Ballon markiert UnfallstelleDas fliegende Pannendreieck soll die Bergrettung revolutionieren
Rico Dürst hat mit dem «Airmarker» einen Ballon entwickelt, der Rettungskräften hilft, verunglückte Wanderinnen und Biker schneller zu finden. Die Rega zeigt sich interessiert.

Rico Dürst liebt die Natur – und er kennt ihre Gewalt. Der ausgebildete Skilehrer, passionierte Biker und Bergsportler braucht die Zeit draussen in der Abgeschiedenheit, um sein Leben in Balance zu halten. Doch durch seine Ausbildung in einer militärischen Gebirgseinheit weiss er, wie schnell dieses in der Bergwelt in Gefahr geraten kann.
Seiner Leidenschaft hat dies aber keinen Abbruch getan. «Was mir aber extrem zusetzt, ist der Umstand, wie naiv viele Leute heutzutage mit ihrer Sicherheit umgehen», sagt der Malanser. Das beobachte er gerade in der Wandersaison. Dann, wenn an die vier Millionen Schweizerinnen und Schweizer sich in den Bergen teilweise weit hinauf wagen. Während die Leute für ihre Touren im Winter Lawinenkurse besuchen, ganz selbstverständlich Schaufel, Sonde und Lawinenverschüttetensuchgerät einpacken, marschieren im Sommer viele einfach drauflos. «Etliche haben das Gefühl, ihnen könne da draussen nichts passieren».
«Wir hätten eine Markierung gebraucht»
Dürst ist einer, der nicht lange fackelt. Wohl auch deshalb hält er an diesem Sommertag im Malanser Industriegebiet einen Airmarker in der Hand – und erzählt dessen Entstehungsgeschichte. Was aussieht wie ein Feuerwerksvulkan, gehört seit einigen Monaten genauso in seinen Rucksack wie seine Wasserflasche, wenn er sich zu seinen Abenteuern in die Berge aufmacht. Bis er den Airmarker allerdings das erste Mal in seinen Rucksack packen konnte, hat Dürst einige schlaflose Nächte durchgemacht.
Doch zuerst einmal zum Ursprung des Projekts und damit ein paar Jahre zurück. Dürst ist in einem Helikopter bei einem sogenannten Contadino-Einsatz als Flughelfer unterwegs – eines der vielen Hobbys des umtriebigen Bündners. Ein verletztes Rind muss von der Alp zurück ins Tal transportiert werden. Die Crew weiss zwar, wo ungefähr sich das Tier aufhält, bis sie es ausmachen können, verstreichen aber wertvolle Minuten. «Wir hätten eine Markierung gebraucht», sagt der 57-Jährige.

«Und genau das war im Austausch mit befreundeten Rettungspiloten immer wieder ein Thema – auch wenn es um verunglückte Menschen ging.» Zwar seien den Rettungskräften die Koordinaten meist bekannt, «doch an Ort und Stelle müssen sie die in Not geratenen Personen aus der Luft finden – mit blossem Auge».
Die fehlende Markierung lässt Dürst keine Ruhe mehr, und als ihm ein Helipilot von einer stundenlangen Suche nach Verunglückten erzählt, schreitet er zur Tat – und schnurstracks ins Büro seines Freundes Daniel Wattenhofer. Der Unternehmer aus Rapperswil ist für Dürst der ideale Sparringspartner, um seine Überlegungen zu konkretisieren. So wie vor Jahren, als er aus der noch vagen Idee einer «Markierung» den Plan für einen Ballon ausarbeitet. Einen, den Verunglückte absetzen können und der gut sichtbar mehrere Meter über ihren Köpfen schwebt.
«Es fühlte sich an, wie frisch verliebt zu sein»
Während der Malanser sich ins Feuer redet und kaum mehr zu bremsen ist, unterzieht Wattenhofer die Pläne erst einem gründlichen Realitätscheck. Die beiden stellen rasch – und erstaunt – fest: Etwas Vergleichbares gibt es nicht. Natürlich ist das erst einmal eine gute Nachricht. «Diese hatte aber auch Nachteile. Sie bedeutete, dass wir alle Erfahrungen selbst machen müssen», sagt Wattenhofer. Das Endprodukt ist zwar klar. Doch damit die Wanderer und Bikerinnen den Ballon in ihren Rucksack packen, muss dieser mitsamt Auslösevorrichtung so klein wie möglich und so schwer wie nötig sein. Zudem darf der Preis keine zu grosse Hürde darstellen. Und so geben die beiden eine Machbarkeitsstudie in Auftrag, später entsteht ein Prototyp. «Es fühlte sich an, wie frisch verliebt zu sein», erinnert sich Dürst an eine euphorisierende Zeit.
Mit Daniel Wattenhofer ringt er um einen international verständlichen Namen, der zugleich auch den Zweck des Produkts beschreibt: Airmarker. Parallel dazu tüftelt Dürst mit Ingenieuren an der Form des Ballons, der Grösse der Kartuschen, die ihn mit Helium füllen sollen, der Schale, die das ganze System schützt. Er ist im Gespräch mit Piloten, Bergrettern – und der Schweizerischen Rettungsflugwacht (Rega). Sie alle wissen, wie schwierig es ist, bei der Suche aus der Luft die Menschen in Not auszumachen. «Der Ballon könnte unseren Besatzungen dabei helfen», sagt Rega-Sprecher Adrian Schindler auf Anfrage. Deshalb tauscht sich Dürst während des Entwicklungsprozesses mit der Rega aus. Beispielsweise, wenn es darum geht, die Sichtbarkeit des Ballons in der Nacht aus einem Helikopter heraus zu beurteilen.

