Repression in SerbienHat Vucics Regime Schallkanonen gegen das eigene Volk eingesetzt?
Ein ohrenbetäubendes Geräusch hat die Teilnehmenden der Grossdemonstration in Belgrad auseinandergetrieben. Kritiker sprechen von einem «Terrorangriff» mit einer verbotenen Waffe.

- Über 300’000 Menschen protestierten am Samstag in Belgrad gegen Korruption und Willkür.
- Serbiens Präsident Vucic wies den Einsatz einer Schallkanone gegen die Demonstrierenden zurück.
- Schallkanonen können gesundheitliche Schäden verursachen, und ihre Nutzung ist umstritten.
- Augenzeugen berichteten von extremer Unruhe und Schwindel nach dem Geräusch.
Die Vorwürfe wiegen schwer, doch die Staatsmacht wiegelt hartnäckig ab. Serbiens Präsident Aleksandar Vucic erklärte, es sei eine «Lüge», dass die Sicherheitskräfte am Samstagabend eine Schallkanone eingesetzt hätten, um die Demonstranten auseinanderzutreiben. Die Polizei teilte mit, sie verfüge weder über solche Mittel noch habe sie diese benutzt. Daraufhin trat ein Armeegeneral im staatlich kontrollierten Fernsehen auf und stellte klar, auch das Militär habe mit dem Vorfall nichts zu tun.
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Am Montag wandte sich Vucic mit einer Botschaft an die Öffentlichkeit. Er sprach, als wäre er zugleich Generalstaatsanwalt, Richter und Justizminister in Personalunion: «Die Untersuchung wird innerhalb von 48 Stunden abgeschlossen sein, und danach werden alle, die für diese brutalen Erfindungen und Lügen verantwortlich sind, vor Gericht gestellt werden.»
Plötzlich brach Panik aus
Am Samstag protestierten in Belgrad nach unabhängigen Angaben über 300’000 Menschen gegen die Korruption und die Willkürherrschaft von Vucic. Es war die grösste Kundgebung in der jüngeren Geschichte Serbiens und der Höhepunkt einer Protestwelle, die Anfang November begann.
Damals stürzte das Vordach des renovierten Bahnhofs von Novi Sad ein und riss 15 Menschen in den Tod. Pfusch am Bau, mangelnde Aufsicht und Korruption sollen zu dieser Tragödie in der zweitgrössten Stadt Serbiens geführt haben. Seither gedenken die Protestierenden bei jedem Aufmarsch mit 15 Schweigeminuten der Opfer von Novi Sad.

So war es auch am Samstagabend, als plötzlich in der Belgrader Innenstadt Panik ausbrach. Die verängstigten Menschen rannten in verschiedene Richtungen, einige verloren die Orientierung und stürzten. Im Netz kursieren Aufnahmen von der Szene.
Extrem durchdringende Schallwellen
Was war geschehen? Schnell machte die Vermutung die Runde, die Sicherheitskräfte hätten eine Schallkanone gegen die schweigenden Demonstranten eingesetzt. Das Gerät ähnelt einem Fernseher oder einem grossen Lautsprecher und sendet extrem durchdringende Schallwellen aus. Sie können bleibende Gehörschäden, Übelkeit und Gleichgewichtsstörungen verursachen. Der Einsatz dieser nicht tödlichen Waffe ist in vielen Ländern höchst umstritten und in Serbien verboten.

Es gibt mittlerweile glaubwürdige Hinweise, dass das serbische Innenministerium seit 2022 im Besitz einer Schallkanone ist, auf Englisch «Long-Range Acoustic Device» (LRAD). Nach Angaben eines ehemaligen hochrangigen Polizeibeamten hat Serbien die akustische US-Waffe des Typs «Genesis» über Israel bezogen.
Was sagen die Augenzeugen?
«Es sah schrecklich aus», berichtete ein Augenzeuge dem regierungskritischen Sender N1. «Man hat das Gefühl, dass in einer Sekunde etwas auf einen zukommt. Als ob es gleich da ist und dich tötet.» Auch Tatjana Ohm, Reporterin der deutschen Tageszeitung «Welt», war am Samstag vor Ort. Auf X berichtete sie von ihren Erlebnissen. Sie habe ein Geräusch gehört, das sie nicht habe einordnen können. Danach sei ihr etwa eine halbe Stunde lang «extrem schwindlig» gewesen, und sie habe eine merkwürdige innere Unruhe verspürt.
Inzwischen haben sich einige Teilnehmer der Kundgebung wegen gesundheitlicher Probleme in ärztliche Behandlung begeben.
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Die unabhängige Denkfabrik Belgrader Zentrum für Sicherheitspolitik kritisierte den Einsatz der Schallkanone als offene Machtdemonstration, um Unruhen zu provozieren. Regierungskritische Publizistinnen und Oppositionspolitiker sprachen sogar von einem «Terrorangriff» der Staatsmacht auf das eigene Volk. Eine Oppositionspartei reichte Strafanzeige ein gegen die Täter, die im Auftrag des Staates gehandelt hätten.
Einsatz gegen Migranten, Piraten und Demonstranten
Das LRAD-Gerät kann sowohl Sprachbotschaften über grosse Distanzen übermitteln als auch mit ohrenbetäubenden Tönen Demonstranten ausser Gefecht setzen. Die New Yorker Polizei hat mit dem Ungetüm Protestierende abgeschreckt. Sie waren auf die Strasse gegangen, nachdem 2014 der Afroamerikaner Eric Garner im Würgegriff eines Polizisten erstickt war.
Die griechische Grenzpolizei benutzte das Gerät an der Grenze zur Türkei, um Migranten abzuwehren. Vor Somalia wurde die Waffe im Kampf gegen Piraten verwendet. Während des G20-Gipfels 2009 in Pittsburgh kam die Schallkanone gegen Demonstranten zum Einsatz.
Auch US-Diplomaten sollen auf Kuba Opfer von akustischen Angriffen geworden sein. Es ist unklar, ob in Havanna die LRAD-Waffe oder andere Mittel eingesetzt wurden. Mehrere Diplomaten klagen über Kopf- und Ohrenschmerzen, Schwindel sowie Seh- und Schlafstörungen.
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