Suez-Kanal wieder befahrbarVolle Fahrt
Das im Suezkanal auf Grund gelaufene Riesenschiff ist seit Montagnachmittag wieder frei. Und die turbulente Geschichte des Seewegs zwischen Rotem Meer und Mittelmeer um eine Episode reicher.
Von weitem sieht es oft aus, als zögen gemächliche Riesen am Seil Berge hinter sich her, so lautlos gleiten die Schiffe den Suezkanal hinauf. Die Ever Given war mit ihren 400 Metern zugegebenermassen eher schon ein Gebirgszug, und wenn der mal liegt, dann liegt er. Fast eine Woche steckte das Riesenschiff fest, bis der am Welthandel interessierte Teil der Öffentlichkeit, also eigentlich fast jeder, am Montagmorgen Hoffnung schöpfte, dass es sich wieder hatte flott machen lassen.
Um 4.30 Uhr ägyptischer Ortszeit hatte der Dienstleister Inchcape Shipping gejubelt, die Ever Given sei «in schwimmendem Zustand». Das klang vor allem deshalb so grossartig, weil der Vollmond und eine besonders starke Flut dabei eine Rolle gespielt hatten, was das Sagenhafte des Ganzen unterstrich. Die Bergung mit Schleppern, Sandbaggern, Ziehen und Schieben hatte ohnehin etwas von einem riesigen Sandbaggerspiel, mechanisch, praktisch und wunderbar anschaulich. Kein Vergleich zum Kampf gegen Viren.
Noch immer warten Hunderte Schiffe
Es folgten Dämpfer, durch den Kanaldienstleister Leth Agencies. Der Bug – für Nicht-Nautiker: das Vorderteil – liege noch im Sand. Später war die Rede von weiteren Schleppern und Sandbaggern, die herangezogen werden sollen. Weitere Varianten wurden ventiliert, die Entladung etwa, die angesichts der Kapazität von 18’000 Containern bis zum Beginn des Ramadan Mitte April hätte dauern können. Das Abpumpen des Treibstoffs. Helikopter. Eine gute Fee.
Dann, endlich, die Meldung : Sie bewegt sich wieder. Das ägyptische Fernsehen zeigte Bilder der befreiten Ever Given. Jubel, Erleichterung, Hamdullilah.
Noch dümpeln auf beiden Seiten des Kanals 370 Schiffe herum, vielleicht sind es auch 450, darunter viele Öltanker. Es wird Tage dauern, bis sich dieser Stau auflöst, warnte die weltgrösste Container-Reederei Maersk, nur um dann weitere Staus in anderen Häfen nach sich zu ziehen, so ergänzt der Konkurrent MSC. Dort herrschten wegen Corona ohnehin schon Engpässe bei der Abfertigung.
Wahrscheinlich aber war es nur eine Frage der Zeit, bis es mal wieder eine Suezkrise geben musste.
Der Welthandel rechnet nun also seine Verluste aus, nach Schätzungen der Allianz belaufen diese sich auf sechs bis zehn Milliarden Dollar pro Woche. Der Suezkanal – also im Endeffekt: der ägyptische Staat – verliere jeden Tag 13 Millionen Dollar, heisst es, und der hat gerade auch nicht viel zu verteilen.
Wahrscheinlich aber war es nur eine Frage der Zeit, bis es mal wieder eine Suezkrise geben musste. Alle paar Jahre überschlagen sich die Ereignisse am Grossen Bittersee. Ägypten ist ein Geschenk des Nils, hatte Herodot bekanntlich geschrieben, aber seit dem 19. Jahrhundert weiss man, dass das eine verkürzte Lesart ist.
Seit 1869, seit die 160 Kilometer lange Wasserstrasse zwischen Asien und Afrika, zwischen Rotem Meer und Mittelmeer, zwischen dem Beduinen-Gebiet auf dem Sinai und dem ägyptischen Festland, eröffnet wurde, begriff sich die Region als etwas Besonderes. Die britischen Besatzer prägten Städte wie beispielsweise Port Said am Mittelmeer, die mit ihren Gärten und Fachwerkvillen, mit breiten Strassen und französischen Balkons wahlweise an New Orleans erinnern oder an die Florida Keys.
Zwei Orte auf der Welt gebe es, wo ein Mensch nur warten müsse, bis der, den er suche, irgendwann vorbeikomme, schrieb Rudyard Kipling: London und Port Said. Seitdem hat London, wie man hört, etwas abgebaut, aber die Menschen am Kanal weisen Besucher noch immer stolz auf ihre strategische, ach was, ihre nationale Bedeutung hin. Dreimal sei Port Said Frontstadt gewesen, sagen die Bewohner, in den Kriegen 1956, 1967, 1973. Nie habe es nachgegeben, nicht in der Suezkrise, nachdem Gamal Abdel Nasser den Kanal verstaatlicht hatte, und auch nicht, als die israelische Armee nach dem Sechstagekrieg am Ostufer lag.
Ziel Rotterdam
Der Kanal ist ideales Terrain für herrschaftliche Gesten. Kaum ein Präsident, der nicht besondere Ideen entwickelte. General Abdel Fatah al-Sisi verkündete 2013 vergleichsweise frisch im Amt den Ausbau der Wasserstrasse. Dafür lieh er sich Geld bei den für Patriotismus immer empfänglichen Ägyptern. Der Effekt des Ausbaus blieb hinter den Erwartungen zurück, und ob Sisi, also der Staat, das Geld je zurückgezahlt hat, lässt sich schwer prüfen.
Umso schöner, dass die Ever Given wieder fährt. Dank der Daten des Tracking-Portals Vesselfinder lässt sich auch nachverfolgen, wohin: Um halb fünf nachmittags Ortszeit schipperte sie mit vier Knoten durch den Kanal Richtung Mittelmeer. Ihr Ziel: Rotterdam. Zurück lässt sie das jüngste Spektakel dieses an Sensationen so reichen Seeweges.
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