der Genetik oder so zu tun, sondern hauptsächlich mit dem Erlernen», meint Schiftan. Männer seien es eher als Frauen gewohnt, sich mit körperlichen Aktivitäten zu beruhigen. Frauen könnten aber genauso von Sex als Ablenkung profitieren, wenn sie wollten, findet die Sexologin. Das sei alles eine Frage des Lernens. «Wenn sie merken, dass sie einen Sex haben, der ihnen guttut, werden sie in schwierigen Zeiten auch häufiger darauf zurückgreifen.» Das gilt übrigens genauso für die emotionale Nähe bei Männern.
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