Wahl der Woche (82)Digital oder analog?
Unsere Autorin und unser Autor streiten sich wieder über die grossen Alltagsfragen. Heute: Wie wir lesen.
Alles nur noch digital, ausser Bücher
Als ich meiner Freundin Anna neulich erzählte, dass ich, bis auf Bücher, alles nur noch digital lese, was ich früher auf Papier, also analog las, also auch «Das Magazin», machte sie ein kulturpessimistisches Gesicht. Was man digital liest, sagte sie, bleibe nicht so gut in Erinnerung wie das analog Gelesene. Überhaupt würde man, wenn man digital liest, den Text eher scannen als wirklich begreifen. Das habe ich nicht verstanden. Woraus man ja sieht, dass, wenn ich etwas nicht begreife, es nicht daran liegt, ob ich es digital oder analog gelesen habe. Ich denke also, Anna log.
Sven Behrisch
Papier verleiht dem Leben mehr Substanz
Anna log nicht. Anna bezog sich vermutlich auf die Stavanger-Erklärung, die eine Gruppe von europäischen Leseforschenden 2019 veröffentlicht hatte und die ungefähr besagte, was eben Anna sagte. Aber um ehrlich zu sein, ist mir die Wissenschaft hier für einmal egal. Ich lese «Das Magazin» lieber auf Papier, weil es meinem Leben mehr Substanz verleiht. Um jetzt mal ganz drastisch zu werden: Auf dem Sterbebett werde ich mich wohl nicht an das Gefühl erinnern, wie meine Finger Tag für Tag über dieselbe Tablet- / Smartphone-Oberfläche glitten, ich werde mich daran erinnern, wie gedrucktes Papier in der Samstagmorgensonne roch, vielleicht beim ersten Frühstück des Jahres auf dem Balkon, ich werde mich ans Rascheln der Seiten erinnern und an das Gefühl, etwas in den Händen zu halten, das nur zum Lesen da ist.
Simona Pfister
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