Gastbeitrag zu AusbildungskostenWarum die Kassiererin keine nachgelagerten Studiengebühren braucht
Nachgelagerte Studiengebühren, aber nur bei geringem Einkommen? Warum die Idee nicht nur ungerecht, sondern vor allem kaum durchdacht ist.
«Es kann nicht sein, dass die Kassiererin dem Teilzeitarzt das Studium bezahlt» – mit dieser Begründung warb der Schweizer Bildungsökonom Stefan C. Wolter am 19.12. 2022 in dieser Zeitung für seine umstrittene Idee der «nachgelagerten Studiengebühren».
Die Idee: Menschen mit Hochschulabschluss sollen die Kosten ihrer Ausbildung während des Berufslebens über die Einkommenssteuer zurückzahlen. So sollen Akademiker und Akademikerinnen davon abgehalten werden, in Teilzeitarbeit zu gehen oder Studienfächer mit schlechten Einkommensaussichten auszuwählen. Begründet wird dies mit Fairness: Akademiker haben höhere staatliche Ausbildungskosten als die exemplarisch genannte Kassiererin und sollen diese zurückerstatten, wenn sie nach dem Studium nicht «genug» verdienen.
Die Idee geht jedoch aus verschiedenen Gründen nicht auf. Für diese Erkenntnis kann man sogar den offensichtlichsten Einwand, dass die Steuer in erster Linie Frauen betreffen würde, da Kinderbetreuung der wichtigste Grund für Teilzeit ist, aussen vor lassen.
Unseres Wissens gibt es bisher keine Studie, die belegt, dass die Steuererträge im Verlauf des Erwerbslebens die Bildungskosten wegen Teilzeitarbeit nicht mehr decken. Das ganze Konzept steht somit schon mal auf sehr wackeligen Beinen.
Dass der Wert einer Berufsgruppe für die Gesellschaft nicht am Einkommen abzulesen ist, konnte man in der Corona-Pandemie gut beobachten.
Ob eine Bildungsinvestition aus Sicht des Staates lohnenswert ist, hängt zudem von weit mehr ab als von der generierten Einkommensteuer. Hier scheint Wolter den Staat mit einem Unternehmen gleichzusetzen, das Gewinne machen muss, um im Wettbewerb zu bestehen. Ein einfaches Gegenbeispiel: Ein Staat bildet Ärztinnen ja nicht deshalb aus, damit sie viel Einkommenssteuer bezahlen, sondern in erster Linie, um eine gute Gesundheitsversorgung zu gewährleisten. Dass der Wert einer Berufsgruppe für die Gesellschaft nicht am Einkommen abzulesen ist, konnte man in der Corona-Pandemie gerade an schlechter bezahlten Berufsgruppen wie den Kassierern oder dem Pflegepersonal gut beobachten.
Weiter hat die von Wolter so plakativ vertretene Kassiererin überhaupt nichts von einer Strafsteuer für gering verdienende Akademiker. Ein prall gefülltes Staatssäckel allein hilft Menschen mit niedrigen Einkommen nicht: Von ganz allein tröpfeln keine staatlichen Einnahmen in die Portemonnaies der Bürgerinnen. Hierfür braucht es rein logisch betrachtet politische Instrumente, die Menschen mit niedrigen Einkommen entlasten.
Schliesslich ist fraglich, ob die «Anreize», die die Studiengebühren auslösen sollen, wirklich wirksam werden. Dass negative Anreize (und nachgelagerte Studiengebühren sind negative Anreize) in der Regel schlechter funktionieren als positive, ist eigentlich eine etablierte sozialwissenschaftliche Erkenntnis. Es ist gut möglich, dass die bekannte soziale Ungleichheit noch verstärkt wird, wenn mit der Studienwahl ein schwerer zu kalkulierendes finanzielles Risiko verbunden wird.
Zusammengefasst fehlt dem Vorschlag nicht nur die empirische Datengrundlage, er ist auch unfair, denn bestraft würden in erster Linie Frauen und Studierende aus weniger privilegierten Familien, während sich die Situation von Nichtakademikerinnen mit tiefen Einkommen in keiner Weise verbessert.
Barbara Zimmermann und Leo Röhlke forschen an der Universität Bern zu sozialer Ungleichheit und im Bereich Bildungssoziologie.
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