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Medien in Serbien
Der Lieblings­journalist des Präsidenten beschimpft die Opposition als «Abschaum»

Dragan Vucicevic, Chefredakteur des regierungsnahen Senders ’Informer’, schaut aus dem Bürofenster, während sich Demonstranten am 29. März 2025 in Belgrad versammeln, um gegen Propagandavorwürfe zu protestieren. Studentisch geführte Proteste gegen die Regierung.
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In Kürze:
  • Die Studentenproteste vor der «Informer»-Redaktion mobilisierten über zehntausend Menschen in Belgrad.
  • Der Chefredaktor Vucicevic verbreitet täglich Falschmeldungen gegen politische Gegner des Staatspräsidenten.
  • Die Boulevardzeitung publiziert gemäss Journalistenverband jährlich rund siebenhundert unwahre Schlagzeilen.
  • Nur gerade drei Prozent der serbischen Medien berichten kritisch über die Regierung.

An Dragan J. Vucicevic scheiden sich die Geister. Seine Fangemeinde feiert ihn als Wahrheitskämpfer und journalistische Ikone. Er hat auch mächtige Fürsprecher. «Ich halte ihn für einen ehrenwerten und anständigen Menschen», sagt Serbiens Staatschef Aleksandar Vucic. «Er ist seit 25 Jahren mein persönlicher Freund.»

Für seine zahlreichen Gegner hingegen ist Vucicevic, Chefredaktor und Besitzer des Krawallblattes «Informer», ein Symbol für den miserablen Zustand der regierungstreuen Medien in Serbien. In einem akribisch recherchierten Dokumentarfilm des oppositionsnahen Fernsehsenders N1 wird der Mann mit einem Kommandanten eines Gefangenenlagers verglichen und als Ankläger, Richter, Ritter der schwarzen Propaganda und Henker in Personalunion beschrieben. Er habe den Journalismus «genetisch modifiziert», also ins Gegenteil verkehrt, so ein Kritiker.

Medienkampagne gegen Andersdenkende

Ende März protestierten über 10’000 Studierende und andere Demonstranten vor der «Informer»-Redaktion in Belgrad. Für sie ist das Blatt ein «Dezinformer», der täglich politische Gegner des Staatspräsidenten verleumdet, erniedrigt, dehumanisiert und zur Zielscheibe macht. Das am häufigsten gegen die Opposition verwendete Wort in dieser reichweitenstarken Zeitung ist «olos», was so viel bedeutet wie Abschaum. 

Studentenprotest vor dem Fernsehgebäude von ’Informer’ in Belgrad, mit Bannern ’Manipulator, kein Journalist’ und serbischen Flaggen, März 2025.

Die ohnehin schon aggressive Medienkampagne gegen Andersdenkende hat sich seit dem 1. November weiter verschärft. An diesem Tag stürzte in der nordserbischen Stadt Novi Sad das Bahnhofsvordach ein und tötete 16 Menschen. Das Unglück befeuerte die Wut über die Korruption in Serbien. Seither demonstrieren Hunderttausende gegen das Regime von Vucic.

Die «Mauer der Schande des Journalismus»

Besonders kreativ sind die Studierenden. Ihre Protestkundgebung vor dem «Informer»-Redaktionsgebäude dauerte ganze sechs Stunden. Sie desinfizierten symbolisch das Gelände, errichteten dort eine «Mauer der Schande des Journalismus» und präsentierten einige der Schlagzeilen aus den vergangenen Wochen.

Die Redaktion behauptete faktenfrei, in der von Studenten besetzten Belgrader Universität grassiere wegen der unhygienischen Zustände die Krätze. Hinter den Protesten stehen laut «Informer» vor allem «junge, wütende und arrogante Studentinnen», die Luxusreisen unternehmen.

Studentenproteste vor dem Regierungssender ’Informer’ in Belgrad, bei denen Demonstranten in weissen Schutzanzügen eine ’Desinfektion’ inszenieren. Personen halten serbische und Universitätsfahnen.

Vor dem Massenprotest der Opposition am 15. März hiess es auf Informer TV, eine terroristische Bande plane Blutvergiessen in Belgrad. Chefredaktor Vucicevic war ausser sich vor Freude, als die Polizei drei Studierende abführte. «Mein Gott, wie schön klingen diese serbischen Lieder zur Verhaftung dieser Terroristen», sagte er.

