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Meinung

Gastkommentar zu Ethik und Politik
Vom Hochsitz aus kann man nicht politisieren

Unübersehbar: Die Befürworter der Konzernverantwortungsinitiative haben Tausende von Transparenten verteilt. 
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An Küchen- und Stammtischen, in den Medien und im Bundeshaus wird derzeit darüber gestritten, wie humanitäre Hilfe für die Migranten aus dem Flüchtlingslager Moria aussehen soll. Die einen erachten es als Gebot der Stunde, rasch viele Flüchtlinge aus dem griechischen Lager in der Schweiz aufzunehmen. Die anderen befürchten, dass dies zu einem neuen Flüchtlingsandrang führen könnte. Alle streiten sich in der Überzeugung, die Moral auf ihrer Seite zu haben. Das gilt auch für die Konzernverantwortungsinitiative, über die wir in zwei Monaten abstimmen.

Auch bei diesem Thema werfen Befürworter und Gegner vorwiegend moralisch-ethische Argumente in die Waagschale. Immerhin teilen beide Seiten das Grundanliegen, dass Unternehmen mit Sitz in der Schweiz Menschenrechte und schweizerische Umweltstandards auch im Ausland zu respektieren haben.

Es ist ein Grundkonflikt zwischen zwischen Leidenschaft und Augenmass.

Die Befürworter sind überzeugt, dass sie mit ihrer Initiative diese Güter schützen. Die Gegner hingegen sind der Ansicht, dass die Initiative letztlich denjenigen zum Nachteil gereicht, die sie eigentlich schützen soll. Sollen schweizerische Unternehmen in Schwellenländern Arbeitsplätze schaffen, wenn sie für Sachverhalte zur Verantwortung gezogen werden, die sie kaum beeinflussen können?

Vor diesen Zwiespalt sehen sich alle gestellt, die den moralischen Hochsitz verlassen und sich in den Staub der Realpolitik hinabbegeben. Die philosophische Ethik umschreibt dieses Dilemma mit der Unterscheidung von Gesinnungs- und Verantwortungsethik. Es handelt sich um den Grundkonflikt zwischen persönlicher Überzeugung und politischen Realitäten, zwischen Leidenschaft und Augenmass.

Der Soziologe Max Weber meinte: Der Gesinnungsethiker tut, was sein Gewissen für richtig hält, und stellt «den Erfolg Gott anheim». Der Verantwortungsethiker hingegen bedenkt die Folgen seines Handelns. Weber trennt aber Gesinnungsethik und Verantwortungsethik nicht so streng, als handelten Gesinnungsethiker verantwortungslos und Verantwortungsethiker gesinnungslos. Es sind nicht nur Gegensätze, sondern auch einander ergänzende Dimensionen ethischen Verhaltens.

Überzeugungen zu haben, wie die Welt idealtypisch aussehen müsste, ist das eine. Und es ist etwas anderes, diese Überzeugungen innerhalb der realen Welt umzusetzen. Auf der Kanzel, den Lehrstühlen oder in den Redaktionen kann man einem moralischen Impuls folgen. In der Politik aber ist man zum moralisch-politischen Abwägen gezwungen.

Wer dieses Dilemma ignoriert, redet oder predigt über die Realität hinweg. Es ist falsch, Gesinnungsethik und Verantwortungsethik gegeneinander auszuspielen. Der deutsche Philosoph und Ethiker Konrad Ott sagt es so: Gesinnungsethik lässt sich politisch nicht durchhalten, Verantwortungsethik moralisch nicht. Darum muss die Politik um eine Balance zwischen den beiden bemüht sein. Auch Verantwortungsethik kommt nicht ohne gesinnungsethische Motive aus.

Den einen wird vorgeworfen, ihre Politik erschöpfe sich in einer Rhetorik des Erbarmens. Die anderen werden der Hartherzigkeit bezichtigt.

Denn was wäre das für eine Politik, die ohne moralische Massstäbe handeln würde? Umgekehrt wird auch eine Gesinnungsethik die möglichen Folgeprobleme dessen, was man einzig aus moralischer Überzeugung vertritt, nicht kleinreden können. Was wäre das für eine Politik, die ohne Abschätzung der negativen Folgen eines Entscheides handeln würde?

In den Debatten um die Flüchtlinge und die Konzernverantwortungsinitiative prallen gesinnungs- und verantwortungsethische Positionen aufeinander: Den einen wird vorgeworfen, ihre Politik erschöpfe sich in einer Rhetorik des Erbarmens. Die anderen werden der Hartherzigkeit bezichtigt.

Für eine Versachlichung der Diskussion wäre viel gewonnen, wenn beide Seiten anerkennen würden, dass es um eine Balance zwischen den beiden Haltungen geht. Den Entscheid, sich eher von der Gesinnungs- oder der Verantwortungsethik leiten zu lassen, muss jede und jeder letztlich selbst treffen.