Erstaunliche Marketa VondrousovaVon der London-Touristin zur Wimbledon-Siegerin
Ihre Unbeschwertheit war der grosse Vorteil von Marketa Vondrousova im Final gegen Ons Jabeur. Nach ihrem ersten Grand-Slam-Titel hatte die 24-Jährige nur noch einen Wunsch.

2022 reiste Marketa Vondrousova nach Wimbledon, um ihre Freundin Miriam Kolodziejova in der Qualifikation zu unterstützen. Ihr linkes Handgelenk war nach einer Operation im Gips, ihr Comeback noch Monate entfernt. Kolodziejova verlor gleich ihr erstes Spiel, und da sie schon einmal da war, erkundete Vondrousova London als Touristin. Ein Jahr später ist die Linkshänderin Wimbledon-Siegerin.
Beim 6:4, 6:4 gegen die favorisierte Ons Jabeur hatte sie ihre Nerven besser im Griff. Sie spielte so unbeschwert wie eine, die nichts zu verlieren hat – und gewann alles. Und derweil sie in der Box ihre jüngere Schwester weinen sah, die zusammen mit ihrem Mann Stepan für das grosse Spiel angereist war, erinnerte sie ihren Coach Jan Mertl im Platzinterview daran, dass er sich nun eine Tätowierung stechen lassen muss, weil sie ein Grand-Slam-Turnier gewonnen hat. Er lächelte gequält. «Wir gehen gleich morgen hin», insistierte sie.
Zwei Handgelenk-Operationen
Vondrousova hat selber schon viele Tätowierungen an ihrem Armen. Über ihrem rechten Ellbogen steht: «Kein Regen, keine Blumen». Was sie damit meint: Erst schwierige Zeiten machen grosse Erfolge möglich. Wie ihre zwei Handgelenk-Operationen, nach denen sie sich bei kleineren Turnieren auf die grosse Bühne zurückkämpfen musste. Weil sie 2022 sechs Monate verpasst hatte, startete sie als Nummer 92 in die Saison. In Wimbledon trat sie als Nummer 42 an und siegte sie als erste Ungesetzte überhaupt.
Was ihren Triumph noch erstaunlicher macht: Vor Wimbledon hatte sie gerade einmal vier Matchs auf Rasen gewonnen. Sand war ihre Domäne, 2019 erreichte sie in Roland Garros den Final, war da aber gegen Ashleigh Barty (1:6, 3:6) chancenlos. Jabeur hat ähnliche Stärken wie die 2022 zurückgetretene Australierin, doch sie konnte sie im Wimbledon-Endspiel gegen Vondrousova nicht ausspielen, weil sie viel zu angespannt war. Ihre Verkrampfung löste sich auch nicht, als sie 2:0 und 4:2 führte. Am Ende blieben der Tunesierin nur die Tränen.
«Ich werde nicht aufgeben. Eines Tages werde ich einen Grand-Slam-Titel gewinnen.»
In ihrem dritten Grand-Slam-Final nach Wimbledon und dem US Open 2022 hatte sich Jabeur gegen die klare Aussenseiterin Vondrousova wohl zu sehr unter Druck gesetzt. Sie beging insgesamt 31 unerzwungene Fehler und war in der Niederlage untröstlich. Als sie den Silberteller der Verliererin hochstreckte, weinte sie. «Das ist die schmerzvollste Niederlage meiner Karriere», sagte die 28-Jährige. «Aber ich werde nicht aufgeben. Ich werde stärker zurückkommen und eines Tages einen Grand-Slam-Titel gewinnen.»

Der Triumph Vondrousovas vor den Augen von Martina Navratilova, die in der Royal Box zuschaute, unterstreicht die verblüffende Breite Tschechiens im Frauentennis. In Roland Garros war Karolina Muchova erst im Endspiel an Iga Swiatek gescheitert, acht tschechische Spielerinnen finden sich zurzeit in den Top 50. Und mit Linda Noskova (18-jährig) sowie Brenda (16) und Linda (18) Frühvirtova stösst schon die nächste Generation nach oben.
Vondrousova ist die erste tschechische Wimbledon-Siegerin seit Petra Kvitova, die an der Church Road 2011 und 2014 triumphiert hatte. Zum Glück hatte sie für ihren Mann Stepan, einen IT-Spezialisten, eine Katzensitterin organisieren können, damit er für den Final anreisen konnte. Am Sonntag können die beiden in London ihren ersten Hochzeitstag feiern. Mit einem Siegercheck von 2,35 Millionen Pfund (2,66 Millionen Franken) werden sie sich ein anständiges Essen leisten.
Zuerst, so Vondrousova, brauche sie jetzt aber mal ein kühles Bier. In London wird auch feines tschechisches Pils ausgeschenkt.
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