Das allgegenwärtige Staatsoberhaupt

Nach Angaben des serbischen Journalistenverbandes berichten nur drei Prozent der Medien kritisch über die Regierung. Trotzdem jammert Präsident Vucic, er werde von Medienhäusern ignoriert – einige würden sogar einen Mordanschlag auf ihn planen. Eine Auswertung der Medienbeobachtungsorganisation CRTA zeichnet ein völlig anderes Bild: Im vergangenen Jahr war Vucic ganze 330-mal auf verschiedenen serbischen Fernsehsendern zu sehen, seit Januar mehr als 60-mal.

Tausende Demonstranten versammeln sich in Belgrad gegen Präsident Aleksandar Vucic mit serbischen Flaggen, 15. März 2025.

Dragan J. Vucicevic teilt die Welt gern in Gut und Böse ein. Aleksandar Vucic, Wladimir Putin und Donald Trump sind seine Helden, die gegen die angeblich schwulenfreundliche EU kämpfen. Peking und Moskau sind also die wahren Freunde und grössten Geldgeber des tapferen serbischen Volkes. Die Wahrheit sieht auch hier anders aus: Allein seit 2014 hat die Europäische Union Serbien mit rund vier Milliarden Euro unterstützt.

700 Falschmeldungen pro Jahr

Vucicevic verbreitet gern die Mär, der kroatische Geheimdienst stecke hinter den Protesten in Serbien. Dass auch westliche Dienste ihre Finger im Spiel haben, um Serbien zu schaden und Vucic zu stürzen, ist für «Informer» ohnehin klar. Beweise dafür liefert das Blatt nie. Eine Analyse des unabhängigen serbischen Journalistenverbands kommt zum Schluss, dass die Boulevardzeitung allein auf ihren Titelseiten rund 700 Falschmeldungen pro Jahr veröffentlicht.

Der serbische Präsident Aleksandar Vucic spricht während einer Unterzeichnungszeremonie zwischen Serbien und Ungarn in Belgrad, 1. April 2025.

Unvergessen bleibt die Schlagzeile kurz vor dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022: «Die Amerikaner stürzen die Welt ins Chaos. Die Ukraine hat Russland angegriffen!» Im selben Jahr veröffentlichte Vucicevics Zeitung ein Interview mit einem Serienvergewaltiger, der seine abscheulichen Verbrechen bis ins Detail schilderte und Frauen Ratschläge gab, wie sie sich bei einer Vergewaltigung verhalten sollten, damit es weniger wehtut.

Die Empörung war riesig, Hunderte von Frauen protestierten daraufhin vor der «Informer»-Redaktion. Das sei selbst «für den serbischen Boulevard-Dreck zu viel», kommentierte damals die unabhängige Zeitschrift «Vreme».

Der Astrologe und das Attentat

Im Jahr 2015 löste das Blatt «Informer» einen internationalen Skandal aus, als es ein Pornovideo veröffentlichte und fälschlicherweise behauptete, die darin abgebildete Frau sei die damalige kroatische Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarovic.

Dragan J. Vucicevic begann seine Karriere Ende der 1990er-Jahre bei der Tageszeitung «Blic», die heute dem Ringier-Verlag gehört. In den folgenden Jahren schrieb er für verschiedene Redaktionen, die eng mit nationalistischen Kreisen zusammenarbeiteten.

Im Jahr 2002 führte der Journalist ein Interview mit einem Astrologen, der ein Attentat auf den prowestlichen Ministerpräsidenten Zoran Djindjic prophezeite. Wenige Monate später wurde Djindjic von der halbstaatlichen Unterwelt ermordet. Vucicevic wird beschuldigt, die Medienkampagne gegen Djindjic angeführt zu haben. Er dementiert die Vorwürfe, sagt, er könne sich an diese Zeit nicht erinnern oder er habe nur seine Arbeit als Journalist gemacht.

US-Botschafter spricht Klartext

Wer in den Archiven serbischer Medien stöbert, wird fündig. Europafreundliche Politiker und Vucic-Gegner sind laut Vucicevic Halunken, Nichtsnutze, Dreckskerle, Gesindel, Miststücke, Gauner, Wegelagerer, Schleimer, Grossmäuler, Schurken, Viecher ohne Schwanz. Die Liste der Beleidigungen ist lang und vulgär.

Kyle Scott, US-Botschafter in Serbien von 2016 bis 2019, gab einmal alle diplomatische Zurückhaltung auf und bezeichnete «Informer» als «Abschaum» und «Lügenblatt». Viele Aktivisten in Belgrad sind überzeugt, dass der wahre Chefredaktor der Zeitung im Präsidentenpalast Serbiens residiert. Dragan J. Vucicevic, heisst es im Dokumentarfilm des Fernsehsenders N1, sei lediglich der «orale Leibwächter des Staatschefs».