Im Herbst 2023 wollen die beiden mit ihrem Airmarker schliesslich aus der Werkstatt und auf den Markt. «Es lockte das Weihnachtsgeschäft, und wir erhofften uns damit einen ersten grossen Schub», erinnert sich Dürst. Doch es kommt anders – «so, wie auf mancher Bergtour eben auch». Testreihen hatten ergeben, dass die Mehrheit der Auslösungen funktioniert. Aber eben: «nur die Mehrheit». Ein gutes halbes Jahr später ist Dürst noch anzuhören, wie sehr ihn dieser Rückschlag beschäftigte.
Doch für ihn steht fest, geht es um Sicherheit, reicht «die Mehrheit» nicht aus. Trotzdem ist jeder Marschhalt mit zusätzlichen Kosten verbunden. «Für ein Start-up kann so etwas das Aus bedeuten», sagt der Malanser. Für Dürst und Wattenhofer ist aber auch klar, dass ein neues Produkt «genau eine Chance kriegt». Für den Airmarker und seine Erschaffer heisst es erst mal, «zurück in die Werkstatt».
Drei Monate lang dauert der Marschhalt. «Wir haben ausgelöst, ausgelöst und wieder ausgelöst», sagt Dürst. Bei minus 30 Grad, aber auch plus 50 Grad Celsius. Zudem setzen sie den Airmarker Schütteltests aus. Mal lag die Erfolgsquote bei 70, mal bei 80 Prozent. «Und dann, endlich, hatten wir eine Testreihe, bei der sämtliche Geräte korrekt auslösten.» Währenddessen nutzen die Ingenieure die Zeit und überarbeiten den Ballon. So musste der Verunglückte bei der ersten Version die LED-Lampe, die den Ballon im Dunkeln sichtbar macht, noch von Hand anknipsen. Das geschieht bei der Endversion automatisch, sobald das Tageslicht schwindet.

«Diese Zeit hat uns erst viel Mut und dann genauso viel Geduld abverlangt», sagt Dürst. Und aus seinen Worten klingt Erleichterung, als er witzelt: «Immerhin bin ich in diesen drei Monaten auch reicher geworden – um einige graue Haare.» Er ist überzeugt, dass die Entscheidung vom vergangenen Herbst «zu 100 Prozent richtig gewesen ist».
Auch weil in dieser Zeit «das fliegende Pannendreieck», wie Dürst seine Entwicklung auch nennt, immer mehr Sportgeschäfte überzeugt hat. «Wir haben etwa 160 Verkaufsstellen gewinnen können – in der Schweiz, Deutschland, Österreich und in Italien.» Darunter sind etwa Läden der Grossen in der Schweizer Branche wie Ochsner Sport, Transa Outdoor, Intersport oder Bächli Bergsport.
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Rico Dürst bereut weder die Ungewissheit noch die schlaflosen Nächte, die vergingen, bis er den Airmarker in seinen Rucksack packen konnte. Im Gegenteil. Ganz der passionierte Bergler, sagt er: «Es sind doch auch die pickelharten Bergtouren, die man nie wieder vergisst und einen positiv verändern.»
Und so würde es nicht zu Rico Dürst passen, würde er nun die Hände in den Schoss legen. «Wir werden im Spätsommer ein Modell für den Wassersport herausbringen – und wir haben weitere Entwicklungsideen im Kopf», sagt er. «Jetzt aber erst einmal ein Schritt nach dem anderen.»
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