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Interview mit Staatssekretärin für Bildung Martina Hirayama
«Vorgehen der EU schadet der Forschung in Europa»

«Wir sollten uns nicht unnötig verunsichern lassen»: Martina Hirayama, Staatssekretärin für Bildung, Forschung und Innovation. 
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Frau Hirayama, würden Sie einer jungen Forscherin derzeit empfehlen, in der Schweiz zu arbeiten?

Ja, auf jeden Fall!

Mit welchen Argumenten?

Wir haben hervorragende Hochschulen. Wir haben hier sehr viele helle Köpfe, sehr gute Infrastrukturen. Wir sind an den massgeblichen internationalen Forschungsinfrastrukturen beteiligt, haben dort vollumfänglichen Zugang, sind bestens vernetzt. Es gibt vielfältige Angebote, wir sind hervorragend aufgestellt. Und Bundesrat und Parlament stehen voll und ganz hinter Bildung, Forschung und Innovation, die Kantone ebenfalls.

Führende Schweizer Hochschulvertreter sehen es weniger optimistisch. In einer Resolution warnen sie vor dem Abgang von Spitzenforschenden. Der Ausschluss aus dem Forschungsprogramm Horizon Europe bringe den gesamten Forschungsplatz Schweiz in Gefahr.

Wir stehen im engen Austausch mit den Forschenden. Wir kennen ihre Forderung, die Schweiz an Horizon Europe zu assoziieren. Das ist auch das Ziel des Bundesrats.

Die Schweiz soll alles unternehmen für eine Horizon-Assoziierung noch im Jahr 2022, wird in der Resolution gefordert. Wie optimistisch sind Sie, dass das gelingt?

Assoziiert zu sein und Assoziierungsverhandlungen aufzunehmen, ist nicht dasselbe. Solche Verhandlungen können einige Monate dauern. Sobald sie aber aufgenommen wurden, gilt man als zu assoziierendes Land und kann sich in alle Horizon-Projekte einbringen. Die Knacknuss ist, ob und wann wir Verhandlungen aufnehmen können. Die EU weigert sich bisher leider. Unsere Aufgabe ist es jetzt, uns auf alle Szenarien vorzubereiten.

Wir sind von Horizon ausgeschlossen, weil der Bundesrat die EU mit der Beerdigung des institutionellen Rahmenabkommens verärgert hat. Würde man der EU bei den institutionellen Fragen entgegenkommen, wären die Probleme bei Horizon schnell gelöst.

Es ist aber die EU, die eine Verbindung zwischen der Forschungszusammenarbeit und den institutionellen Fragen konstruiert hat. Dabei gibt es eine solche Verbindung weder in rechtlicher noch materieller Hinsicht. Sie ist rein politischer Natur.

Sie appellieren also an die Politik in der EU, nicht in der Schweiz?

Ja, mein Appell an die EU lautet: Lasst solche politischen Verbindungen bleiben! Es ist zum Nachteil beider Seiten.

«Mein Appell an die EU: Lasst solche politischen Verbindungen bleiben!»

Die Resolution der Hochschulen fordert auch eine «Innovationsoffensive» für die Phase, in der die Schweiz von Horizon ausgeschlossen bleibt.

Es ist einiges in Vorbereitung. Die Gelder für Horizon wurden vom Parlament bereits gesprochen. Solange wir nicht assoziiert sind, gilt es, diese Gelder der Forschung auf anderen Kanälen zuzuführen. Für das Jahr 2021 wurden 560 Millionen Franken für Übergangsmassnahmen bewilligt. Für das laufende Jahr sind weitere Massnahmen in Planung. Eine gute Nachricht ist auch, dass Innosuisse, die Agentur für Innovationsförderung, dank einer Gesetzesänderung bald eigene Programme lancieren und Start-ups und KMU direkt finanzieren kann.

Wir sprechen hier über Geld. Davon gibt es viel in der Schweiz. Für den Forschungsplatz geht es aber auch um Netzwerke, Prestige und Rechtssicherheit. Das kann man mit Geld nicht einfach ersetzen.

Geld ist nicht alles, das stimmt. Wir müssen uns im internationalen Wettbewerb behaupten, und das ist mit nationalen Programmen nicht vergleichbar möglich. Wir haben vom Bundesrat im Oktober den Auftrag erhalten, ergänzende Massnahmen zu prüfen.

Was können Sie zum Inhalt sagen?

Es wird unter anderem um eine Stärkung der Forschungskooperation mit Staaten innerhalb und ausserhalb Europas gehen. Es gibt da schon viele bilaterale Abkommen, darauf können wir aufbauen.

Sie versuchen, auf bilateraler Ebene zu kompensieren, was auf EU-Ebene wegfällt?

Das Wort «ergänzen» gefällt mir sehr viel besser. Auch wenn es klappt mit Horizon, möchten wir die bilaterale Zusammenarbeit mit anderen Ländern intensivieren. Wir bekommen aber auch Unterstützung von EU-Mitgliedern für eine baldige Assoziierung. Einige setzen sich bei der EU-Kommission für uns ein, weil eine funktionierende Zusammenarbeit auch in ihrem Interesse ist.

In der Resolution heisst es, nationale Massnahmen könnten die Teilnahme an Horizon nicht vollständig ersetzen. Für wie dramatisch halten Sie, als oberste Schirmherrin des Forschungsplatzes Schweiz, dessen Situation?

Dramatisch würde es, wenn wir nichts täten. Wenn Bundesrat und Parlament aber die nötigen Massnahmen ergreifen und Mittel sprechen, werden wir weiterhin zu hochwertiger Forschung in der Lage sein.

«Ja, die von der EU konstruierten politischen Verknüpfungen schaden der Forschung in Europa und in der Schweiz, und das finde ich frustrierend.»

Wie wichtig ist eigentlich die EU? Sollte sich unsere Wissenschaft nicht sowieso viel stärker auf die USA, Grossbritannien und China ausrichten?

Die Forschungszusammenarbeit mit europäischen Partnern ist für unsere Akteure extrem wichtig und intensiv. Wir sind mitten in Europa; von manchen Hochschulen hat man nur eine halbe Stunde bis zu einer exzellenten Partnerinstitution in Frankreich, Deutschland oder Italien. Die USA und andere Drittstaaten können Europa ergänzen, aber nicht ersetzen.

Dieser Tage fand ein informelles Treffen der EU-Bildungsminister statt, zu dem Sie, anders als in früheren Jahren, nicht mehr eingeladen wurden.

Ja, es ist bedauerlich, dass wir keine Einladung zu diesem Treffen erhielten. Massgebliche Entscheide werden dort nicht gefällt. Aber man kann sich informell austauschen und Kontakte pflegen. Netzwerken ist im Moment sehr wichtig. Man muss aber zwischen Kontakten via EU und bilateralen Kontakten mit Vertreterinnen und Vertretern der einzelnen Mitgliedsstaaten unterscheiden. Mit Letzteren stehe ich in intensivem Austausch.

Ihre Tätigkeit lässt sich im Moment als «Operation Schadensbegrenzung» beschreiben. Ist das nicht frustrierend?

Ja, die von der EU konstruierten politischen Verknüpfungen schaden der Forschung in Europa und in der Schweiz, und das finde ich frustrierend. Wir sollten uns aber nicht unnötig verunsichern lassen. Die Chance ist da, dass die Zusammenarbeit mit der EU wieder funktionieren wird. Und selbst wenn sie nicht funktioniert, werden Bundesrat und Parlament alles dafür tun, dass der Forschungsstandort Schweiz für die Zukunft gut aufgestellt bleibt.