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Meinung

Kolumne von Rudolf Strahm 
Voodoo-Ökonomie rund um die Verrechnungssteuer

Zementiert die Schweiz ihren Ruf als sicheren Hafen für die kosmopolitische Finanzoligarchie? Luxuriöse Jachten in Ibiza.
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Den Bürgerinnen und Bürgern erscheint unser Steuersystem recht kompliziert. Doch eine Steuerart ist fast allen geläufig: die Verrechnungssteuer. Wer Zins von seinem Bankkonto erhält, oder wer Zinsen auf Obligationen, Dividenden aus Aktien oder einen Lottogewinn kriegt, dem wird gleich an der Quelle 35 Prozent Verrechnungssteuer abgezogen. Wer danach in seiner Steuererklärung Kapitalertrag und Vermögen deklariert, erhält die Verrechnungssteuer vollumfänglich und ohne bürokratischen Aufwand zurückerstattet. 

Die Verrechnungssteuer ist also eine Sicherungssteuer zur Förderung der Steuerehrlichkeit. Sie wird als Kompensation zum weiterhin bestehenden Bankgeheimnis akzeptiert. Wer seine Kapitaleinkommen nicht deklarieren will, verliert die 35 Prozent Verrechnungssteuer.

Es gibt indes in der Welt der Reichen viele superreiche Weltbürger, Potentaten und Finanzoligarchen, die ihr Vermögen verstecken und diesen Verlust gerne in Kauf nehmen. Mit der Abstimmungsvorlage vom 25. September ist ein gravierender Einbruch ins System geplant. Auf neuen Obligationen und obligationsähnlichen Anlagekonstrukten soll die Verrechnungssteuer gänzlich abgeschafft werden. Die Bankberater und Vermögensverwalter werden dies gern ausnützen. Aber die Normalbürger mit ihren Bankkonti und die Aktienbesitzer bleiben weiter der Verrechnungssteuer unterworfen.

Der schlaue Fuchs Ueli Maurer spricht nur noch von einem «Reförmchen». Man spürt sein Unwohlsein.

Mit diesem Sonderrecht für Obligationen-Vermögende sind der Privilegien nicht genug. Zusätzlich soll für Obligationen auch die Umsatzabgabe («Umsatzstempel») ersatzlos gestrichen werden. Dies ist eigentlich die grösste obrigkeitliche Unverfrorenheit, nachdem erst vor einem halben Jahr die ähnlich gelagerte Abschaffung der Stempelsteuer auf Eigenkapital («Börsenstempel») vom Volk mit einer 63-prozentigen Mehrheit abgeschmettert worden ist. Der schlaue Fuchs Ueli Maurer hat diese Fallgrube erkannt und spricht jetzt beim geplanten Steuerschlupfloch nur noch von einem «Reförmchen». Man spürt sein Unwohlsein.

Wer gibt überhaupt Obligationen heraus? Es sind abgesehen von den staatlichen Emittenten nur etwa 200 Grossfirmen, die dieses Finanzvehikel benützen können, selten mittelgrosse Unternehmen und nie die KMU. Die privaten Nutzniesser dieses Steuerprivilegs sind grossmehrheitlich Konzerne.

Und wer ist als Obligationen-Anleger Nutzniesser dieses neuen Sonderrechts? Die Anleger-Community bei den grossen Obligationen-Anlagepaketen besteht neben den institutionellen Investoren aus steueroptimierenden globalen Grossinvestoren, Financiers und Superreichen.

Die geplante Beseitigung der Verrechnungssteuer bringt dem Bund zweifellos Verluste. Sie führt zu staatlichen Einbussen bei all jenen Verrechnungssteuern, die nicht zurückgefordert werden. Die eidgenössische Steuerverwaltung schätzt den Ausfall übervorsichtig auf eine Viertelmilliarde Franken pro Jahr, ausgehend von bisherigen Tiefstzinsen.

Diese Salamitaktik schadet den Normalbürgerinnen und -bürgern und dem Staat.

Weil bald die Obligationenzinsen ansteigen, kann mittelfristig der Einnahmenverlust aber eine halbe bis drei Viertelmilliarden pro Jahr erreichen. Das sind Mittel, die dem Staat neu fehlen und letztlich die Steuerbürger zahlen. Bundesrat Ueli Maurer behauptet, dieser Steuerverlust des Bundes würde durch «wirtschaftliche Belebung» wettgemacht. Man könne damit «Anlagen aus Luxemburg in die Schweiz zurückholen» mit einem «Schub für die Wirtschaft». Das sind schwammige Aussagen! Im Einklang mit Maurer plakatieren Bankiervereinigung und Economiesuisse nun den Werbetext: «Steuereinnahmen zurückholen statt verscheuchen».

Der Lausanner Wirtschaftsprofessor Marius Brülhart hat in dieser Zeitung vorgerechnet, wie «hypothetisch», basierend auf «Mutmassungen» und «nebulösen, intransparenten Annahmen», diese Behauptungen zustande kommen. Amerikaner würden dies als reine Voodoo-Ökonomie, Hexerwirtschaft, benennen. Niemand erklärt, wer denn konkret diese Steuerausfälle kompensiert? Es wäre sicher nicht generell «die Wirtschaft».

Gewinner wären allenfalls die grossen Emissions- und Anlagemanagement-Banken. Doch von den Grossbanken erlebt der Staat seit Jahren instabile Gewinnsteuern, Verlustvorträge und Busszahlungen und derzeit auch Personalabbau. Die Steuerausfälle für den Bund sind gewiss unbestritten. Ob aber die Banken zusätzliche Gewinne versteuern und ob der Obligationenhandel die Wirtschaft beleben wird, bleibt Kaffeesatzlesen und blosses Prinzip Hoffnung. 

Wir alle wissen um den weltweit beängstigenden Trend einer schleichenden Reichtumskluft zwischen einer superreichen kosmopolitischen Finanzoligarchie und den national verankerten Normalbürgern und Steuerzahlern. Mit diesem neuen Steuerschlupfloch würde die Schweiz diesen globalen Spaltungstrend sicher befördern.

Im Inland gibt es eine versteckte Agenda: Der Banken- und Finanzsektor fordert schon lange vom Staat, die Verrechnungssteuer zu beseitigen (aber das Bankgeheimnis zu belassen). Jetzt bei den Obligationen, das nächste Mal bei den Aktiendividenden, danach bei den Bankzinsen – und weiter so. Diese Salamitaktik sollten wir nicht zulassen. Sie schadet den Normalbürgerinnen und -bürgern und dem Staat.